Bei lokalen Wahlen mangelt es zum Teil an Kandidaten. Eine Analyse der Universität Basel zu Gemeinderatswahlen gibt Hinweise, wie man zusätzliche Interessenten gewinnen kann.
Sollten Lokalpolitiker mehr verdienen? Die Stimmbürger der Stadt Zürich haben vergangenen Sonntag eine deutliche Erhöhung der Grundbezüge und Sitzungsgelder für die Stadtparlamentarier knapp abgelehnt. Die Erhöhung sollte laut den Befürwortern unter anderem das Parlamentarieramt für breitere Bevölkerungskreise attraktiv machen.
Laut einer oft gehörten Mutmassung ist es im Vergleich zu «früher» (den guten alten Zeiten) schwieriger geworden, in Gemeinden genügend Kandidaten für politische Ämter zu finden. Falls das stimmt, wären diverse Begründungen denkbar. Vielleicht ist der Aufwand für solche Ämter gestiegen. Vielleicht ist der Bürgersinn aus der Mode gefallen. Oder vielleicht haben die Leute wegen mehr Stress in Beruf und Privatleben weniger Zeit für die Politik.
1,1 bis 1,2 Bewerber pro Sitz
Bei einem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sind Preisänderungen ein wirksames Steuerungsmittel. Zumindest sagt dies das Lehrbuch der Ökonomen. Zwei Ökonomen der Universität Basel (Tobias Schib und Alois Stutzer) wollten wissen, wie man politische Ämter auf Gemeindeebene attraktiver machen kann. Die Basis ihrer jüngst publizierten Analyse sind Daten zu Exekutivwahlen in über 500 Gemeinden aus drei Kantonen von 1970 bis 2024 (Aargau, Luzern und Zürich).
Die erste Überraschung: In zwei der drei Kantone zeigen die Daten keinen klaren Trend zu den Kandidatenzahlen. Im Durchschnitt kamen in Luzern und in Zürich seit 1970 je 1,1 bis 1,2 Kandidaten auf einen offenen Gemeinderatssitz. Die Schwankungen während der über 50-jährigen Untersuchungsperiode waren relativ gering. Deutlich anders sieht das Bild im Aargau aus. Die durchschnittliche Quote sank dort seit dem Spitzenwert von 1989 von 1,7 auf 1,1 Kandidaten pro offenen Sitz.
Dieser Rückgang war laut den Studienautoren durch die Entwicklung in den kleinen Gemeinden getrieben. 2021 hatten im Aargau 11 Prozent aller Gemeinden zu wenige Kandidaten für den ersten Wahlgang. In den jüngsten Wahlrunden in den Kantonen Luzern und Zürich waren je 2 bis 3 Prozent der Gemeinden von diesem Problem betroffen. In diesen beiden Kantonen ist nur ein leichter Anstieg der Betroffenheit sichtbar.
Rabiat oder sanft
Der Kanton Uri kennt für dieses Problem eine rabiate Lösung: den Amtszwang. So sorgte die Urner Gemeinde Wassen im vergangenen Jahr für nationale Schlagzeilen mit der Wahl von zwei Bürgern in den Gemeinderat, die dieses Amt gar nicht wollten.
Doch geht es nicht auch auf die sanfte Tour? Die neue Analyse der Basler Forscher zeigt auf den ersten Blick genau jenen statistischen Zusammenhang, den Ökonomen berufsbedingt erwarten würden: Je höher die Vergütung für Gemeinderäte liegt, desto höher ist tendenziell die Zahl der Kandidaten pro offene Stelle. Die Forscher betrachteten jeweils die auf eine Vollzeitstelle hochgerechnete Vergütung; salopp könnte man auch vom Stundenlohn sprechen.
Doch eine genauere Analyse der Daten im Kanton Luzern zeigt laut den Autoren, dass der genannte Zusammenhang nicht ursächlich bedingt ist, sondern mit einem Drittfaktor zu tun hat: mit der Grösse der Gemeinde. Je mehr Einwohner eine Gemeinde hat, desto höher ist tendenziell die Zahl der Kandidaten pro offene Gemeinderatsstelle. Berücksichtigt man die Grösse der Gemeinden, zeigt die Studie gemäss der Analyse nur einen unwesentlichen Effekt der Vergütungshöhe auf die Zahl der Kandidaten pro Stelle. Eine genannte Schätzung: Eine Verdoppelung des Stundenlohns würde die Zahl der Kandidaten pro offene Stelle nur um knapp 0,1 erhöhen.
Parteien reden mit
Eine Erklärung der Autoren für die Absenz eines grossen Geldeffekts: Die Zahl der Kandidaten sei zum Teil durch politische Parteien gesteuert, was die Wirkung der Vergütung relativieren könne. Aussagekräftiger sei deshalb der Zusammenhang zwischen der Vergütungshöhe und der Verweildauer von gewählten Gemeinderäten, sagt der Basler Wirtschaftsprofessor und Studien-Co-Autor Alois Stutzer: Denn die Verweildauer sei stärker durch die Betroffenen selbst als durch die Parteien getrieben. Doch auch hier zeigte die Analyse gemäss den Autoren keinen wesentlichen Einfluss des Stundenlohns.
Will man mehr Kandidaten für den Gemeinderat, ist laut den Autoren die Reduktion des Arbeitspensums etwa durch die Delegation von Aufgaben an die Gemeindeverwaltung deutlich wirksamer. Dies könne vor allem zusätzliche Frauen in die Politik bringen.
Tendenz: Übersteige das Arbeitspensum von Gemeinderäten 25 bis 30 Prozent, sei mit sinkenden Kandidatenquoten zu rechnen. Positiv gesagt: Eine Reduktion des Pensums von 60 auf 30 Prozent führe pro offene Stelle zu fast 0,5 zusätzlichen Kandidaten. Die Halbierung des Arbeitspensums bringt damit laut den Schätzungen einen fünfmal so grossen Attraktivitätsgewinn wie die Verdoppelung des Stundenlohns. Mit tieferem Pensum steige auch die Verweildauer der Gemeinderäte.
Wie üblich sind solche statistischen Analysen mit Vorsicht zu geniessen. Kausale Zusammenhänge lassen sich angesichts methodischer Schwierigkeiten nicht wasserdicht beweisen. Und die genannten Zahlen sind nicht auf die Goldwaage zu legen, sondern nur als mögliche Grössenordnung zu betrachten.
Immerhin liefert die Studie Hinweise auf unausgeschöpftes Potenzial. Weitere Erkenntnisse dazu verspricht laut Alois Stutzer eine separate Umfrage, deren Ergebnisse demnächst vorliegen. Dabei geht es unter anderem um die Bereitschaft von Bürgern zur Übernahme eines politischen Amtes, wenn sie gefragt werden. Das Phänomen ist sogar bei Bundesratswahlen bekannt: Es gibt Leute, die wären bereit – aber sie wollen gefragt werden.