Die illegal in die USA Eingereisten stärken mit Geldtransfers in ihre Heimatländer die Wirtschaft Lateinamerikas. Die Länder suchen nun eine Antwort auf Trumps Pläne, um Wirtschaftskrisen zu verhindern.
Ende Januar hat der kolumbianische Präsident Gustavo Petro seine lateinamerikanischen Amtskollegen um Unterstützung im Kampf gegen Donald Trump gebeten. Dieser hatte die Ausschaffung von illegal in den USA lebenden Kolumbianern angeordnet. Die Präsidentin von Honduras, Xiomara Castro, berief als Vorsitzende der Gemeinschaft der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (Celac) umgehend eine Sondersitzung ein. Nur um sie kurz darauf wieder abzusagen. Denn Petro hatte Trumps Drohung mit Strafzöllen nachgegeben und den Ausschaffungen zugestimmt.
Castro betonte, wie wichtig es gewesen wäre, die sozialen und wirtschaftlichen Folgen von Trumps Massenausschaffungen im Rahmen der Celac zu diskutieren ebenso wie die anhaltende humanitäre Krise in Haiti. «Aber wieder einmal sind wir auf den systematischen Widerstand von Mitgliedsländern gestossen, die andere Prinzipien und Interessen haben als die Einheit der Region», schrieb Castro.
Politisch tief gespalten
Nicht nur Südamerika, auch Zentralamerika und die Karibik sind politisch tief gespalten. Die Diktaturen in Kuba, Nicaragua und Venezuela stehen in deutlicher Opposition zu Washington. Politische Repression und die chronisch schlechte Wirtschaftslage haben Hunderttausende in die USA getrieben.
«NZZ Pro» – geopolitische Einordnung im Überblick
Kurzgefasst: Kolumbiens Präsident Petro bat um Unterstützung gegen Trumps Massenausschaffungen, gab aber nach, während Honduras’ Präsidentin Castro eine Celac-Sondersitzung absagte.
Geopolitische Einschätzung: Die politische Spaltung Lateinamerikas vertieft sich, doch der US-Einfluss bleibt dominant, trotz Trumps harter Rhetorik und Kürzungen der Entwicklungshilfe.
Blick voraus: Zentralamerika und die Karibik bleiben wirtschaftlich und kulturell stark mit den USA verbunden, während Chinas Engagement enttäuscht – geopolitische Verschiebungen sind unwahrscheinlich.
Die Regierung von Joe Biden hatte Anfang 2023 die Zahl der humanitären Visa mit zweijähriger Gültigkeit für Bürger aus diesen Ländern sowie aus Haiti auf insgesamt 30 000 pro Monat erhöht. Am Ende seiner Amtszeit lebten 116 000 Kubaner mit diesem Schutzstatus in den USA, dazu kamen 211 000 Haitianer, 90 000 Nicaraguaner und 112 000 Venezolaner. Donald Trump kündigte als eine seiner ersten Amtshandlungen das Ende des Programms an.
Was mit den Schutzsuchenden und anderen irregulär eingewanderten Migranten aus diesen Ländern geschieht, ist offen. Von Venezuela soll Trump am Wochenende die Zusage erhalten haben, illegal eingereiste Migranten aufzunehmen. Mit Kuba, das Trump wieder auf die Liste der Terrorfinanzierer gesetzt hat, und Nicaragua, dessen Diktator Daniel Ortega scharfen Sanktionen unterliegt, dürfte ein Rücknahmeabkommen schwierig werden.
Ausschaffungen nach Haiti sind wegen der bürgerkriegsähnlichen Zustände kaum möglich. Der für diesen Donnerstag geplante Besuch des neuen amerikanischen Aussenministers Marco Rubio in der Dominikanischen Republik, Haitis Nachbarland, soll Möglichkeiten ausloten.
Die Dominikanische Republik gehört neben Panama, Costa Rica und – seit dem Amtsantritt des Antikorruptionspolitikers Bernardo Arévalo Anfang 2024 – auch Guatemala zu den proamerikanischen Ländern der Region. El Salvador und Honduras schwankten in jüngerer Zeit zwischen den Lagern.
Reiche Salvadorianer mögen heimkehren
Der salvadorianische Präsident Nayib Bukele, der Donald Trump politisch nahesteht, hatte ein katastrophales Verhältnis zu Joe Biden. Bukele, der das Land mit einer Nulltoleranzpolitik sicherer gemacht hat, rief seine Landsleute in den USA zur Rückkehr auf. Dabei hat er vor allem salvadorianische Rentner mit dicken Bündeln amerikanischer Banknoten im Visier.
Die Beziehungen Washingtons zu Honduras’ linksgerichteter Präsidentin Castro haben sich jüngst deutlich verschlechtert. Nach Ankündigungen der Trump-Administration, dieses Jahr 250 000 Honduraner abzuschieben, drohte Castro mit der Schliessung der Soto Cano Air Base, des grössten amerikanischen Militärstützpunkts in Zentralamerika. Experten sehen das von Armut und Bandengewalt geprägte Land schlecht auf eine grössere Ausschaffungswelle vorbereitet.
Mexiko hingegen, das wirtschaftlich von den USA abhängig ist, bemüht sich um gute Beziehungen. So suchte Präsidentin Claudia Sheinbaum nach der Verhängung von amerikanischen Strafzöllen in Höhe von 25 Prozent auf mexikanische Waren am Samstag den Dialog. Tatsächlich sagte ihr Trump am Montag einen Aufschub der Zölle bis März zu. Allerdings müsse Mexiko den Drogenhandel und die Migration in die USA stoppen.
