Es braucht bessere Regeln, um Interessenkonflikte in der Verwaltung zu vermeiden. Jeder Fall schadet dem Ansehen von Behörden und wirkt zersetzend für den Rechtsstaat.
Die Schweiz kennt eine Gewissheit: Korruption und Vetternwirtschaft gibt es anderswo. An der Grenze zu Gaza beispielsweise, wo laut einem Bericht des «Economist» Hilfslieferungen aus Lagerhäusern verschwinden. Korrupte Mitarbeiter des ägyptischen Roten Kreuzes füllen sich die eigenen Taschen mit lebensnotwendigen Waren.
Oder in der Ukraine, wo das Übel ungeachtet des Krieges weiterhin wuchert. Regelmässig werden dort kleinere und grössere Korruptionsskandale publik. So entliess Präsident Wolodimir Selenski im vergangenen Sommer alle Leiter der für die Rekrutierung zuständigen Regionalbüros. Mit deren System wurden Wehrpflichtige ausser Landes geschleust. Männer, die im Krieg dringend gebraucht würden.
Die Schweiz ist von solchen Zuständen weit entfernt. Das Land belegt im Korruptions-Ranking von Transparency International jedes Jahr aufs Neue einen Spitzenplatz. 2022 etwa rangierte sie auf Rang 7 von 180.
Korruption im öffentlichen Sektor bereitet der Schweizer Bevölkerung in ihrem Alltag entsprechend wenig Sorgen. Man braucht hierzulande keine Schmiergelder, um einen neuen Pass oder eine medizinische Behandlung zu erhalten. Staatsangestellte werden wesentlich besser entlöhnt als in anderen Staaten, was sie gegen Bestechungsversuche immunisieren soll. Man darf ihnen durchaus eine hohe Integrität attestieren. Dazu kommt ein wirksames Korruptionsstrafrecht. Alles Dinge, worauf die Schweiz zu Recht stolz sein kann.
Die helvetische Glanzfassade ist aber nicht ohne Risse. Zwar handelt es sich meist nur um feine Haarrisse im Lack, von einem generellen Systemversagen sind wir weit entfernt. Sie verraten aber eine Anfälligkeit, die oftmals gerade im Kleinen und Lokalen zum Vorschein kommt. Und gegen die es entschieden vorzugehen gilt.
Vor einigen Jahren erschütterte die sogenannte Seco-Affäre das Land. Ein Beamter des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hatte sich über Jahre von Informatikunternehmen bestechen lassen. Die Dimensionen des Falles sind beachtlich: Die Rede ist von Zuwendungen und Geschenken im Wert von 1,8 Millionen Franken.
Auch der ehemalige Anlagechef in der Zürcher Pensionskasse BVK ergaunerte sich Geschenke und Schmiergelder von über einer Million Franken. Vor zehn Jahren wurde er erwischt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
Vergangenes Jahr sorgten Vorgänge im Zürcher Strassenverkehrsamt für Schlagzeilen. Auch dort haben sich Mitarbeiter mutmasslich bestechen lassen. Wer dreimal durch die praktische Fahrprüfung geflogen war, konnte sich über Mittelsmänner einen Termin bei einem wohlwollenden Verkehrsexperten organisieren. Für 500 Franken soll dieser die Prüflinge durchgewinkt haben.
Wer seinen Führerschein wegen zu schnellen Fahrens oder Fahrens unter Alkoholeinfluss verloren hatte, konnte sich dagegen vertrauensvoll an einen anderen Mitarbeiter des Strassenverkehrsamtes wenden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, bei Fahrausweisentzügen sehr entgegenkommend gewesen zu sein. Gegen ein Entgelt, versteht sich.
Für Aufsehen sorgte im Herbst eine weitere Bestechungsaffäre in der gleichen Branche. Ein Fahrzeugexperte des Touringclubs Schweiz soll ältere und mangelhafte Autos nur zum Schein geprüft haben. Die Karossen wurden dann als amtlich geprüfte Occasionen in verschiedenen Kantonen eingelöst und verkauft.
Risiko muss minimiert werden
Einmal abgesehen von der handfesten Gefahr, die auf der Strasse von untauglichen Lenkern und von mangelhaften Autos ausgeht, birgt jeder Einzelfall ein weiteres Gift. Er schadet der Integrität der Behörden, mit jedem Fall geht ein Stück Vertrauen verloren. Dabei spielt es keine Rolle, wie klein und wie unbedeutend die Verfehlung erscheinen mag, auch die sogenannte Kleinstkorruption wirkt zersetzend für den Rechtsstaat und die Demokratie.
Natürlich kann in der Verwaltung wie auch in der Marktwirtschaft ein Arbeitgeber niemals völlig ausschliessen, dass sich Mitarbeiter fehlbar verhalten. Studien belegen aber, dass die Versuchung umso grösser wird, je mehr Autonomie und Macht ein Mitarbeiter erhält. Korruption geschieht vor allem dort, wo Geld fliesst und wo Regeln oder Zeit für Kontrollverfahren fehlen. Was mit kleinen Verfehlungen anfängt, wird dann immer dreister. Je grösser dabei die Entscheidungsbefugnis ist, desto eher blüht die Korruption. Oder wie der Volksmund zu sagen pflegt: Gelegenheit macht Diebe.
Darum hat die Verwaltung (wie auch private Arbeitgeber) dafür zu sorgen, dass das entsprechende Risiko minimiert wird. Die dafür nötigen Anstrengungen und Vorkehrungen, wie sie der Amerikaner unter «checks and balances» kennt, etwa dass Rechnungen und Weisungen mit dem Vieraugenprinzip kritisch hinterfragt werden, müssen auch in den Verwaltungen selbstverständlich sein.
