Der amerikanische Präsident Donald Trump will die Palästinenser aus dem Gazastreifen in anderen arabischen Ländern ansiedeln. Dort stehen die Staatschefs vor schwierigen Entscheidungen.
Für den jordanischen König Abdallah II. war das Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump am Dienstag in Washington ein Balanceakt. Mit einer Geste des guten Willens versuchte er die Situation deshalb zu entspannen: Jordanien sei bereit, 2000 schwerkranke Kinder aus dem Gazastreifen aufzunehmen, erklärte Abdallah im Oval Office. Zu der von Trump vorgeschlagenen Umsiedlung aller Palästinenser aus dem Küstengebiet mochte sich der König aber nicht klar äussern. Er wolle sich dafür mit anderen arabischen Staaten wie Ägypten oder Saudiarabien absprechen.
Als Staatsoberhaupt eines Landes, in dem mehr als die Hälfte der Einwohner palästinensische Wurzeln hat, lehnte der Monarch die erzwungene Umsiedlung von Palästinensern bisher jedoch kategorisch ab – aus gleich mehreren Gründen.
Wie viele seiner Untertanen befürchtet Abdallah II., dass die vertriebenen Palästinenser nie wieder in ihre Heimat zurückkehren dürfen, wenn sie sie einmal verlassen haben. Ausserdem weiss der jordanische König, dass die erneute Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Gazastreifen zu weiteren Spannungen innerhalb der jordanischen Bevölkerung führen kann.
Abhängigkeit vom Ausland
Gleichzeitig ist Jordanien aber noch abhängiger von finanzieller Hilfe aus dem Ausland als die meisten Staaten in der Region. Das Land mit 11 Millionen Einwohnern hat in den vergangenen Jahren etwa eine Million Flüchtlinge aufgenommen, die meisten von ihnen aus dem benachbarten Syrien, aber auch aus dem Irak. Für die Bereitschaft, Flüchtlinge zu beherbergen, erhält Jordanien finanzielle Unterstützung – vor allem aus den USA. Doch die könnte nun auf dem Spiel stehen. Es sei denkbar, dass er die Gelder zurückhalten werde, sagte Trump am Montag. Im Beisein von Abdallah relativierte er die Aussage am Dienstag zwar. Es brauche solche Drohungen nicht, meinte Trump. Aber die Möglichkeit steht nun im Raum.
Mehr als 1,4 Milliarden Dollar jährlich hat Washington zuletzt an Jordanien überwiesen – für das Militär, den Staatshaushalt und humanitäre Hilfe. Eine Absage an Trump, Palästinenser aus dem Gazastreifen aufzunehmen, könnte deshalb erhebliche Konsequenzen für die jordanische Bevölkerung haben. Dass der amerikanische Präsident den Grossteil der globalen Finanzhilfen für 90 Tage einfrieren liess, hat bereits dazu geführt, dass viele Jordanier ihre Arbeit verloren haben oder ihre Geschäfte negativ betroffen sind. Sollte Trump seine Drohung tatsächlich wahr machen, bliebe den Jordaniern kaum etwas anderes übrig, als auf finanzielle Hilfe in Milliardenhöhe aus anderen Ländern zu hoffen. Allerdings würde Washington damit auch riskieren, einen verlässlichen Verbündeten im Nahen Osten zu verlieren. Die USA haben in Jordanien knapp 4000 Soldaten stationiert.
Ablehnung in Kairo
Aber auch andere arabische Staaten stehen unter Druck, nicht zuletzt Ägypten. Donald Trump droht auch Kairo damit, die Hilfszahlungen einzufrieren, sollte es die Ansiedlung von Palästinensern verweigern. Allein im Jahr 2023 gewährten die USA dem Land am Nil Finanzhilfen von rund 1,5 Milliarden Dollar, vier Fünftel davon für das Militär – ungeachtet der Tatsache, dass Präsident Abdelfatah al-Sisi gnadenlos gegen seine Gegner vorgeht und mithilfe von Armee und Geheimdiensten zunehmend autoritär regiert.
