Das Mittelland ist noch immer voller Panzerhindernisse aus dem Zweiten Weltkrieg. Das brachte die Naturschützer von Pro Natura auf eine Idee: Sie kauften der Armee ein Dutzend der Anlagen ab, um sie zu Verkehrsachsen für die Artenvielfalt auszubauen.
Aus der Distanz wirkt die Hecke wie viele andere. Mehrere hundert Meter weit führt sie über eine Ebene voller Wiesen und Äcker. Erst kurz bevor man vor dem Buschwerk steht, fallen die Gebilde im Innern auf. Da stehen von Menschen errichtete Steinhaufen. Und in vier parallelen Reihen ragen meterhohe Toblerone-Zacken aus Beton aus dem Boden.
Es ist die Panzersperre im aargauischen Frick unweit der deutschen Grenze. Im Zweiten Weltkrieg hat die Schweizer Armee hier wie an vielen anderen Orten im Land Betonblöcke verbaut, um Panzer abzuwehren. Nach dem Ende des Kalten Krieges verloren die Anlagen weitgehend ihre militärische Bedeutung, weshalb die Armee etwa 300 davon zum Verkauf anbot.
Das brachte die Naturschutzorganisation Pro Natura vor einigen Jahren auf die Idee, eine besondere Herausforderung anzugehen: Sie kaufte rund ein Dutzend der Sperrstellen – neben jener in Frick auch solche bei Gruyère, im Baselbieter Jura und im Waadtland –, mit dem Ziel, sie zu ökologisch wertvollen Zonen umzugestalten, in denen Wildtiere wandern können.
«Wir haben uns beim Kauf bewusst für Panzersperren im Mittelland und im Jura entschieden», erklärt Andrea Haslinger. Die Geografin leitet das Vorhaben von Pro Natura. «In dieser vom Menschen intensiv genutzten und strukturarmen Landschaft sind die Anlagen als Vernetzungselemente für Tiere besonders nützlich.»
Oft verbinden die Sperren Waldstücke
In Frick reihen sich die Betonblöcke von der Autobahn her ostwärts in Richtung eines Hügels. Auf der einen Seite der Sperre liegen ein Wäldchen, ein Weizenfeld und eine Wiese, auf der anderen eine Weide mit frischen Kuhfladen. Dort, wo die letzten Toblerone-Zacken auszumachen sind, fährt gerade ein Traktor seinen leeren Anhänger zurück zum Bauernhof.
Das Interessante an all den Panzersperren ist, dass sie nicht wie die meisten anderen Landschaftsstrukturen – etwa Strassen, Schienen oder Flüsse – entlang eines Tales verlaufen, sondern quer dazu stehen. Schliesslich sollten sie den im Tal vorrückenden Feind abwehren. Zudem baute das Militär die Betonelemente oft von einem Waldstück zu einem anderen, künstliche und natürliche Panzersperren fügten sich geschickt ineinander.
Diese Waldstücke sind heute ein Rückzugsort für viele, auch gefährdete Tierarten. Die ökologisch aufgewerteten Sperrzonen – so die Idee von Pro Natura – bilden eine ideale Wanderroute dazwischen. Aus der ursprünglich als Barriere errichteten Struktur wird eine Verbindung.
Die Hecken, die sich an den Sperrstellen gebildet haben, bieten den Tieren ein Versteck. Manche Arten schätzen es, in ständiger Deckung zu wandern. Andere finden im Dickicht gleich einen permanenten Lebensraum. Kleinsäugern wie Hermelin oder Haselmaus etwa dürfte es zwischen den Bäumen und Sträuchern in Frick besonders gut gefallen, Reptilien und Amphibien in den Zwischenräumen der aufeinandergeschichteten Steine.
Hindernisse aus Felsblöcken und Eisenbahnschienen
«Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die Schweiz auf dem linken Fuss erwischt», sagt David Külling, der im Verteidigungsdepartement für den Natur- und Denkmalschutz der Armee-Immobilien zuständig ist. Während etwa in Frankreich und Deutschland schon seit langem Panzersperren standen, gab es sie in der Schweiz 1939 erst vereinzelt. Das Militär musste sich beeilen mit dem Bau der Anlagen, die meisten davon entstanden in den ersten Kriegsjahren.
Weil es zunächst kaum Richtlinien gab, errichteten die Truppen unterschiedlichste Sperren: in den Boden gerammte Eisenbahnschienen, natürliche Felsblöcke, Gräben, Mauern und verschiedene Formen von Betonhöckern. «Typisch aber war, dass neben den Sperren Bunker standen, aus denen Soldaten auf die abgebremsten Panzer hätten schiessen können», erklärt Külling.
Aufgrund der Vielfalt der Sperren war auch bei Pro Natura Erfindergeist gefragt. Jeder Standort bot seine eigenen Möglichkeiten zur Aufwertung. Das Entfernen der Betonelemente kam aus Kostengründen nirgends infrage. Stattdessen hat die Organisation etwa in Läufelfingen (BL) zwischen den Verbauungen Steinhaufen als Unterschlupf für Wiesel angelegt oder in Gruyère einen Wassergraben, der eine Kantonsstrasse quert, am Rand mit Erde aufgeschüttet, damit Kleintiere gefahrlos auf die andere Strassenseite gelangen. In Cudrefin (VD) haben die Naturschützer einen Bunker mitgekauft. Der Plan dort: Im Innern angebrachte Holzelemente sollen den militärischen Schutzraum in ein Winterquartier für Fledermäuse umwandeln.
