Eine Volksinitiative will Suizidhilfe sogar in Strafanstalten ermöglichen. Das geht der Regierung zu weit. Deshalb hat sie einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der Alters- und Pflegeheime verpflichtet, den assistierten Suizid zu erlauben.
Wenn es um Sterbehilfe geht, werden die Diskussionen schnell emotional. Ähnlich ist es, wenn es um Freiheit geht. Kommt beides zusammen, kann das in Diktatur-Vorwürfen münden.
So geschehen im Zürcher Kantonsrat vor drei Jahren, als dieser darüber entscheiden musste, ob Alters- und Pflegeheime dazu verpflichtet werden, Bewohnern einen assistierten Suizid zu ermöglichen.
Bis anhin ist es so, dass nicht alle Zürcher Heime Sterbehilfeorganisationen den Zutritt gewähren. Für einen assistierten Suizid müssen die Bewohner in diesem Fall das Heim zum Sterben verlassen.
Hier bekommen Sie Hilfe:
Wenn Sie selbst Suizidgedanken haben oder jemanden kennen, der Unterstützung benötigt, wenden Sie sich bitte an die Berater der Dargebotenen Hand. Sie können diese vertraulich und rund um die Uhr telefonisch unter der Nummer 143 erreichen. Spezielle Hilfe für Kinder und Jugendliche gibt es unter der Nummer 147.
Es sei ein Unding, fand die linke Seite, wenn schwerkranke Menschen kurz vor ihrem Tod noch ihr gewohntes Umfeld verlassen müssten. Damit würden die Freiheitsrechte willkürlich eingeschränkt. Zumal der assistierte Suizid hierzulande erlaubt sei.
Die Bürgerlichen sahen dagegen einen unverhältnismässigen Eingriff in die Unternehmenskultur der Heime. Was sei mit einem Heim, hinter dem eine religiöse Trägerschaft stehe, welche Sterbehilfe ablehne? Müsse dieses sogar gezwungen werden, einen assistierten Suizid zu erlauben? Und widerspreche dies nicht sogar der Religionsfreiheit?
Am Ende kam ein Entscheid dabei heraus, der sowohl ethische wie finanzielle Fragen zu berücksichtigen schien. Heime, die von Zürcher Gemeinden geführt oder beauftragt sind, wurden gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Bewohnern Sterbehilfe in ihren Räumen zu ermöglichen. Private Heime ohne einen sogenannten Leistungsauftrag einer Gemeinde sind davon ausgenommen.
Damit schien ein Kompromiss gefunden. Laut einer Umfrage des Heimverbands Curaviva lassen 75 Prozent der Zürcher Heime Sterbehilfe zu. Es scheint also für Personen, die diese in Anspruch nehmen wollen, genügend Auswahl zu geben. Die Anpassung gilt seit dem 1. Juli 2023.
Rickli spricht von «irreführendem Titel»
Aber damit war das Thema noch nicht vom Tisch. Denn ein Komitee, unterstützt von den Sterbehilfeorganisationen Exit und Dignitas, sah das Dilemma weiter bestehen. Ihr Argument: Jede Einrichtung, die eine Dienstleistung erbringe, für die in irgendeiner Form finanzielle Mittel vom Staat flössen, stehe in der Pflicht, «die Grundfreiheiten und Menschenrechte zu respektieren».
Das Komitee sammelte über 13 000 Unterschriften, die Volksinitiative «Selbstbestimmung am Lebensende auch in Alters- und Pflegeheimen» kam zustande. Die Initiative ist weiter gefasst, als der Titel vermuten lässt. Laut Gesetzesänderungsvorschlag kann die Sterbehilfe neben privaten Heimen auf weitere Institutionen ausgeweitet werden: etwa auf Spitäler einschliesslich psychiatrischer Einrichtungen, auf ambulante Institutionen, und sogar in Strafanstalten soll Suizidhilfe möglich werden.
Am Freitag reagierte der Zürcher Regierungsrat auf das Volksbegehren. Er lehnt dieses ab. «Es ist ein irreführender Titel», sagt die Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli zur NZZ. Die Initiative gehe deutlich weiter und hätte grosse Auswirkungen. «Sie ist mit dem Grundauftrag der meisten Institutionen schlicht nicht vereinbar.»
Der Regierungsrat begründet seine Ablehnung mit konkreten Beispielen. So würden etwa die Spitäler nicht primär Personen am Lebensende betreuen. Vielmehr gehe es dort darum, die Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen. Die Ermöglichung des assistierten Suizids könne im Widerspruch zu Palliative Care, zur medizinischen Betreuung am Lebensende, stehen. Zudem könnten sich ältere Patienten unter Druck gesetzt fühlen, Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, um Angehörige oder das Gesundheitswesen nicht zu belasten.
