Der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern macht einen ersten Schritt aus der Misere und stellt unter Beweis, dass er trotz Herausforderungen noch ordentlich Cash generieren kann. Die Strategie stimmt, die Arbeit beginnt aber erst, und damit werden die Aktien interessant.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Es ist ein versöhnlicher Jahresabschluss, den Nestlé am Donnerstagmorgen präsentieren kann. Das Wachstum aus eigener Kraft, ohne Akquisitionen und Währungseffekte, fiel auf 2024 mit 2,2% stärker aus, als zuletzt erwartet worden war. Gerade das Volumenwachstum überraschte positiv, für das Gesamtjahr lag es bei 0,8% und damit deutlich höher als noch in den vergangenen zwei Jahren.
Und auch bei der Profitabilität übertraf der Konzern mit einer bereinigten operativen Marge von 17,2% die Erwartungen der Analysten von durchschnittlich 17%. Ausserdem verdeutlicht der starke freie Cashflow von 10,67 Mrd. Fr. bei einem Gesamtumsatz von rund 91 Mrd., dass der weltgrösste Nahrungsmittelkonzern trotz aller Herausforderungen in der Cashgenerierung spitze bleibt.
Die überschwängliche Aktienreaktion vom Donnerstagmorgen zeigt dabei vor allem eines: Der Ruf ist nach dem schwierigen 2024 doch sehr angekratzt gewesen.
Zur Erinnerung: Anfang 2024 gab sich der damalige CEO Mark Schneider noch sehr zuversichtlich, für das Gesamtjahr ein organisches Wachstum von rund 4% erreichen und die Profitabilität steigern zu können. Dabei hatte sich gerade das Volumenwachstum bereits 2023 klar abgekühlt, gerade im wichtigsten Markt USA machte die Inflation dem Konzern schwer zu schaffen. Entsprechend war diese Prognose eigentlich schon im Frühjahr Makulatur und Schneider per Ende August Vergangenheit; den Chefposten übernahm das Nestlé-Urgestein Laurent Freixe.
Schwierige Ausgangslage
Symptomatisch für die schwierige Ausgangslage Nestlés ist aus meiner Sicht das Geschäft in den USA, das laut CFO Anna Manz 2024 enttäuschend ausgefallen ist, gerade mit Blick auf die Kauflust von Menschen mit niedrigem Einkommen und auf das Tiefkühlgeschäft und das Kaffeerahmsortiment Creamers. Die Massnahmen zur Beschleunigung hätten noch nicht gegriffen. Sowohl mit ihrer Preispolitik als auch punkto Markenstärke konnten die Schweizer nicht mit der Konkurrenz mithalten.
Klar ist: Die deutliche Profitabilitätssteigerung in den knapp acht Jahren unter Schneider ging zulasten der Marketingausgaben und damit zulasten der Stärkung einzelner Marken. Ausserdem scheint die Preisdynamik gerade in den USA in den vergangenen Jahren falsch eingeschätzt worden zu sein, die Preise wurden in gewissen Bereichen wohl zu stark angehoben.
«Die Dinge ändern sich, und sie ändern sich schnell», sagte Freixe nun am Donnerstag vor Medien und Investoren. Wenn der neue CEO von Investitionen spricht, meint er nicht nur jene in die Stärkung der dreissig globalen und lokalen Kernmarken und der achtzehn sogenannten Underperformer – rund 21% des Umsatzes – wie das angesprochene Geschäft in den USA, Wyeth-Babynahrung in China und löslicher Kaffee in Europa mittels Weiterentwicklung der Produkte und Werbung. Investiert wird auch ins Pricing: Gerade in den USA sollen die Preise wieder wettbewerbsfähig werden.
Auf Konzernebene könne nicht der vollständige Preisanstieg mit Effizienzsteigerungen aufgefangen oder auf die Kunden überwälzt werden, sagte CFO Manz. Das schlägt auf die Profitabilität. 2025 werde die Bruttomarge sinken, die sich zuletzt noch überraschend gut hielt. Die bereinigte operative Marge wird, wie schon anlässlich des Investorentags im November kommuniziert, bei mindestens 16% veranschlagt, ein erheblicher Rückgang. Gleichzeitig bleibe die Inflation wie in den vergangenen Monaten vor allem ein punktuelles Thema, insbesondere der Preis für Kakao und Kaffee ist deutlich gestiegen.
