Händler brachten einst nicht nur Kühe, sondern auch deren Hirten von Afrika nach Amerika. Das zeigen DNA-Proben und historische Berichte. Die versklavten Viehtreiber erfanden Praktiken, die noch unter heutigen Cowboys gebräuchlich sind.
Immer in der ersten Dezemberwoche finden in Las Vegas die National Finals Rodeo statt, die grösste und wichtigste Rodeo-Veranstaltung der Professional Rodeo Cowboys Association. Die Teilnehmenden messen sich im Reiten ungezähmter Pferde, im Ringen mit Stieren oder im Einfangen von Kälbern. So beliebt ist der Event, dass die Karten für die einzelnen Wettkämpfe meist bis auf den letzten Platz ausverkauft sind. Die Dekorationen der Tribünen und Ränge sind meist in den amerikanischen Farben Blau, Weiss und Rot gehalten. Das Rodeo gilt als eine uramerikanische Angelegenheit, bei der freiheitsliebende Männer – und mittlerweile auch Frauen – Mut und Können zur Schau stellen. Was jedoch wohl kaum einer der Teilnehmenden oder im Publikum weiss: Die ersten Cowboys waren keineswegs freie Amerikaner, sondern Afrikaner, die Händler versklavt und zusammen mit ihren Herden in die Neue Welt verfrachtet hatten.
Den afrikanischen Wurzeln der amerikanischen Rinder ist der Zooarchäologe Nicolas Delsol vom Florida Museum of Natural History auf der Spur. Für seine neueste Studie analysierte er die DNA-Signaturen von 21 Kühen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Die Überreste der Tiere waren an fünf spanischen Siedlungsplätzen in Mexiko und Haiti entdeckt worden. Anschliessend verglich er die Ergebnisse mit dem Erbgut bekannter europäischer und afrikanischer Rassen.
Kolumbus brachte die ersten Kühe
«Ich habe Funde dieser Region ausgewählt, weil sie zu den frühesten Gebieten Amerikas gehörte, die von den Europäern kolonisiert wurden», erklärt er. Die Tiere waren quasi eine Art Pioniere, denn erst mit den Siedlern kamen die Kühe. Ursprünglich gab es in Amerika gar keine Rinder – mit Ausnahme der Herden wild lebender Bisons weiter im Norden, die jedoch innerhalb der Gattung der Eigentlichen Rinder (Bos) eine eigene Art sind.
Die ersten domestizierten Kühe brachte Christoph Kolumbus auf seiner zweiten Reise mit auf die Insel Hispaniola, weitere kamen später von den Kanaren mit den spanischen Eroberern im frühen 16. Jahrhundert. Nach ihrer Ankunft in der Neuen Welt wurden die Rinder vor Ort weiter gezüchtet und dann in andere Regionen Mittelamerikas exportiert. Die grosse Mehrheit der amerikanischen Rinderpopulation – so zumindest die gängige Lehrmeinung – lässt sich demnach auf einen überschaubaren Bestand von lediglich 500 überwiegend spanischen Kühen zurückführen.
Tatsächlich deutet denn auch die DNA von sieben der frühesten untersuchten Rinderproben, die aus der Gegend von Puerto Real in Haiti stammen und in die Zeit zwischen 1500 und 1550 datieren, auf eine europäische Herkunft der Tiere hin. Ein Zahn aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts jedoch, der an einer Stätte namens Bellas Artes in Mexiko gefunden wurde, erzählt eine andere Geschichte. «Das Exemplar BA 24 ist besonders interessant», erläutert Delsol, «denn das mitochondriale Genom, die über die mütterliche Abstammungslinie weitergegebene DNA, weist einige starke Affinitäten zu Rinderrassen auf, die heute nur noch in Afrika vorkommen. Der Fund unterstützt also die Hypothese, dass nicht alle Rinder aus Europa kamen, sondern einige bereits im frühen 17. Jahrhundert direkt aus Afrika importiert wurden.»
Der Import von europäischen Rassen in die Neue Welt hatte nämlich einen entscheidenden Haken: Die Tiere waren nur bedingt für das Klima Mesoamerikas geeignet. Auf der Suche nach Rindern, die sich in diesen feuchtwarmen Breitengraden wohlfühlen würden, richtete sich das Interesse der Viehzüchter deshalb bald weiter nach Süden. «Die afrikanischen Rinderrassen wurden im Laufe der Jahrhunderte bereits an tropische Bedingungen angepasst und waren daher widerstandsfähiger gegenüber den heissen und feuchten Klimabedingungen im tropischen Amerika», sagt Delsol. Dazu passt auch, dass die Rinder hauptsächlich von den Kanaren importiert wurden, die der afrikanischen Küste deutlich näher sind als dem europäischen Kontinent.
Raubzüge in Afrika
Für diese ersten grossen Herden Amerikas aber brauchte es Experten, die sich mit den jeweiligen Eigenarten der Rinderrassen und deren Haltung in freilaufenden Gruppen auskannten. «Die Studie von Nicholas Delsol zum Erbgut ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der frühen Viehimporte – aber sie verrät uns noch nicht viel darüber, wer die Hirten waren», sagt Andrew Sluyter von der Louisiana State University, der sich in seiner Monografie «Black Ranching Frontiers: African Cattle Herders of the Atlantic World» intensiv mit der Geschichte der frühen Cowboys auseinandergesetzt hat. «Zu diesem Thema sind die Archive deutlich informativer.»
Tatsächlich passen zur afrikanischen DNA der Rinder die historischen Berichte, dass im frühen 17. Jahrhundert Hirtenvölker wie die Fulbe aus der Region des heutigen Kamerun besonders beliebt bei den Sklavenjägern waren: Die europäischen Händler raubten auf dem afrikanischen Kontinent also nicht nur die Tiere, sondern deren Hirten gleich mit. Und die legten bald den Grundstein für das, was heute in der ersten Dezemberwoche in Las Vegas als amerikanische Tradition zelebriert wird.
«Archivdokumente belegen, dass es Viehhirten aus Afrika und ihre Nachkommen waren, die in der Neuen Welt Hütepraktiken entwickelten, wie sie für die Viehzucht in Amerika erforderlich waren», sagt Sluyter. Zu diesen Techniken gehörte beispielsweise auch das Roping – heute einer der zentralen Wettbewerbe der National Finals Rodeo: Das Lassowerfen vom Pferd aus erfanden laut Sluyter mexikanische Rinderhirten afrikanischer Herkunft im 16. Jahrhundert, bevor es in Mexiko, den USA und Kanada zur vorherrschenden Methode der Rinderkontrolle wurde.