Sie hat gute Beziehungen zu Washington, immer mehr Einfluss in Brüssel und eine stabile Regierung: Italiens Regierungschefin befindet sich in einer unerwartet starken Machtposition. Im Umgang mit Donald Trump wird sich zeigen, wie sie diese ausspielen will.
Ende Mai wird Giorgia Melonis Autobiografie auf Englisch erscheinen. Das Cover ist identisch mit dem italienischen Original, mit einer Ausnahme: Rechts unten wird ein runder Sticker kleben, auf dem steht: «Meloni is a fantastic leader!» Zugeschrieben wird das Zitat «Donald J. Trump». Offenbar sieht sie im neuen amerikanischen Präsidenten einen verkaufsfördernden Fürsprecher.
Meloni macht kein Geheimnis aus ihrer Nähe zu Trump und seinen Machtzirkeln. Nicht nur, dass sie bereits vor Trumps Amtsantritt nach Mar-a-Lago reiste und als einzige europäische Regierungschefin an dessen Inauguration teilnahm. Auch demonstriert sie seit längerem eine freundschaftliche Beziehung zu Elon Musk.
Die Italienerin hat diese Beziehungen bereits gepflegt, als die meisten europäischen Regierungen noch nicht an Trumps Wiederwahl glauben wollten. Die offensiv zur Schau getragene Nähe – besonders zu Musk – hat etwas Anbiederndes, die Reise zur Amtseinführung etwas Unterwürfiges, denn sie war eine reine Gefälligkeit.
Doch Meloni hat sich damit in Europa eine einzigartige Position erarbeitet. Zwar gibt es noch ein paar weitere Trump-treue Konservative mit Regierungsverantwortung: der ungarische Ministerpräsident etwa oder der polnische Präsident. Aber Meloni ist die Einzige, die gleichzeitig Wert auf gute Beziehungen zur Europäischen Union legt. Schon heisst es, sie könnte als Brückenbauerin zwischen der neuen amerikanischen Administration und dem aufgescheuchten Europa wirken. Ob sie diese Rolle auch wahrnehmen wird? Das hängt davon ab, ob man sie lässt – und ob Meloni das will.
Italien: eher ein Problemfall als ein Zugpferd
Es wäre eine ungewohnte Position für Italien. Zwar ist das Land Gründungsmitglied der EU und nach Deutschland und Frankreich die drittgrösste Volkswirtschaft in der Union. Doch in den letzten zwei Jahrzehnten wurde das Land eher als ein Problemfall denn als Zugpferd wahrgenommen: politisch instabil, tief verschuldet und geprägt von bisweilen korrupten, reformbedürftigen Strukturen.
Es wäre auch eine unerwartete Rolle für Giorgia Meloni. Seit ihrem Einzug in den Palazzo Chigi vor etwas mehr als zwei Jahren begegnete man ihr mit viel Skepsis. Eine Postfaschistin, die sich in ihren von Nationalismus gespickten Reden gerne heiser schreit, paktiert mit der Lega von Matteo Salvini und Silvio Berlusconis rechtspopulistischer Forza Italia – das weckte Befürchtungen, dass sich Italien unter ihrer Führung in den internen Kulturkampf zurückziehen und, ähnlich wie Ungarn, die europäischen Werte herausfordern würde.
Doch die Zeiten ändern sich – in Italien und in Europa. Giorgia Meloni ist länger im Amt als der Durchschnitt der meisten italienischen Regierungschefs. Sie ist eine stabile Kraft, während Frankreich vier Regierungschefs in zwölf Monaten hatte und Deutschland vor vorgezogenen Neuwahlen steht. Zwar gibt es auch in Melonis Dreierkoalition Streit. Die Zusammenarbeit wurde dadurch aber bisher nie gefährdet – wohl auch, weil die Regierungschefin mit ihren stabil hohen Zustimmungswerten in der Lage ist, ab und zu ein Machtwort zu sprechen. Es ist realistisch, dass Meloni die Legislaturperiode zu Ende führen wird.
Befürchtungen, die Postfaschistin würde Italiens Institutionen aushöhlen, Geschichtsrevisionimus im grossen Stil betreiben oder das Land weg von Brüssel und näher an Putins Russland hinführen, haben sich nicht bewahrheitet. Giorgia Meloni geht ihren eigenen Weg. Die Tür nach Rechtsaussen hat sie nie zugeschlagen, aber sie hat die Bande auch nicht vertieft. Ihre Agenda ist nationalistisch und wertkonservativ, aber nicht extrem.
Im Inland hat sie davon noch nicht viel umgesetzt, von Massnahmen zum Schutz der traditionellen Familie einmal abgesehen. Die drei grossen Vorhaben – eine Staatsreform, eine Justizreform und die politische Stärkung der Regionen – sind nach zwei Jahren noch immer nicht spruch- oder gar abstimmungsreif. Doch in einem Politikfeld hat Meloni Erfolge vorzuweisen. Diese zählen umso mehr, als viele andere Regierungen in Europa hierin scheitern.
