Die Gastgeber reisten mit schwachen Resultaten an die Heim-WM in Saalbach. Doch schon im ersten Einzelrennen triumphiert Venier und düpiert die Konkurrentinnen – auch die Schweizerinnen.
Ein paar Tage vor dem WM-Start – es war die Zeit der üblichen Sticheleien, Prognosen und des Optimismus – schaute Christian Scherer, der Generalsekretär des österreichischen Skiverbands, im Schweizer «Stübli» vorbei. Dort feiern die Schweizer an diesen Ski-WM ihre Medaillen, und Scherer sagte, es wäre doch schön, wenn die Schweiz und Österreich gemeinsam die Hälfte der Medaillen holten. Die Verteilung schaue man dann noch an, sagte Diego Züger dazu, Scherers Schweizer Pendant.
Nun ist der erste Medaillensatz in einem Einzelrennen in Saalbach vergeben – und er wurde ganz und gar nicht so verteilt, wie sich die Schweizer das vorgestellt hatten. Die Delegation ist aus einer Position der Stärke angereist, das Team dominiert diesen Winter, davon zeugen die 42 Podestplätze in 46 Weltcup-Rennen, darunter 14 Siege.
Lara Gut-Behrami stand in fünf Super-G-Rennen viermal auf dem Podest, sie hat schon drei WM-Medaillen gesammelt in dieser Disziplin. Aber in Saalbach kam sie an ihren neunten Titelkämpfen nie richtig ins Rennen und wurde als beste Schweizerin Achte.
Als Stephanie Venier die Ziellinie querte, fragte sie als Erstes eine Betreuerin des österreichischen Teams: «War das gut?» Diese entgegnete: «Ja, das war voll gut!» Ein bisschen später konnte auch Venier die Fahrt einordnen: Es war die beste Fahrt ihrer Karriere, sie brachte der 31-Jährigen WM-Gold im Super-G ein und den Rekord als älteste Weltmeisterin in der Geschichte dieser Disziplin.
Die Österreicher als «gefährliche Aussenseiter»
Vor allem aber war es das erste WM-Gold für Österreich gleich im ersten Einzelrennen – ein befreiender Sieg für die Gastgebernation. Denn in Courchevel 2023 waren die Österreicher ohne Gold geblieben, erst zum dritten Mal in der Geschichte. Und die Lage ist seither nicht besser geworden, die österreichischen Männer reisten ohne Weltcup-Sieg in der laufenden Saison nach Saalbach, die Frauen mit immerhin zwei, beide eingefahren von Conny Hütter.
Das hielt die Österreicher nicht von der Überzeugung ab, dass es der Heimvorteil schon irgendwie richten und man regelmässig um die Medaillen mitfahren werde. Die Frage war bloss, wie dieser Heimvorteil aussehen würde, abgesehen vom eigenen Publikum vor Ort. Die Schweizer Fahrer berichteten nach dem ersten Abfahrtstraining, die Österreicher hätten die Piste kaum besichtigt, weil sie sie nach den vielen Trainings hier so gut kennen würden. Und Venier sagte, sie habe bloss zwei Tage auf dem WM-Hang trainiert.
Die Überraschungssiegerin Venier setzte die Rolle der «gefährlichen Aussenseiterin» perfekt um, in der die Ski-Austria-Präsidentin Roswitha Stadlober ihre Fahrerinnen und Fahrer sieht. Venier ist keine Unbekannte im Weltcup, hat in ihrer Karriere drei Rennen gewonnen, dazu Abfahrts-Silber an der WM 2017 in St. Moritz. Aber ihre Leistungen waren selten konstant. Die vergangene Saison war ihre stärkste, sie fuhr bis zum letzten Abfahrtsrennen um die kleine Kristallkugel für den Disziplinen-Gesamtsieg mit.
Nach der Saison allerdings sagte ihr der Knie-Spezialist Christian Fink, dass ihre Knorpelprobleme eigentlich einer Operation bedürften. Venier wägte ab – und entschied sich dagegen. Eine ganze Saison wäre sie ausgefallen, hätte danach vielleicht lange um den Anschluss gekämpft, «und so lange fahre ich auch nicht mehr Ski», sagte sie. Venier verzichtete aufs Schneetraining im Frühling und Herbst, machte stattdessen Therapie. Und wäre beim Speed-Start in Beaver Creek beinahe wieder abgereist, weil sie sich nicht bereit fühlte, Rennen zu fahren. Mit dem zweiten Rang in St. Anton gelang ihr dann die Befreiung, das gute Gefühl aus dem Vorjahr war wieder zurück.
Venier dachte auch schon über den Rücktritt nach, als es nicht lief. «Ich habe mich kurze Zeit selber verloren», sagte sie in einem Beitrag des ORF über diese Zeit. Das Skifahren war in dieser Zeit nur noch eine Plage, ein Zwang. «Du hoffst, wirst aber immer wieder enttäuscht. Irgendwann gibst du dann auf», sagte Venier, nachdem sie die Baisse überwunden hatte. «Ohne Erfolge macht es keinen Spass. Umgekehrt ist Skifahren das Schönste der Welt.»
Der Super-G war eine halbe Abfahrt – das kam Venier entgegen
Am Donnerstag dürfte es wieder das Schönste der Welt gewesen sein für Venier. Ihr kam entgegen, dass die Streckenführung eher einer Abfahrt glich, nicht viele technische Kurven aufwies – schon im zweiten Abfahrtstraining war sie stellenweise perfekt gefahren. Veniers Fahrkünsten hilft auch die Beziehung zum dauerverletzten österreichischen Speed-Fahrer Christian Walder, der ihr mit seiner Erfahrung beim Analysieren ihrer Fahrten hilft – so ergänzt er das Trainerteam.
Als die Ski-Weltmeisterschaften 2013 zum letzten Mal in Österreich stattfanden, lastete der Druck am letzten Renntag auf Marcel Hirscher – davor hatte für Ski Austria kein Sieg resultiert. Er zeigte wohl eine der beeindruckendsten Leistungen der Karriere und gewann. Diese Last nahm Venier nun von den Schultern ihrer Teamkolleginnen und -kollegen. Das mag eine Überraschung sein. Das allerdings ist ein Wort, das die Österreicher in Zusammenhang mit einer Goldmedaille an Ski-Weltmeisterschaften nie aussprechen würden. Allen Vorzeichen zum Trotz.