Der FPÖ bot sich erstmals die Chance, Österreichs Kanzleramt zu erobern. Doch ihr Chef trieb die Provokation zu weit. Der Umbau, der ihm vorschwebt, hat keine Mehrheit im Land.
Am Schluss verkamen die österreichischen Regierungsverhandlungen zur Farce. Noch vor dem offiziellen Scheitern richteten sich ÖVP und FPÖ gegenseitig Schuldzuweisungen aus – nicht persönlich, sondern per Communiqué oder Facebook-Filmchen. In den vergangenen Tagen war überdeutlich geworden, dass es an allem fehlt, was es für eine gemeinsame Koalition braucht: Einigkeit über grundlegende Inhalte, Kompromissfähigkeit und, vor allem, Vertrauen.
Innerhalb von Tagen würden sich die beiden Parteien rechts der Mitte auf ein Bündnis verständigen können, hiess es in den vergangenen Monaten immer wieder. Vor sieben Jahren waren sie doch noch so euphorisch eine Koalition eingegangen und hatten bis zum Ibiza-Skandal harmonisch regiert. Nun waren schon die Verhandlungen eine «Quälerei», ein «Elend» und «Trauerspiel», wie hiesige Kommentatoren schrieben. Der Abbruch kommt keinen Tag zu früh.
Die FPÖ verlangte Selbstverleugnung von der ÖVP
Das ist vor allem auch ein persönliches Scheitern des FPÖ-Chefs Herbert Kickl. Er hatte trotz seinem Wahlsieg im September hinnehmen müssen, dass zunächst die ÖVP als zweitplatzierte Partei den Auftrag zur Regierungsbildung erhielt – ein Bruch mit der Tradition. Als er dann doch noch zum Zug kam, weil ein Bündnis ohne die FPÖ nicht gelungen war, reagierte er nicht mit grosszügiger Genugtuung, sondern mit einer rachsüchtigen Kampfansage an die ÖVP, die in ihrer Glaubwürdigkeit ohnehin schon erschüttert war. Sie hätten sich zu unterwerfen, gab Kickl den Konservativen sinngemäss zu verstehen, obwohl sein Vorsprung bei der Wahl keineswegs riesig war.
Was er damit meinte, wurde in den vergangenen zehn Tagen deutlich. Er sah nicht nur alle wichtigen Ministerien für die FPÖ vor. Eine solch konsequente Machtpolitik sollte der ÖVP, die das Finanz- und das Innenministerium als Erbpacht sieht, durchaus bekannt vorkommen.
Erschreckender waren die inhaltlichen Forderungen, die Kickl laut den publik gewordenen Verhandlungsprotokollen stellte. Die FPÖ verweigerte laut diesen unter anderem ein Bekenntnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention, zur Rechtsprechung internationaler Gerichte sowie zur historischen Verantwortung gegenüber Israel. Sie verlangte die Legalisierung völkerrechtswidriger Pushbacks an den EU-Aussengrenzen, eine Überprüfung der Russland-Sanktionen und eine orthodoxere Neutralitätspolitik.
All das sind Punkte, welche die selbsterklärte Europapartei ÖVP nicht mittragen kann. Sie stellen die Westorientierung der Republik infrage, ja das von Kickl viel kritisierte «System», das die Konservativen zusammen mit den Sozialdemokraten seit 1945 aufgebaut haben. Hätte die ÖVP das akzeptiert, wäre es einer Selbstverleugnung gleichgekommen.
Auch nach einer Neuwahl braucht die FPÖ einen Partner
Kickl wusste das natürlich. Die Provokation ist seit seinem Einstieg in die Politik vor dreissig Jahren sein Geschäft. Nun hat er sie aber offenbar zu weit getrieben und die ÖVP, die Neuwahlen eigentlich unbedingt verhindern wollte, damit vergrault. Der ehemalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wusste vor acht Jahren, dass es in Koalitionsverhandlungen Kompromisse braucht. Kickl ist dazu offenbar nicht willens oder nicht fähig. Zuletzt musste man sich sogar die Frage stellen, ob er überhaupt regieren will.
Der FPÖ-Chef hat damit eine Chance vertan, die sich möglicherweise so schnell nicht mehr bietet. An der Schwelle des Kanzleramts entschied er sich für Maximalforderungen anstatt dafür, für seine Wählerschaft einige Erfolge zu erreichen. Ob ihm das bei der kommenden Wahl schadet, ist offen. Sicher aber ist, dass er keine absolute Mehrheit erlangen wird und auch bei einem noch deutlicheren Sieg auf einen Koalitionspartner angewiesen sein wird. Wer das sein kann, ist nach den letzten Wochen nicht ersichtlich. Kickl hat sein wahres Gesicht gezeigt. Ihm schwebt wie einst seinem Vorgänger Jörg Haider eine dritte Republik vor. Das aber möchte die Mehrheit in diesem Land nicht.