Pro Natura berücksichtigt auch, welche Tiere in der Umgebung am meisten Nutzen aus den umgebauten Sperren ziehen. «Der Aargau ist ja ein Amphibienkanton», sagt Andrea Haslinger, während sie der Hecke entlanggeht. Sie späht in das Dickicht zwischen den Betonhöckern. Eigentlich müssten hier irgendwo mit Wasser gefüllte Wannen vergraben sein. Von ihnen profitiert die Gelbbauchunke, die auf der Roten Liste den Status «verletzlich» hat. Ihr Bestand geht in der Schweiz zurück. Der Froschlurch laicht bevorzugt in kleinen Tümpeln, die sich rasch erwärmen. In den längst verschwundenen Auenlandschaften gab es diese Kleinstgewässer zuhauf, heute findet man sie nur noch selten.
Dann wuchtet Haslinger mit ihren schweren Wanderschuhen ein Geflecht von Brombeerstengeln zur Seite. Darunter sind zwei schwarze Plastikbehälter zu sehen. Das Wasser ist noch drin, die Unken werden ihre Eier aber erst im Frühling ablegen.
Eingeschleppte Arten mussten weg
Neben den Wannen und den Steinhaufen haben die Naturschützer die Panzersperre in Frick mit weiteren Strukturen versehen: An mehreren Stellen stapelten sie Astmaterial und Holzstämme aufeinander. «Wenn im Sommer die Sonne darauf scheint, sind das perfekte Kinderstuben für verschiedene Käferarten», sagt Haslinger.
Das Material dafür stammte von all den Sträuchern und Bäumen, die Pro Natura hier abholzte. Im Verlauf der Jahre haben sich Pflanzen, die der Mensch einst aus anderen Weltgegenden eingeschleppt hatte, selbständig an den Sperrstellen breitgemacht. Zudem versuche die Armee viele ihrer Anlagen mit standortfremden Fichten oder Zwergmispeln zu tarnen. «Solche Gewächse mussten wir entfernen», erklärt Haslinger. «Wollen wir heimische Tierarten fördern, braucht es Bäume und Sträucher, die für die Region typisch sind. An die sind die Tiere angepasst.»
Deshalb hat Pro Natura in Frick beerentragende Sträucher wie Wolliger Schneeball und solche mit Dornen wie Wildrosen oder Schwarzdorn angepflanzt. Die Beeren sind eine wichtige Nahrungsquelle für sehr viele Vögel und Säugetiere. Die Dornen nutzt der Neuntöter – ein Vogel, der als Vorrat Insekten oder auch einmal eine Maus an Stacheln aufspiesst.
Inzwischen sind die ökologischen Anpassungen bei allen Panzersperren umgesetzt. Damit sei es aber nicht getan, sagt Haslinger. «Die Aufwertungen funktionieren nur, wenn der langfristige Unterhalt gesichert ist.» Es gebe immer wieder etwas zu tun: etwa die Wasserbecken darauf zu kontrollieren, dass sie einen Ast als Ausstiegshilfe enthielten. Oder den Saumstreifen vor der Hecke zu mähen und Pflanzen wie Brombeeren zurückzuschneiden.
Manche der Sperrstellen konnte Pro Natura an Landwirte verpachten. Diese übernehmen den Unterhalt und bekommen dafür Direktzahlungen vom Bund. In Frick gelang das nicht. Hier sorgt eine Tochterfirma der Naturschutzorganisation für die Pflege der Hecke.
Schon das Militär bemühte sich um Umweltschutz
Die Umnutzung der Panzersperren in der Schweiz verfolgt auch Simon Graf ganz genau. Der Historiker untersucht, wie sich die Bedeutung der Sperren in unserer Gesellschaft verändert hat. Ganz neu sei die Naturschutzidee nicht, sagt er. Schon die Armee habe dieses Potenzial erkannt. Anfang der neunziger Jahre begann das Militär, einzelne Anlagen ökologisch aufzuwerten, indem Soldaten standortgerechte Pflanzen setzten. «Das war einerseits eine Image-Kampagne direkt nach der beinahe angenommenen Armeeabschaffungsinitiative», erklärt Graf. «Anderseits auch ehrliche Bemühung in Sachen Umweltschutz.»
Die Projekte von Pro Natura setzen den Naturschutzgedanken jedoch konsequenter um. Wie viel Erfolg die Organisation damit hat, muss sich noch zeigen. Unter anderem mit Wildtierkameras wird sie bei einigen Panzersperren überprüfen, ob sogar neue Arten in der Gegend auftauchen.
In Frick gibt es bereits hoffnungsvolle Zeichen. Wo die Panzersperre durch die Autobahn geteilt wird, liegen auf dem Fussweg der Unterführung zwei längliche braune Würstchen. «Ja», sagt Andrea Haslinger und beugt sich nach unten, «die könnten vom Hermelin stammen.»
Vom 1. März bis zum 18. Mai ist im Forum Schlossplatz in Aarau die Ausstellung «Vergangenheit im Vorgarten. Die Panzersperre als Relikt» zu sehen, an der Simon Graf beteiligt ist. Zudem führt der Historiker gemeinsam mit Andrea Haslinger von Pro Natura am 26. April eine Exkursion zur Panzersperre in Frick durch.
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