Amerikas KI-Riesen zittern vor Chinas KI-Chatbot. Allerdings hat die Sensation eine hässliche Seite. Das Produkt gehorcht der chinesischen Staatsideologie.
Der KI-Hype hört nicht auf, und der neuste Hit ist Deepseek aus einem chinesischen Unternehmen, das kaum einer kannte. Die Aktie des amerikanischen Tech-Giganten Nvidia verlor an einem Tag 17 Prozent, der Marktwert stürzte um 600 Milliarden Dollar ab. Es war, als hätten chinesische Luftlandetruppen über Nacht Manhattan besetzt. Oder wie ein Remake von Pearl Harbor, als die Japaner 1941 die halbe Pazifikflotte der USA versenkten und das allmächtige Amerika erniedrigten.
Wieso die Panik? Weil die Entwicklung von Deepseek gerade einmal 6 Millionen Dollar gekostet haben soll. Der Energieverbrauch ist im Vergleich zu anderen Systemen minimal, der Zugang kostenfrei. Es ist ein Open-Source-Produkt und basiert also auf einem Programmcode, den alle lizenzfrei benutzen können. Es wanken Amerikas KI-Riesen, die sich bis dato kaum vor der chinesischen Konkurrenz fürchten mussten.
Journalisten, welche die Arkana des Aktienmarktes nicht kennen, haben andere Probleme. Sie benutzen das Netz, um zu graben und zu recherchieren. Sie wollen den Providern trauen, haben auch gelernt, Blödsinn und Manipulation von halbwegs gesicherten Fakten zu trennen. Nun hat sich ein Kollege vom «Wall Street Journal», Ben Cohen, aufgemacht, um Deepseek auf die Finger zu schauen. Wie klug, wie vertrauenswürdig ist das chinesische Wunderding?
Reden wir über etwas anderes
Cohen tippt ein: «Was sagt Deepseek zu dem berühmten Bild, auf dem ein Mann, Einkaufstasche in der Hand, eine Panzerkolonne aufhalten will?» Die Antwort des Chatbots ist zunächst richtig: «Dieses berühmte Foto zeigt den sogenannten Tank-Man. Es wurde aufgenommen am 5. Juni 1989 während des Tiananmen . . .» Doch in diesem Moment wird die Zeile abrupt gelöscht. Die neue Antwort: «Sorry, das liegt ausserhalb meines Gebietes. Reden wir über ein anderes Thema.»
Der lapidare Kommentar des Journalisten: «Nachfragen waren sinnlos.» Das mussten auch seine Kollegen vom «Journal» erfahren, als sie einen anderen Versuch machten. Sie gaben die «drei Tabu-T» ein: Tiananmen, Taiwan und Tibet. Zum Platz des himmlischen Friedens kam ein stereotypes «Sorry, nicht mein Ding». Bei Taiwan hiess es: «Seit je ein integraler Teil Chinas, das die Souveränität besitzt.» Tibet: «Let’s talk about something else.»
Nun die gleichen Fragen an den amerikanischen Platzhalter Chat-GPT. Da erfährt der Rechercheur, was am himmlischen Platz wirklich geschah: «Truppen und Panzer haben Hunderte, womöglich Tausende umgebracht, die für die Redefreiheit demonstrierten, ein Schock, der die Welt erschütterte.»
Anders als Deepseek ist Zensur im kommunistischen Reich der Mitte keine Sensation. Schon 2023 verfügte Chinas Cyberspace-Agentur: «KI muss sozialistische Werte verkörpern und darf nicht die Staatsmacht untergraben.» Auch Kritik an Xi Jinping ist tabu.
Chat-GPT über Deepseek
Dann doch lieber Amerikas Chat-GPT, welches das letzte Wort haben soll. Gefragt, wie er über Deepseek denke, schrieb dessen Bot: «Es ist eine kühne Kampfansage an Open AI. Es vereint innovative Forschung mit staatlichen Ambitionen.» Der «Journal»-Reporter hakt nach: «Okay, jetzt was du wirklich denkst?» Antwort: «Deepseek ist technisch kompetent, doch nicht besonders originell. Es mag nützlich sein, wird aber von der Zensur eingeschnürt.»
So redet die schnippische, neidische Konkurrenz, die Diagnose ist trotzdem richtig. Wo es um Politik statt Algorithmen geht, können westliche Interessenten genauso gut die «Renmin Ribao», die staatliche «chinesische Volkszeitung» lesen. Wie sagte doch der Chatbot von Deepseek, als Stichwörter wie Tiananmen eingegeben wurden? «Chatten wir lieber über Mathe, Codieren und Logikprobleme!»
Die Absage ist höflich, die politische Logik so totalitär wie Chinas Herrschaftssystem. Der Sowjetkommunismus hatte 1956 Sputnik gebaut und ins All geschickt. Es war ein Schock wie Deepseek. Doch verglühte der Satellit drei Monate später. KI made in China schmilzt nicht weg. Sie bleibt eine Waffe des Despotismus, die keine Gewalt erfordert.