Pro Woche nehmen zweitausend Container mit Bananen von Ecuador aus Kurs auf den alten Kontinent. In vielen steckt Kokain – in immer grösseren Mengen.
Wilfried Meinlschmidt ist ein ruhiger Norddeutscher aus Bremen, der seit fünfzig Jahren in Guayaquil lebt und dort eines der grössten Logistikunternehmen Ecuadors aufgebaut hat. Sein Unternehmen bewegt Waren zu Wasser, zu Land und in der Luft, wie er stolz sagt.
Der Blick aus seinem Büro ist beeindruckend: Der Fluss Guayas ist hier breit wie der Amazonas. 75 Kilometer sind es von hier bis zur Mündung in den Pazifik. Früher legten die Bananenfrachter direkt vor seinem Büro an. Jetzt liegen die fünf Häfen der führenden Wirtschaftsmetropole Ecuadors weiter flussabwärts, wo das Bett des Guayas tiefer ist. Die Speditionsfirmen und die Reedereien haben aber weiterhin im Zentrum von Guayaquil ihre Büros.
Die Quaianlagen wurden zu einer Flaniermeile umgestaltet. Weiter flussaufwärts folgen moderne Hotel-Hochhäuser mit Restaurants am Wasser. Eine Seilbahn verbindet das gegenüberliegende Ufer über Kilometer mit dem Stadtzentrum. Doch der Malecón (die Promenade am Fluss), die Seilbahn und die Restaurants sind auch am Tag weitgehend leer. Die Menschen vermeiden es, sich auf den Strassen zu bewegen. Und das liegt nicht an der feucht-tropischen Hitze, die das ganze Jahr über der Stadt liegt.
Guayaquil ist eine der gewalttätigsten Städte Lateinamerikas
Guayaquil hat sich seit kurzem in einen Hotspot der Gewalt verwandelt. Im letzten Jahr war es eine der Städte mit der höchsten Mordrate in Lateinamerika. 3600 Menschen wurden 2023 in der Stadt und der umliegenden Provinz ermordet, welche 4,4 Millionen Einwohner hat. «Hier war es immer ruhig, ein Paradies», sagt Meinlschmidt. «Das ist es heute nicht mehr.»
Er hat den Wandel selbst hautnah mitbekommen: Meinlschmidt wurde für einige Stunden entführt, zweimal überfallen. Den Eingang seines Containerdepots beschossen Gangster – als Warnung, um Erpressungen Nachdruck zu verschaffen.
Zum Depot am anderen Flussufer fahren die Mitarbeiter seines Unternehmens nur vormittags. Gegen Mittag kehren sie von dort schon wieder zurück. Trotz den dortigen siebzig Kameras und dem eigenen Sicherheitsdienst gebe es immer das Risiko, dass Mitarbeiter erpresst würden und unter Druck die Augen zumachten, sagt Meinlschmidt.
Er rät wegen der fehlenden Sicherheit von einer Recherche in den Häfen der Stadt ab. Immer wieder komme es dort zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Kürzlich sei ein Containerschiff von Maersk im Fluss gekapert worden. Die Banditen nahmen die Kommunikationsinstrumente von der Brücke mit und verlangten eine hohe Summe, um die Teile wieder zurückzugeben.
In den Häfen herrscht Krieg
Maersk fährt seitdem den südlich gelegenen Bananenhafen Puerto Bolívar bei der Stadt Machala nicht mehr an. Auch bei Hapag-Lloyd in Hamburg heisst es, dass es zunehmend Probleme gebe in Guayaquil: Korruption, Gewalt und Mord seien an der Tagesordnung.
Interviews erweisen sich als schwierig: Nicht nur, dass niemand die Sicherheit in den Häfen garantieren will. Kaum jemand ist überhaupt bereit, mit der Presse zu sprechen.
Beim neuen Dubai Port World Posorja, dem einzigen Tiefseehafen Guayaquils direkt am Pazifik, kommt die Pressevertreterin aber zum Gespräch. Der Geschäftsführer möchte aus Sorge über Entführungen nicht erscheinen. Auch einen Hafenbesuch lehnt das Unternehmen ab: Nicht nur die Umgebung des Hafens und das dortige Fischerdorf seien höchst gewalttätig geworden. Auch die rund 100 Kilometer lange Strassenverbindung dorthin sei zu unsicher.