Gleichzeitig will Nestlé vor allem in der Beschaffung insgesamt 2,5 Mrd. Fr. sparen, allein 700 Mio. davon im laufenden Jahr. Bis Ende 2027 soll der volle, wiederkehrende Effekt sichtbar werden. Künstliche Intelligenz ist das Zauberwort. Weniger geschönt ausgedrückt bedeutet das wohl nichts anderes als den Wegfall von Personal, um effizienter zu werden. Die Lieferketten werden womöglich fokussiert. Andererseits müsse sichergestellt werden, dass es für jedes Produkt einen lokalen Lieferanten zur Absicherung gebe, sagte Freixe.
Mit Blick auf die Auswirkungen der Massnahmen auf das Wachstum – Verbesserung der einzelnen Kategorien einerseits und Ausbau des Marktanteils andererseits – kommuniziert Nestlé kaum. Der organische Zuwachs werde 2025 etwas höher ausfallen als im vergangenen Jahr, auch das ist keine Überraschung mehr nach der Kommunikation im November. Wie viel davon aus Preiseffekten stammt, ist schwierig zu sagen. Die Äusserungen zur Normalisierung der Inflation in den meisten Kategorien stimmen mich aber zuversichtlich, dass schon dieses Jahr Volumenwachstum im Vordergrund steht. Mittelfristig soll das Wachstum aus eigener Kraft bei mindestens 4% liegen, wobei weiterhin kein bestimmter Zeitpunkt zur Realisierung dieses Ziels genannt wird.
Dividendenerhöhung ist gesichert
Für Aufatmen dürfte heute auch die höhere Rentabilität – die Kapitalrendite stieg 2024 um 20 Basispunkte auf 14,1% – sowie der starke freie Cashflow gesorgt haben. Das sichert die traditionelle Dividendenerhöhung, je Aktie sollen die Aktionäre für das abgelaufene Geschäftsjahr 3.05 Fr. und damit 5 Rappen mehr als für 2023 erhalten. Für 2024 wird Nestlé damit fast 8 Mrd. Fr. an die Aktionäre ausschütten. Und Freixe wird es kaum wagen, in Zukunft von dieser Ausschüttungspolitik abzuweichen. Was derzeit eine Dividendenrendite von 3,7% für 2025 ergibt.
Aber ich bin überzeugt: die Zeiten der sehr grosszügigen Aktienrückkaufprogramme sind bis auf Weiteres vorbei. Im Fokus steht nun neben den angesprochenen Investitionen auch, die unter Mark Schneider bewusst stark gesteigerte Verschuldung zu reduzieren. Bei einem Schuldenberg von 56 Mrd. Fr. beträgt das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda rund 3. Ausserdem dürften die Kapitalrendite und der Cashflow im laufenden Jahr durch aufgeschobenen Restrukturierungskosten belastet werden.
Zuletzt wurde Nestlé klar unterschätzt, die enttäuschenden Zahlen zusammen mit der schlechten Kommunikation liessen die Investoren zweifeln. Nun aber stimmt die Basis für zukünftiges Wachstum, die Probleme wurden erkannt, die Strategie des neuen CEO dünkt mich schlüssig. Die Umsetzung folgt aber erst und es wird auch im Erfolgsfall dauern, bis sich die Massnahmen richtig auszahlen, Rückschläge dürften unvermeidlich sein.
Die Aktien sind auch nach dem Kursanstieg am Donnerstag im historischen Vergleich nicht teuer. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2025 liegt bei 18,5 und damit unter dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre (21,5), wobei die Gewinnschätzungen wohl noch nach oben revidiert werden dürften. Angesichts des klar niedrigeren Wachstums und des herausfordernden Umfelds wäre aber eine Bewertung wie in der Phase von 2020 bis 2022 und damit ein deutlich höheres Kursniveau kurzfristig auch nicht gerechtfertigt.
Mit dem heutigen Ergebnis hat Nestlé nicht nur operative die Basis gelegt, sondern auch den Ausbruch auf dem Negativtrend der Aktien bestätigt. Auf lange Frist sind das gute Aussichten. Ich bleibe dabei.
Freundlich grüsst im Namen von Mrs Market
Gabriella Hunter