Als ebenso wichtig erachten Compliance-Experten die Prävention. Eine Behörde muss sich regelmässig Gedanken darüber machen, in welchen Bereichen im Betrieb es Korruptionsrisiken gibt. Zu oft ist es so, dass die Behörden erst dann aktiv werden, wenn der Schaden bereits angerichtet ist. Wie im Fall der Zürcher Pensionskasse BVK, wo der Mann über fünfzehn Jahre schalten und walten konnte, ohne dass jemand eingriff.
Haarsträubende Fälle von Vetternwirtschaft
Kriminelle Machenschaften sind das eine, den Hebel gilt es aber bereits früher anzusetzen: bei Vetternwirtschaft und Copinage. Es ist diese Art der subtileren Vorteilsannahme, die bei der Schweizer Bevölkerung ein ungutes Gefühl hinterlässt. Dabei handelt es sich oftmals um Fälle, in denen niemand das Gesetz gebrochen hat, bei denen aber trotzdem ein Geschmäckle bleibt. Die Zürcher Verwaltung hat diesbezüglich schon haarsträubende Beispiele hervorgebracht.
Ein Lehrstück für Vetternwirtschaft ist der Fall Roberto Rodriguez. Der ehemalige Schulpräsident des Schulkreises Uto trat 2021 freiwillig aus dem Amt, liess sich von einem Gremium, das es selber präsidierte, in eine gut bezahlte Stelle wählen und kassierte dafür auch noch eine Abfindung von 650 000 Franken.
Unter öffentlichem Druck verzichtete der SP-Mann schliesslich auf die neue Stelle, nicht aber auf die Abfindung. Von schlichtweg fehlender Sensibilität zeugte auch seine Feststellung, alles sei nach dem offiziellen Rekrutierungsverfahren gelaufen und die Meinungsbildung sei ohne sein Zutun erfolgt.
Eine grössere Sensibilität in Sachen Vetterliwirtschaft wäre auch innerhalb der Stadtverwaltung dringend nötig. Oder wie es die ehemalige Ombudsfrau für die Stadt Zürich ausdrückte: «Wir vermissen vielerorts die entsprechenden Diskussionen und Leitlinien – aber auch das nötige Sensorium und Verständnis.»
So kamen in der Stadtverwaltung in den vergangenen Jahren einige fragwürdige Konstellationen ans Licht. So fand sich etwa ein Team, in dem praktisch alle Mitglieder miteinander verwandt waren. Inklusive des Chefs. Erst nach dessen Abgang zeigte sich, dass die Verwandtschaft ihre Arbeitszeit nicht immer korrekt aufgeschrieben hatte.
Ausserhalb der Amtsstuben dürfte allen klar sein, wie solche Konstellationen und Postenschacher wirken müssen. Sie schaden dem Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden. Ein Gut, das heutzutage besonders wichtig wäre.
Regelungen dürfen keine Anreize schaffen
Umso unbegreiflicher, dass es in der Stadt (anders als im Kanton) bis anhin weder einen für die gesamte Verwaltung gültigen Verhaltenskodex noch eine Meldepflicht gab. Die Politik handelte erst, als die Fälle publik wurden. Ende des letzten Jahres sprach sich das Parlament nun für eine neue Regelung aus, wonach Angestellte der Stadt Zürich enge Beziehungen offenlegen müssen. Es ist ein längst fälliges Zeichen dafür, dass man nun auch in der grössten Schweizer Stadt genauer hinschaut.
Neu müssen städtische Mitarbeiter melden, ob sie mit Vorgesetzten verwandt oder verheiratet sind. Eine Meldepflicht besteht bei einem Hierarchie- oder Abhängigkeitsverhältnis, wenn die Betroffenen gemeinsam Entscheide vorbereiten oder fällen oder wenn sie sich gegenseitig kontrollieren.
«Enge Freundschaften» wurden allerdings wieder aus dem Reglement gestrichen, weil der Begriff nur schwer zu definieren gewesen sei. Dies irritiert insofern, als in der Praxis vor allem diese engen Freundschaften für Probleme sorgten, wie der städtische Ombudsmann jüngst der NZZ erklärte. Trotzdem greift nun ein starkes Werkzeug innerhalb der städtischen Verwaltung, die eben nicht irgendeine Arbeitgeberin ist, sondern mit Steuergeldern finanziert wird.
Ansetzen hätte man schon früher müssen. Und zwar bei den Regelungen, die keine falschen Anreize schaffen dürfen. Wie die 3,5 Jahreslöhne, die im Fall Rodriguez ausbezahlt wurden und die so in einer viel zu grosszügigen Verordnung geregelt waren.
Das hat inzwischen auch die Politik gemerkt. 2022 wurde die Höhe der Entschädigungen auf höchstens 1,8 Jahreslöhne reduziert, was noch immer üppig ist. Die SVP-Initiative «Keine goldenen Fallschirme für abtretende Behördenmitglieder», die am 3. März zur Abstimmung kommt, sowie der Gegenvorschlag sehen weitere Beschränkungen vor. Es sind Schritte, die richtig sind.
Der Schweizer Rechtsstaat und seine Institutionen geniessen noch immer grosses Vertrauen. Das Ausland beneidet uns um Stabilität und Integrität von Staat und Staatsdienern. Darum gilt es, Fehlentwicklungen frühzeitig zu bekämpfen. Nur so bleibt die Gewissheit, dass Korruption und Vetternwirtschaft in der Schweiz auch in Zukunft Fremdwörter bleiben.