Noch grössere Risiken sieht der Regierungsrat bei psychiatrischen Einrichtungen. Die Patienten dort seien tendenziell suizidgefährdeter, deren Urteilsfähigkeit sei aber situativ sehr unterschiedlich. Gefängnisse schliesslich seien sowieso keine Orte, wo sich mehrheitlich Leute am Lebensende aufhalten würden. Der Staat habe hier zudem eine besondere Schutzpflicht, die eben gerade auch Suizide verhindern solle.
Für die Gesundheitsdirektorin steht fest: Die Initiative könne man nicht ohne Gegenvorschlag präsentieren. Einen solchen Gegenvorschlag bringt der Regierungsrat nun ins Spiel: Neu sollen alle Alters- und Pflegeheime dazu verpflichtet werden, Bewohnern einen assistierten Suizid zu ermöglichen. Mitgemeint sind damit auch die privaten Einrichtungen, die bisher frei von Verpflichtungen waren.
Damit unterstütze man das Hauptanliegen der Volksinitiative, das Selbstbestimmungsrecht der Heimbewohner über die Autonomie der Heime zu stellen, argumentiert der Regierungsrat. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit der Heime werde dadurch nicht unverhältnismässig eingeschränkt: «Da diese nicht aktiv am assistierten Suizid mitwirken, sondern lediglich externen Organisationen den Zutritt ermöglichen oder ihn tolerieren müssen.»
Ein Sinneswandel. Bisher sprach sich die Gesundheitsdirektion dafür aus, dass Heime in ihren Leitbildern und auf ihrer Website klar kommunizieren, ob sie den begleiteten Suizid in ihren Räumlichkeiten erlauben oder nicht und wie sie mit diesem Thema umgehen. So könne man diesen wichtigen Punkt bereits vor Eintritt ins Heim berücksichtigen.
Eine Umfrage bei Heimen hat laut Rickli aber ergeben, dass die Thematik sowie die Handhabe in vielen Heimen nicht transparent oder nicht ausreichend dokumentiert wird.
Ihr sei bewusst, dass einige private Heime nun keine Freude hätten. Es sei ein Stück weit ein Eingriff in deren Wirtschafts- und Glaubensfreiheit. Aber dieser sei gerechtfertigt, weil der Entscheid von den Bewohnern gefällt werde und nicht von den Institutionen. Sie denke dabei auch an Fälle, bei denen sich Bewohner am Ende doch noch für einen assistierten Suizid entschieden hätten.
Unmenschliche Situationen mit Schwerstkranken
Brigitte Röösli, Mitglied des Initiativkomitees und SP-Kantonsrätin, sagt: «Auf mich wirkt es so, als ob der Regierungsrat die Initiative zu spitzfindig interpretiert.» Gerade in ambulanten Institutionen wie Hausarztpraxen oder Tageskliniken, die laut dem Regierungsrat von der Initiative auch betroffen seien, sei die Suizidhilfe nicht vorgesehen. Deren Besucher seien ja noch mobil.
Die Grundidee ist laut Röösli vielmehr, dass Sterbehilfe dort ermöglicht werde, wo die Menschen Tag und Nacht dauerhaft lebten. Dazu zählen für sie auch Spitäler und Gefängnisse. Gerade Letztere würden je länger, je mehr Bereiche zu Altersheimen ausbauen. Röösli sagt: «Wenn Suizidhilfe dort nicht möglich ist, wird den Menschen das Selbstbestimmungsrecht verwehrt.»
Auch die Sterbehilfeorganisation Exit ist nicht zufrieden mit dem Gegenvorschlag der Regierung. Sie wirft dem Regierungsrat vor, er wolle transportunfähigen Patienten in Zürcher Spitälern «das selbstbestimmte Sterben auch in Zukunft auf unmenschliche Art und Weise verwehren». Dies führe zu unmenschlichen Situationen, wenn Schwerstkranke unter Schmerzen gezwungen würden, an Orte zu fahren, an denen ihnen ihr Recht nicht verwehrt werde.
Die Argumente des Regierungsrates bezeichnet Exit als seit Jahrzehnten widerlegt. Die Palliative Care verstehe das selbstbestimmte Sterben als eine Alternative, und auch der Schutz von Patienten sei überall im Kanton Zürich gewährt. Man zähle darauf, dass «der unrechtmässige Gegenvorschlag» abgelehnt und die Volksinitiative unterstützt werde.
Initiative wie Gegenvorschlag kommen nun in den Kantonsrat, danach geht das Stimmvolk an die Urne. Exit gibt sich bereits siegesgewiss: In den letzten Jahren seien sämtliche Volksabstimmungen mit klarer Mehrheit im Sinn der Selbstbestimmung ausgegangen.