Für die Stabilität des Regimes ist das Geld aus den USA entscheidend. Denn Ägypten steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Der Staat ist hoch verschuldet und muss jedes Jahr Milliardensummen aufbringen, um fällige Kredite zurückzuzahlen. Wegen der Abwertung des ägyptischen Pfundes ist ein grosser Teil der Mittelschicht in den vergangenen Jahren verarmt. Nach offiziellen Angaben lebt etwa ein Drittel der etwa 110 Millionen Ägypter unterhalb der Armutsgrenze; Schätzungen gehen von doppelt so vielen aus. Millionen von Menschen wissen kaum noch, wie sie ihre Familien ernähren sollen, und sehnen sich vor allem nach wirtschaftlicher Sicherheit.
Sollte Sisi dem Druck aus den USA nachgeben und einer Umsiedlung der Palästinenser zustimmen, muss er allerdings mit Protesten rechnen – ein gefährliches Szenario für den Autokraten, der seit mehr als zehn Jahren an der Macht ist. Zwar hat er die Meinungsfreiheit extrem eingeschränkt und dafür gesorgt, dass so gut wie alle seine Kritiker das Land verlassen haben oder hinter Gittern sitzen. Doch die Palästina-Frage hätte das Potenzial, das gesamte Land zu erschüttern.
Sinai als Symbol
Das liegt auch an der Symbolkraft des Sinai – des Gebietes, das mit Blick auf eine Umsiedlung von Palästinensern immer wieder genannt wird. Israel hatte die dünn besiedelte Halbinsel zwischen Mittelmeer und Rotem Meer bereits zwischen 1967 und 1982 besetzt. Für viele Ägypter ist eine Ansiedlung von Palästinensern im Norden des Sinai genauso wenig vorstellbar wie eine freiwillige Rückgabe des ägyptischen Staatsgebiets an Israel.
Bis jetzt lehnt Ägypten die Ansiedlung von Palästinensern vehement ab und führt vor allem Sicherheitsbedenken als Begründung an: Militante Flüchtlinge könnten Israel von ägyptischem Boden aus angreifen, heisst es, und auf diese Weise israelische Vergeltungsschläge provozieren. Oder sie könnten von aufständischen Extremisten im Nordsinai rekrutiert werden, die die ägyptische Armee dort bekämpft. Das Dilemma des ägyptischen Präsidenten, innenpolitisch unter Druck zu stehen und von ausländischem Geld abhängig zu sein, dürfte zu seiner Entscheidung beigetragen haben, sich als Vermittler im Gaza-Krieg ins Spiel zu bringen.
Ausnahme Marokko
Auch Marokko wurde in den vergangenen Tagen als ein mögliches Aufnahmeland für Palästinenser genannt. Allerdings machte diesen Vorschlag nicht Trump, sondern der israelische Generalkonsul in Los Angeles. In einem Interview mit CBN News nannte Israel Bachar das nordafrikanische Land neben der international nicht anerkannten Republik Somaliland – einer autonomen Region in Somalia – sowie die ebenfalls somalische Region Puntland als Gebiete, in die Palästinenser aus dem Gazastreifen umgesiedelt werden könnten.
Anders als in israelischen und internationalen Medien fand dieser Vorschlag in Marokko kaum ein Echo. König Mohammed VI. gilt als Unterstützer der Zweistaatenlösung und lehnt eine Umsiedlung der Palästinenser kategorisch ab. Zu Trump hat der Monarch dennoch ein unbelastetes Verhältnis: Während dessen erster Präsidentschaft hatten die USA als erster Staat, der auch im Uno-Sicherheitsrat sitzt, Marokkos Ansprüche auf die völkerrechtlich umstrittene Westsahara anerkannt. Zum Ausgleich normalisierte Marokko seine Beziehungen zu Israel.
Bislang jedenfalls scheint sich das Königreich seine eigene Position zu den Palästinensern leisten zu können, ohne negative Konsequenzen aus den USA fürchten zu müssen. Wirtschaftlich arbeiten die beiden Länder eng zusammen: Ihr Handelsvolumen hat sich in den vergangenen 20 Jahren auf mehr als 5 Milliarden US-Dollar vervielfacht. Und als einziger islamischer Staat der Welt soll Marokko von den USA mit dem F-35 ausgestattet werden, dem wohl begehrtesten Kampfflugzeug der Welt.