In den Häfen herrscht Krieg: Die Drogengangs kämpfen dort um die Exportkanäle für ihr Kokain. Sie packen es in Containerschiffe, die täglich von Ecuador mit Bananen und Shrimps ablegen. Die Häfen der Metropole mit den 3 Millionen Einwohnern sind zur wichtigsten Schaltstelle für den weltweiten Kokainhandel geworden – obwohl Ecuador selbst kaum Kokablätter anbaut oder Kokain produziert.
Doch das Andenland ist zum wichtigsten Durchgangskorridor geworden für Kokain aus Kolumbien, Bolivien und Peru. Ein Drittel des «weissen Goldes», welches auf dem Weg zu den Konsumenten in Europa und den USA beschlagnahmt wird, wurde über Ecuador ausgeführt.
Beschlagnahmtes Kokain wird zu Zement verarbeitet
Allein in Ecuador haben die Behörden in drei Jahren rund 350 Tonnen Kokain sichergestellt. Am letzten Wochenende hat die Armee dort in einem Keller einer Bananenplantage die Rekordmenge von 22 Tonnen sichergestellt. Die Verbrennungsöfen sind bei diesen Mengen überlastet. Das Kokain wird mit Sand, Ölresten und Chemikalien zu einem Baumaterial verarbeitet, das wie Beton für Arbeiten in öffentlichen Gebäuden benutzt wird. Die Behörden halten die Konstruktionen geheim, bei denen der «Kokainzement» eingesetzt wird.
Das meiste Kokain für Europa werde von Guayaquil aus geschmuggelt, so die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) – und zwar in immer grösseren Mengen. Im zweiten Halbjahr 2023 beschlagnahmten die Zollbehörden in Europas Häfen Rekordladungen. In Hamburg stellten die Behörden im Juli letzten Jahres 10 Tonnen Kokain aus Guayaquil sicher. In Antwerpen entdeckten die Fahnder im November 7,5 Tonnen von dort. Fast immer war es in Kühlcontainern zwischen Bananen versteckt.
2000 dieser sogenannten Reefers verlassen die ecuadorianische Hafenstadt wöchentlich. «Die bilden einen Super-Highway für Kokain nach Europa», sagt Manuel Laniado. Seine Familie produziert in dritter Generation Bananen. Man sei ein Produzent mittlerer Grösse. Wöchentlich schickt das Unternehmen fünf oder sechs Container nach Europa. Die Geschwindigkeit, mit der die Drogenmafia das Bananengeschäft infiltriert habe, sei ein Albtraum für die Branche.
Laniado sieht die Produzenten als Opfer. Die «contaminación» («Verseuchung») – also die Beimischung der Drogen – finde kaum auf den Plantagen statt, sagt er. In der Branche kenne man sich. Die Mehrheit der rund 8000 Produzenten in Ecuador sei mittelständisch. Vielmehr geschehe dies beim Transport, in den Sammellagern für die Früchte, den Häfen und auf den Containerschiffen selbst. Die Frage, warum Ecuador in so kurzer Zeit der weltweit führende Hub für Kokain werden konnte, erklärt er ökonomisch: «Es ist eine Frage des Preises», sagt Laniado. Die Mafia exportiere von dort, wo die Kosten am niedrigsten seien – also der Widerstand durch den Staat am geringsten sei.
Hat der Ex-Präsident sich mit der Drogenmafia arrangiert?
Und dafür ist Ecuador prädestiniert. Der linke Populist Rafael Correa, der Ecuador von 2007 bis 2017 als Präsident regierte, hat die Voraussetzungen geschaffen, dass die Mafia aus den Nachbarländern einfach zum Zuge kommen konnte: Er kündigte den USA die Benützung der Luftwaffenbasis Manta am Pazifik, von wo aus die Amerikaner den Drogenhandel an der Küste kontrollierten. Er schuf die Visa-Pflicht für viele Staaten ab, was der Grund sein soll, warum sich albanische Gangs im Drogengeschäft in Ecuador ausbreiten konnten. Viele Menschen in Ecuador glauben, dass Correa mit den Drogengangs aus Kolumbien und Mexiko Vereinbarungen geschlossen habe.
Im Hafen Contecon lässt sich ahnen, wie einfach es sein muss, von Ecuador aus Kokain zu schmuggeln. Die Konzession gehört dem philippinischen Betreiberkonzern ICTSI, einem der weltgrössten Unternehmen der Branche. Am Mittwoch ist im Hafen wenig los. Kaum ein Mensch ist zu sehen. Die zwei Kräne stehen still. Ein russischer Frachter liegt am Pier. Ecuador exportiert ein Drittel seiner Bananen nach Europa, aber auch ein Viertel nach Russland.
