Setzen die USA ihre Zolldrohungen gegen die EU um, wird dies auch die Schweiz treffen. Die helvetische Diplomatie versucht, das Schlimmste zu verhindern.
Ein bellender Hund, der nicht beisst? Manche mutmassen, dass US-Präsident Donald Trump seine Zolldrohungen gegen Länder wie Kanada, Mexiko und die EU-Staaten nur als Verhandlungsmasse verwendet, um von diesen Staaten Konzessionen herauszupressen. Das Aufschieben der angekündigten Zölle von 25 Prozent auf Gütern aus Mexiko und Kanada um einen Monat hat solche Wahrnehmungen etwas bekräftigt.
Doch die Gefahr eines globalen Handelskonflikts ist damit nicht gebannt. Aus Schweizer Sicht ist bedeutend, ob die USA wie angekündigt auch Güter aus der EU mit Importzöllen belasten. Europäische Exponenten haben diese Woche betont, dass die EU in diesem Szenario Gegenzölle verhängen werde.
Wenn die Grossen aufeinander schiessen, müssen die Kleinen mit Querschlägern rechnen. Das hatte die Schweiz beim Stahlstreit USA – EU gespürt. Die USA hatten 2018 unter Trump I Zölle auf Stahl- und Aluminiumimporten aus der EU, Kanada und Mexiko verhängt – angeblich aus Gründen der «nationalen Sicherheit», aber in Wahrheit eher zwecks simpler Marktabschottung. Die EU reagierte mit Gegenzöllen und Schutzmassnahmen für die Stahlindustrie; die Schweiz war zwar nicht direkt im Visier, doch die EU-Massnahmen erschwerten auch Stahlimporte aus der Schweiz.
Schuss in den eigenen Fuss
Bei den Ökonomen herrscht im Grundsatz weitgehend Einigkeit: Die Behinderung von Importen ist in der Regel volkswirtschaftlich schädlich – nicht nur für die Partnerstaaten, sondern auch für das eigene Land. Der Wettbewerb und damit auch die Innovation im Inland nehmen ab, die Preise steigen, und auch der eigene Exportsektor gerät in Mitleidenschaft – weil er seinen Lieferanten höhere Preise zahlen muss, die eigene Währung als Folge von Importbehinderungen tendenziell teurer wird und das Ausland Gegenmassnahmen beschliessen kann.
Für eine grosse Volkswirtschaft mit hoher Nachfragemacht können Importzölle theoretisch einen wirtschaftlichen Gewinn bringen. Die Theorie geht wie folgt: Kann ein Land durch seine hohe Nachfrage den Weltmarktpreis bestimmter Güter stark beeinflussen, senken Importzölle auf solchen Gütern die Nachfrage dieses Landes und damit den Weltmarktpreis – womit das Land unter Umständen diese Güter trotz Zöllen günstiger importieren kann. Die Rechnung könnte aber höchstens dann aufgehen, wenn andere Staaten auf Gegenmassnahmen verzichten.
In der Praxis schiessen sich Länder mit Importzöllen meistens in den eigenen Fuss. Das zeigt die internationale Forschungsliteratur. So kam zum Beispiel eine Forschungsarbeit mit Daten von gut 150 Ländern von 1963 bis 2014 zum Schluss, dass die Folgen von Importzöllen für das betreffende Land mittelfristig wenig erbaulich waren: tiefere Produktivität, höhere Arbeitslosigkeit, keine «Verbesserung» der Handelsbilanz. Eine amerikanische Studie zu den Folgen der US-Zölle unter Trump I gegen China ortete ebenfalls vor allem Verlierer: Die Hauptlast der Zölle trugen die amerikanischen Konsumenten via höhere Preise, und die Zölle senkten die kaufkraftbereinigten Einkommen in den USA wie auch in China.
Doch in der Politik, und besonders in den USA, hält sich ein Klischee hartnäckig: Importe sind schlecht, Exporte sind gut, das Schlechteste ist ein Importüberschuss, und Zölle drücken den Importüberschuss. «Die USA werden das Handelsbilanzdefizit mit Zöllen nicht wegbringen», sagt der Handelsspezialist Reto Föllmi, Professor an der Universität St. Gallen: «Dieses Defizit spiegelt die Tatsache, dass die USA mehr investieren als sparen. Zölle werden für sich alleine dieses Ungleichgewicht nicht aus der Welt schaffen. Zudem dürften die neuen Zölle den US-Dollar stärken, was amerikanische Exporte verteuert und Importe verbilligt.»