Sheinbaum hatte gleich nach Trumps Amtsantritt ein Aufnahmeprogramm gestartet, um abgeschobene Mexikaner wieder in deren alter Heimat zu integrieren. Dabei hilft, dass in Mexiko praktisch Vollbeschäftigung herrscht.
Millionen illegal Eingewanderten droht die Ausschaffung
In den USA leben 11 Millionen illegal Eingewanderte. Nach Angaben der Syracuse University von Anfang Januar liegen gegen 3,6 Millionen Menschen Abschiebebescheide vor. Die grösste Gruppe sind Mexikaner mit rund 1,3 Millionen, auf sie folgen Honduraner und Guatemalteken mit jeweils knapp einer halben Million und El Salvadorianer mit 360 000.
Massenausschaffungen würden Rimessen reduzieren, also Geldtransfers von Migranten in ihre Heimatländer. Mexiko war 2024 mit 68 Milliarden Dollar Spitzenreiter in der Region – und hat am meisten zu verlieren. Unter den illegal eingereisten Migranten stellen Mexikaner mit 4 bis 5 Millionen die grösste Gruppe. Allerdings machen die Rimessen nur 3,4 Prozent des mexikanischen Bruttoinlandproduktes aus. Dagegen wird rund ein Drittel der Wirtschaftsleistung durch Exporte in die USA erwirtschaftet.
Unter den proamerikanischen Ländern ist Guatemala das Land mit der grössten Abhängigkeit von Rimessen. Im Jahr 2024 wurden laut der Weltbank 21,6 Milliarden Dollar überwiesen, was 19,6 Prozent der Wirtschaftsleistung entspricht. Die Dominikanische Republik erhielt 11 Milliarden Dollar, was 8,7 Prozent entspricht. In Panama (0,6 Prozent der Wirtschaftsleistung) und Costa Rica (0,7 Prozent), beides keine traditionellen Auswanderungsländer, ist der wirtschaftliche Einfluss der Rimessen gering.
Washingtons Gegner leben von Rimessen
Besonders wichtig sind die Rimessen in den Ländern, die Washington gegenüber ablehnend eingestellt sind. In Nicaragua entsprechen die 5,1 Milliarden Dollar Rimessen 27,2 Prozent der Wirtschaftsleistung, in Honduras sind es mit 9,4 Milliarden Dollar 25,2 Prozent. Dies dürfte der Grund für die Drohungen von Präsidentin Castro gegenüber den USA sein. Massenausschaffungen ihrer Landsleute würden die honduranische Wirtschaft schwer treffen.
Ähnliches droht El Salvador, wo die 8,3 Milliarden Dollar an Rimessen 23,5 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmachen. Es folgt Haiti mit 4,5 Milliarden (18,7 Prozent). Für Kuba gibt es wegen der amerikanischen Sanktionen, die Überweisungen praktisch unmöglich machen, nur Schätzungen. Die Washingtoner Denkfabrik The Inter-American Dialogue rechnet für 2023 mit knapp 4 Milliarden Dollar, einem Viertel des kubanischen Bruttoinlandprodukts. Für das diktatorisch regierte Venezuela liegen der Weltbank keine Daten vor.
Für Zentralamerika und die Karibik insgesamt hat die Weltbank eine Verdoppelung der offiziellen Rimessen von 2017 bis 2024 von 81 auf 163 Milliarden Dollar errechnet. Die weitere Entwicklung hängt vom Ausmass der Ausschaffungen unter Donald Trump ab.
In seiner ersten Amtszeit blieben Trumps Ausschaffungszahlen hinter seiner harten Rhetorik zurück. Sowohl Barack Obama als auch Joe Biden weisen höhere Zahlen auf als Trump. So wurden in der ersten Amtszeit Obamas 3,1 Millionen Migranten ausgeschafft oder abgeschoben, in der zweiten waren es 2,1 Millionen. Trump kam nur auf 2 Millionen, während Biden auf fast 5 Millionen kam, allerdings bedingt durch hohe Abschiebezahlen aufgrund von Covid-Sonderregelungen an der Grenze.
Keine geopolitischen Konsequenzen
Es ist davon auszugehen, dass der Einfluss der USA in der Region trotz Trump weiterhin gross bleibt. Daran ändert auch die Streichung der Entwicklungshilfe von USAID in Lateinamerika – immerhin 2 Milliarden Dollar im Jahr 2023 – durch Trump nichts. Ebenso wenig wie die Beschimpfung von El Salvador und Haiti als «shithole countries» oder den Latinos als «Vergewaltiger». Zu stark ist die kulturelle Identifikation mit dem amerikanischen Lebensstil. Zudem geht es den proamerikanischen Ländern wirtschaftlich gut, während die Antagonisten Washingtons auch mit der Hilfe Chinas oder Russlands nicht auf die Beine kommen.
Die Erwartungen an China wurden enttäuscht. Fünf Länder Zentralamerikas und neun Länder der Karibik haben sich der chinesischen Belt-and-Road-Initiative, Pekings neuer Seidenstrasse, angeschlossen. Doch China konzentriert seine Investitionen auf die rohstoffreichen Länder Südamerikas. Von den rund 185 Milliarden Dollar, die China zwischen 2000 und 2022 in Lateinamerika investiert hat, flossen nur rund 1,5 Milliarden nach Zentralamerika. Gleichzeitig sind die Handelsbilanzdefizite dieser Länder gegenüber China geradezu explodiert.
So fiel es Panamas Präsidenten José Raúl Mulino am Sonntag leicht, die Beziehungen zu China zu opfern. Drohungen der USA, den angeblich unter chinesischem Einfluss stehenden Panamakanal unter amerikanische Kontrolle zu bringen, wischte Mulino beiseite. Aber er bot den USA ein Trostpflaster an: den Rückzug Panamas aus der chinesischen Seidenstrassen-Initiative.