Erstmals wird deutlich, worüber seit Wochen spekuliert wird: Die israelische Armee besetzt wohl eine kilometerbreite Zone hinter der Grenze.
«Ich möchte nicht mehr an einem Ort leben, der nur vier Kilometer von Gaza entfernt ist», sagte eine Frau aus dem Kibbuz Zikim vergangene Woche in einer Bar in Tel Aviv. Die Französin lebt mit ihrem israelischen Ehemann nun temporär in der Metropole. Sie ist einer der über 200 000 Menschen in Israel, die entweder aus der Nähe des Gazastreifens oder dem Norden umsiedeln mussten. «Ich glaube nicht, dass ich mich in Zikim jemals wieder sicher fühlen werde.»
Die israelische Regierung weiss, dass viele so denken wie die Frau Anfang dreissig. Um das Gefühl der Sicherheit wiederherzustellen, wollen die israelische Armee und die Regierung von Ministerpräsident Netanyahu offenbar eine Pufferzone etablieren, die einen Kilometer tief in den Gazastreifen reichen soll. Der Tod von 21 Soldaten am Dienstag deutete auf das Vorhaben hin. Die israelischen Kämpfer wurden von einer Rakete der Hamas getroffen, während sie die Sprengung von Wohnhäusern nahe der israelischen Grenze vorbereiteten. Die Soldaten wurden unter den Trümmern begraben.
Ein Armeesprecher sagte am Dienstag, die Soldaten hätten die Infrastruktur der Terroristen östlich von Khan Yunis im Süden Gazas zerstört. Sie operierten etwa 600 Meter vom Grenzzaun zu Israel entfernt, «um die Sicherheitsbedingungen für die Rückkehr der Bewohner des Südens zu ermöglichen». Der Etablierung einer Sicherheitszone auf dem Territorium Gazas stellen sich die USA entschieden entgegen, die Uno spricht von einem Kriegsverbrechen.
Israel zerstört Häuser nahe der Grenze
Das Konzept einer Pufferzone im Gazastreifen wird in Israel schon seit einigen Wochen diskutiert. Die Aussagen der israelischen Streitkräfte am verlustreichsten Tag seit Beginn der Bodenoffensive lassen darauf schliessen, dass Israel tatsächlich einen Teil des Küstenstreifens auf unbestimmte Zeit besetzen will. Palästinensische Zivilisten werden in die einen Kilometer breite Zone hinter der Grenze wohl nicht zurückkehren können.
Laut amerikanischen und israelischen Medien wurden israelische Soldaten angewiesen, einen einen Kilometer breiten Streifen hinter der Grenze zu Israel zu «räumen». Häuser in dieser Zone werden von israelischen Soldaten zerstört, und das Gelände werde mit Bulldozern planiert. Bereits Anfang Januar konnte man im Norden Gazas erleben, wie sich israelische Soldaten mit schwerem Gerät eingruben.
Nach einer Analyse von Satellitenbildern von Adi Ben Nun, Professor für Geoinformatik an der Hebräischen Universität Jerusalem, soll die israelische Armee bereits vergangene Woche 1110 von 2850 Gebäuden in der Pufferzone beschädigt oder zerstört haben. Die Armee hat die Zahlen auf Anfrage der NZZ weder bestätigt noch dementiert. Von den Streitkräften hiess es, die israelische Armee zerstöre Terrorinfrastruktur, die sich auch in Gebäuden befinde. Dies sei notwendig, «um einen Defensivplan zu implementieren, der die Sicherheitslage im Süden Israels verbessert».
Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu macht auf Anfrage ebenfalls keine genauen Angaben zu einer permanenten Pufferzone in Gaza. «Wir haben klargemacht, dass wir keine Pufferzone auf dem Territorium von Israel akzeptieren werden», sagte ein Regierungssprecher am Donnerstag. «Dieser Krieg wird enden, wenn die Bewohner der Kibbuzim, die am 7. Oktober ethnisch gesäubert wurden, sicher nach Hause zurückkehren können.» Israel werde daher Bedingungen dafür schaffen, dass eine solche Bedrohung für die Bürger Israels nie wieder entstehen könne.
Israels Regierung schert sich nicht um die internationale Kritik
Die USA lehnen eine Besatzung des Gazastreifens durch israelische Soldaten vehement ab. Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken sagte am Dienstag, dass Washington die Zwangsumsiedlung von Palästinensern in Gaza ablehne. «Wir haben klargemacht, dass die territoriale Integrität Gazas erhalten werden muss.» Gleichzeitig ist es laut Blinken angemessen, dass Israel temporäre Sicherheitsmassnahmen ergreift, so dass israelische Bürger im Süden in ihre Häuser zurückkehren können.
Für die Uno stellt die Zerstörung ganzer Häuserblocks entlang der Grenze ein mögliches Kriegsverbrechen dar. Der Uno-Sonderberichterstatter für angemessenen Wohnraum, Balakrishnan Rajagopal, sagte der «New York Times»: «Es gibt keine Bestimmung in der Genfer Konvention, die rechtfertigt, was Israel an der Grenze tut.»
Es hat allerdings den Anschein, dass Israels rechte Regierung nicht auf die internationale Kritik hört. Bereits wenige Tage nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober kündigte der damalige Aussenminister Eli Cohen an, das Territorium Gazas müsse verkleinert werden.
Am Mittwoch sagte ein Parlamentarier der Likud-Partei von Ministerpräsident Netanyahu im Gespräch mit der NZZ in Jerusalem, dass eine Pufferzone für Israel notwendig sei. «In manchen Gegenden in Gaza werden israelische Soldaten verbleiben, und Zivilisten dürfen dorthin nicht zurückkehren.» Israel könne nicht akzeptieren, dass seine Feinde weiterhin an der Grenze stünden. Ausserdem dürfe die Regierung in Jerusalem nicht den Anschein erwecken, dass sich der Angriff der Hamas gelohnt habe: «Die Terroristen müssen für ihre barbarische Attacke bezahlen.» Für Israel geht es bei der Pufferzone augenscheinlich nicht nur um Sicherheit – sondern auch um Abschreckung.