Der schlimmste Fall
Doch Lehrbücher der Ökonomen sind in Washington nicht hoch im Kurs. Die möglichen Folgen eines globalen Handelskonflikts für die Zölle auf Schweizer Gütern haben vier Forscher schon 2019 zu schätzen versucht. In ihrem Szenario legen alle grossen Handelsblöcke ihre Importzölle so fest, dass sie ihre Nachfragemacht bestmöglich ausnutzen können – ohne Berücksichtigung von Gegenmassnahmen. In diesem Schlimmstfall eines Zusammenbruchs des multilateralen Handelssystems würden die Zölle auf den Schweizer Exportgütern gemäss den Schätzungen im Mittel um etwa 35 Prozent steigen.
Im vergangenen Herbst schätzte die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich, dass bei US-Zöllen von 60 Prozent für Importe aus China und von 20 Prozent für Importe aus allen anderen Ländern die Wohlstandseinbussen für die Schweiz mindestens 200 Franken pro Einwohner und Jahr betragen würden. Dies entspräche total gegen 2 Milliarden Franken pro Jahr.
Verhängen die USA wie angedroht Zölle gegen Importe aus der EU, wird dies auch die Schweiz treffen – direkt oder indirekt. In einem solchen Szenario wären Gegenmassnahmen der EU zu erwarten. Beide Handelsblöcke müssten mit Wohlstandseinbussen rechnen. Die EU und die USA sind wichtige Abnehmermärkte für Schweizer Exporte; geht es diesen Blöcken schlechter, können die Lieferanten aus der Schweiz weniger liefern. Anderseits führen Zölle zwischen den USA und der EU zu Handelsumlenkungen, von denen Drittstaaten wie die Schweiz profitieren könnten.
Hoffnungsschimmer
Doch würden die USA bei Zöllen gegen die EU die Schweiz in den gleichen Topf wie die EU werfen? Die Antwort ist wie so vieles unklar. Laut Beobachtern sprechen einige Elemente dagegen: Trump sei kein Freund des grossen EU-Verbunds, habe aber nichts gegen die Schweiz; die Schweiz habe in den USA insgesamt ein gutes Image; und in der Rangliste der bilateralen Handelsbilanzdefizite der USA liege die Schweiz mit relativ geringen Beträgen nur auf Platz 14 – weit hinter China, der EU und anderen grösseren Ländern. Die Schweizer Diplomatie dürfte jedenfalls versuchen, sich in Washington einzubringen – zum Beispiel mit Verweisen auf die Investitionen, Forschungsaktivitäten und Arbeitsplätze von Schweizer Unternehmen in den USA.
Was täte die Schweiz, wenn neue US-Zölle auch Schweizer Güter träfen? Gegenzölle würden gemäss Beobachtern für die kleine Schweiz mehr Schaden als Nutzen stiften; wahrscheinlicher wären diplomatische Aktivitäten und allenfalls eine Klage bei der Welthandelsorganisation.
Selbst wenn die Schweiz nicht direkt ins US-Visier gerät, könnte sie ein Opfer von EU-Gegenmassnahmen werden. Die Schweiz hat dem Vernehmen nach in Brüssel schon vorgesprochen, um eine Wiederholung des Szenarios des früheren Stahlstreits zu vermeiden. Würden EU-Massnahmen gegen die USA auch Schweizer Importe behindern, wäre dies jedenfalls in der Schweizer Debatte ein Steilpass für die Gegner des Vertrags mit der EU.
Zurzeit ist all dies nicht viel mehr als Kaffeesatzlesen. Man muss nicht bei jeder kleinen Zuckung der USA gleich in Panik verfallen. Aber Fragen nach dem Muster «Was wäre, wenn . . .» gehören für die Handelsdiplomatie wie für die Firmen zurzeit etwas stärker als sonst zu den Hausaufgaben.