Politischer Rückenwind und Koalition unter Kontrolle
In Italien ist die Zahl der illegal einreisenden Migranten, die über das zentrale Mittelmeer kamen, 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 59 Prozent zurückgegangen. Durch den Input Melonis und dank der Unterstützung durch die EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen sowie den damaligen niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte schloss die EU im Sommer 2023 ein Abkommen mit Tunesien. Dadurch verpflichtete sich das nordafrikanische Land, die irreguläre Einwanderung über das Mittelmeer einzudämmen. Im Gegenzug bekommt Tunis Finanzhilfe in Millionenhöhe. Nach eineinhalb Jahren Laufzeit zeigen die jüngsten Frontex-Zahlen, dass die Vereinbarung funktioniert.
Eine weitere Hoffnung der europäischen Migrationspolitik hat ihren Ursprung ebenfalls in Rom. Das Land will aussereuropäische Asylverfahren testen und hat entsprechende Zentren in Albanien eingerichtet. Zwar scheiterte deren Nutzung bisher an juristischen Hürden. Dennoch gibt man sich in Rom überzeugt, dass sie funktionieren werden. Giorgia Meloni trägt deswegen gerade einen epischen Kampf mit Italiens Justiz aus.
Die Hoffnung hinter dieser kostspieligen Lösung: Gesunde männliche Asylsuchende mit wenig Aussicht auf ein Bleiberecht würden gar nie europäischen Boden betreten. Ihr Schicksal würde potenzielle Migranten abschrecken, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Nicht nur die Zahl der Asylgesuche würde sinken, auch das Problem der nicht vollzogenen Abschiebungen würde sich reduzieren, lautet die Argumentation.
Noch steht der Erfolg in dieser Causa aus. Aber ihr entschiedenes Handeln in der Migrationsfrage hat dazu beigetragen, dass man Giorgia Meloni in Brüssel ernst nimmt. Der Italienerin ist es gelungen, die EU-Kommission zu überzeugen, dass die chronische Überforderung ihres Landes durch Migranten ein europäisches Problem ist.
Eine Frage der Ambitionen
Wird ihr das auch in anderen Politikfeldern gelingen? Fest steht: Melonis Werte und Ziele finden in vielen Ländern Europas zunehmenden Zuspruch. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie im Europäischen Rat bald mehr Verbündete findet. Dass sie weniger radikal auftritt als zum Beispiel Viktor Orban, ist dabei ein Vorteil.
Mit Gegenwind muss sie aber weiterhin rechnen. Denn selbst wenn in Paris und Berlin derzeit die Innenpolitik die Agenda bestimmt: Es ist schwer vorstellbar, dass Deutsche und Franzosen Meloni und ihren Mitstreitern die Bühne überlassen. Die Vorbehalte gegenüber der politischen Ausrichtung der Italienerin sind nicht verschwunden. Noch gibt es Regierungen, die sich dem von Meloni und auch anderen gewollten Rückbau Europas entgegenstellen – allen voran Frankreich.
Viel entscheidender ist allerdings, ob die italienische Regierungschefin sich überhaupt in den Dienst Europas stellen möchte. Meloni sieht sich nicht als Europäerin. Die EU ist für sie Mittel zum Zweck, einen Gestaltungsanspruch zeigt sie bis anhin nicht.
Ein Gespür für die geopolitischen Veränderungen beweist sie aber sehr wohl. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Nationalistin vor allem auf der internationalen Bühne an Statur gewonnen hat. Kürzlich antwortete sie in einem Instagram-Video auf die Frage, warum sie so viel Energie in die Aussenpolitik investiere: weil diese eben auch Innenpolitik sei, Türen öffne für die italienische Wirtschaft und Arbeitsplätze schaffe. Das sagt die Regierungschefin, während sie Javier Milei umarmt und Narendra Modi die Hand schüttelt. Der Social-Media-Post ist ein Beispiel dafür, wie entschieden Meloni ihr Land in der multipolaren Welt positioniert.
Wie weit sie gehen will, könnte sich schon sehr bald zeigen. Donald Trump droht auch europäischen Ländern mit einem Handelskrieg. Noch ist unklar, ob Zölle nur einzelne Länder oder die ganze Union betreffen werden. Wie wird Giorgia Meloni reagieren? Wird sie ihren guten Draht nach Washington nutzen, um den Konflikt zu entschärfen – auch wenn Italien nicht oder weniger von Zöllen betroffen wäre als andere? Oder riskiert sie den Bruch in der EU, indem sie die Beziehungen nach Washington allein für italienische Interessen nutzt? Diese Versuchung wäre da: Italien ist nach Deutschland Europas zweitgrösster Exporteur in den amerikanischen Markt. Das Land würde unter Trumps Zöllen besonders leiden. Sie würden angesichts der schwachen Wirtschaftsentwicklung gravierende Folgen nach sich ziehen.
Beide Reaktionen sind denkbar – und sie werden das Bild von Meloni entscheidend prägen. Bis jetzt beherrscht sie das Schwanken zwischen zwei Stilen meisterhaft: In ihren Auftritten wirkt die 48-Jährige oft noch als die Wahlkämpferin einer Oppositionspartei: schrill, derb und populistisch. Doch in ihrer Politik dominiert der Pragmatismus. Dass Giorgia Meloni heute so sehr im Rampenlicht steht, liegt nicht nur an der Schwäche von Europas Führungsnationen. Sie ist eine der talentiertesten Politikerinnen auf dem Kontinent und eine der mächtigsten dazu.