Der Amerikaner ist an den Olympischen Spielen 1972 in München die prägende Figur – später wird er ein gewiefter Geschäftsmann und erlebt ein missratenes Comeback.
Eigentlich gehört zum kleinen Einmaleins des Berühmtseins, dass man es nicht nötig hat, für sich selbst die Werbetrommel zu rühren. Als Menschen von Rang und Namen und als Legende einer wichtigen olympischen Sportart kennt einen schliesslich die ganze Welt.
Darum wundert sich, wer dieser Tage die Website von Mark Spitz besucht. Neben dem attraktiven Porträtfoto – selbstbewusst, weiss-grau melierte Haare und ein freundliches Lächeln – haut der Begleittext kraftvoll auf die Pauke. Er sei der «grösste Schwimmer der Welt», steht da in grossen Lettern. Das klingt danach, als wolle der Amerikaner die letzten fünfzig Jahre Sportgeschichte umschreiben. Als hätte es einen gewissen Michael Phelps nie gegeben.
Wer die zwei getroffen hat, erkannte den Unterschied zwischen den beiden Ausnahmesportlern leicht. Dazu brauchte es keinen Blick auf deren Medaillensammlung: Spitz gewann neunmal olympisches Gold, sieben davon bei den Spielen 1972 in München, Phelps beendete seine Karriere 2016 mit 23 Goldmedaillen.
Spitz verkauft Hollywood-Granden millionenteure Villen
Den besten Anschauungsunterricht bot deren Arbeit im Pool. Phelps, Phänotyp fliegender Fisch mit langen Armen, glitt wie von einer unsichtbaren Kraft angeschoben durchs Wasser. Und anders als sein Landsmann Spitz wirkte er auf dem Trockenen schüchtern und linkisch in seinen Bewegungen und Gesten.
Phelps war im Kontrast dazu wirtschaftlich sehr viel erfolgreicher als Spitz, der nach dem Triumph von München das Zahnarztstudium abbrach und seinen Ruhm ausgiebig versilberte. Was gut funktionierte. Spitz war nicht nur der erste Prototyp des Sonnyboy-Athleten, der als Werbebotschafter für Badehosen und zahllose andere Produkte viel Geld bekam. Sondern auch ein gewiefter Geschäftsmann, der sich in Los Angeles als Immobilieninvestor betätigte.
Zu seinen Kunden gehörten Hollywood-Grössen, die nicht kleinlich waren, wenn sie ihm eine Villa abkauften. «Die Leute legen fünf Millionen Dollar auf den Tisch, nehmen die Schlüssel und gehen», sagte er einmal.
1968 in Mexiko-Stadt erlebt Spitz eine Schmach
Aber all das reichte ihm nicht. Sonst hätte Spitz 1990 mit vierzig Jahren nicht ein Comeback angekündigt und sich den skeptischen Fragen von Reportern ausgesetzt. Die Journalisten zweifelten an seiner Prognose, dass er sich über 100 Meter Delfin für die Olympischen Spiele von Barcelona qualifizieren werde. Etwaige Skepsis tat er unwirsch ab – bis die Fakten siegten. Spitz kam nicht einmal mehr in die Nähe seiner alten Bestzeit von 54,27 Sekunden, dem Weltrekord des Finals in München.
Der Abstand zu den Zeiten der Weltklasse der frühen neunziger Jahre, angeführt vom Amerikaner Pablo Morales mit 52,84 Sekunden, war noch grösser. Spitz räumte ein, er habe zwischen 34 und 39 das verloren, «was jeder irgendwann einbüsst: Grundschnelligkeit».
Beim Drahtseilakt zwischen markantem Selbstbewusstsein und spektakulärem Scheitern hatte Spitz davor schon einmal versagt – 1968 in Mexiko-Stadt. Damals war er als mehrfacher Weltrekordler und Favorit über seine Stammstrecken angereist und hatte vollmundig den Gewinn von sechs Goldmedaillen annonciert. Die Endabrechnung fiel mit nur zweien – in den beiden Freistil-Staffeln – sehr viel bescheidener aus.
So galt es in München vier Jahre später die Schmach zu tilgen. Spitz sagte: «Der Fokus bestand daraus, Bestleistungen zu liefern.» Das klappte: Er war so dominant wie noch kein Schwimmer in der olympischen Geschichte zuvor.
Souveräner als mit seinen sieben Siegen in sieben Disziplinen ging es nicht, unterstrichen von Weltrekorden in allen sieben Wettbewerben – solo über 100 und 200 Meter Freistil, 100 und 200 Meter Delfin dazu in allen drei Staffeln.
Machte ihn der Schnauz schneller?
Psychologie nach Hausmacherart spielte aber genauso eine Rolle wie das Resultat unermüdlicher Trainingsarbeit. Er liess sich einen Schnauz wachsen – in den siebziger Jahren populäres Männlichkeitssymbol – und behauptete gegenüber Konkurrenten, der leite das Wasser besser an seinem Mund vorbei. Tatsächlich hatte er sich die Haartracht als Protest gegen seinen College-Trainer an der University Indiana wachsen lassen. Er wurde sein Markenzeichen, von dem er sich erst 1988 trennte.
Die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem Druck von aussen erinnerte an die Erziehungsmaximen seines Vaters Arnold. Der hatte ihn von klein auf nicht nur gefördert, sondern vehement gefordert. Sein Motto lautete: «Schwimmen ist nicht alles. Gewinnen ist es.» Und natürlich gehörte bei Spitz eine grosse Portion Selbstinszenierung dazu, wie auf dem berühmten Bild in der Badehose mit dem Sternenbanner-Motiv, breitbeinig, die Arme in die Hüften gestützt und sieben Goldmedaillen um den Hals drapiert.
Die Aufnahme, für die er vom Wochenmagazin «Stern» ein Honorar von 50 000 Dollar einstrich, entstand 1972 nicht etwa in München, sondern in London. Dorthin hatte man ihn unmittelbar nach dem Anschlag palästinensischer Terroristen ausgeflogen. Die Verantwortlichen machten sich Sorgen, dass Spitz, der berühmteste jüdische Athlet der Spiele, dessen Vorfahren aus Ungarn und Russland in die USA ausgewandert waren, ebenfalls Zielscheibe der Attentäter war.
Spitz’ Glauben und Abstammung spielten für ihn nur selten eine Rolle. Ganz anders sein Bedürfnis nach Anerkennung; dieser Hang verfolgte ihn selbst noch 2008, als er öffentlich die Verantwortlichen rügte, dass sie ihn nicht zu den Spielen in Peking eingeladen hatten, wo Michael Phelps seinen Goldmedaillen-Rekord zu brechen gedachte. Solches Desinteresse «ist erniedrigend», sagte Spitz.
Immerhin durfte er 2016 in der US-Delegation an der Seite von Aussenminister John Kerry als einziger ehemaliger Sportler zu den Spielen von Rio de Janeiro reisen. Und er wurde 2022 in einem vom IOK finanzierten Dokumentarfilm aus Anlass des 50-Jahr-Jubiläums der Münchner Spiele gewürdigt. Titel: «72 – A Gathering of Champions – Becoming an Olympic Legend». Diese Legende feiert am 10. Februar den 75. Geburtstag. Und sie wird nicht müde, jeden daran zu erinnern, dass dieser Status noch immer gilt.