Ab Mitte der Woche würden die Lagerhäuser der Umgebung mit Bananen gefüllt. Richtung Wochenende herrsche Hochbetrieb auf den Quais, erklärt der Direktor für Kundenkontakt. Bis zu sieben Schiffe würden dann auf einmal beladen.
Eine Kontrolle der Container durch Scanner ist seit 2021 Vorschrift. Zwei von ihnen stehen etwas verloren auf dem Gelände. Sie ähneln grossen Autowaschanlagen. Durch sie fahren die Trucks im Schritttempo. Versteckte Kokainladungen können so zuverlässig festgestellt werden. Also alles im Griff, könnte man denken.
Es gibt Drogenscanner – aber sie werden nicht genutzt
Doch das Problem im Hafen von Contecon – wie auch in fast allen anderen Häfen Guayaquils: Die Scanner stehen dort, sind aber nicht im Einsatz. Sie seien in der Testphase, erklärt der Direktor. Denn nicht der Hafenbetreiber oder die Polizei sei für die Kontrollen verantwortlich, sondern die Zollbehörden. Deren Chef habe mehrfach gewechselt. Bisher konnte man sich angeblich nicht darauf einigen, wie das Prozedere aussehen soll. Es heisst, dass die Kontrolleure künftig weg vom Hafen an einem unbekannten Ort sitzen sollen, damit sie weniger erpressbar oder korrumpierbar seien. Doch wann das so weit ist, das ist offen.
Offensichtlich scheint das staatliche Interesse an einer effizienten Kontrolle nicht besonders gross. Alle Interviewpartner ziehen die Schultern hoch bei dieser Frage und wollen sich selbst mit den zögerlichen Antworten nicht zitieren lassen. Einen Scanner zu kaufen, sei das geringste Problem, sagt ein Hafenbetreiber. Die Behörden dazu zu bewegen, ihn auch zu benutzen – das sei viel schwieriger.
Auch im Contecon-Hafen sieht man die Schuldigen ausserhalb der eigenen Verantwortungssphäre: 95 Prozent der «Verseuchungen» fänden auf dem Fluss und dem Pazifik statt, also bevor die Schiffe ihren Kurs nach Norden in Richtung Panama-Kanal einschlagen.
Schutzboote der Marine begleiten Containerschiffe im Fluss und noch eine Stunde aufs offene Meer hinaus, bis diese volle Fahrt aufnehmen können. Die Drogengangs kapern sie trotzdem immer wieder mit Schnellbooten. Die Piraten schliessen die Crew auf der Brücke ein, während sie Drogen in den Containern verstecken. Die Siegel an den Schlössern klonen sie. Die Kokainladungen rüsten sie mit batteriegetriebenen Satellitenmeldern aus, damit ihre Partner diese in den europäischen Zielhäfen finden können.
«Die Regierung hat begonnen, die Geschäfte der Mafia zu stören», so erklärt der Bananenexporteur Laniado die Gewaltwelle in Ecuador. Dafür verantwortlich sei die zweite Riege der Drogenarbeiter, also das Fussvolk der Kartelle. Sie hätten erstmals die Chance, kurzfristig reich zu werden – und seien besonders gewalttätig. «Sie wollen Kokain lokal verkaufen», sagt Laniado. Der Export interessiere sie nicht, der sei bis jetzt eine Nummer zu gross für sie.
Die Stadt ist ihrem Schicksal überlassen
Inzwischen ist aus der lebensfrohen, bunten Hafenmetropole Guayaquil eine Stadt im nervösen Ausnahmezustand geworden. Die Mittelschicht aufwärts hat sich auf der Flussinsel Sambodorón eingekapselt. Mit den Shoppingmalls und Gated Communitys sieht es dort aus wie in Miami. Der Rest der Stadt scheint seinem Schicksal überlassen.
Nahe dem Zentrum haben die Gangs vor kurzem einen TV-Sender überfallen. «Mit der Mafia legt man sich nicht an!», riefen die bezahlten Kleinganoven bei laufendem Programm. Gerade wurde der Staatsanwalt erschossen, der die Vorgänge untersuchte. Das einst pulsierende Zentrum beginnt sich heute ab dem späten Nachmittag zu leeren. Nach Sonnenuntergang ist es dort menschenleer.