An der Bayerischen Staatsoper inszeniert Claus Guth «Die Liebe der Danae» von Richard Strauss als sehr gegenwärtige Dystopie um den Aufstieg und Fall von Populisten. Ihre Brisanz bekommt die Produktion durch die Geschichte dieses Spätwerks, das erstmals 1944 erklang.
Sie stehen am Ende alle an der Rampe, blicken ins Publikum – als wollten sie mahnen: Wehret den Anfängen! Seid wachsam, dass das alles nicht noch einmal passiert! Hinter ihnen flimmern historische Filmaufnahmen über eine Leinwand. Man sieht den greisen Richard Strauss, wie er durch den Garten seiner Villa im oberbayrischen Garmisch spaziert. Der Komponist schaut kurz in die Kamera, sein Blick wirkt leer und zutiefst melancholisch. Die Gründe für die seelische Verdüsterung sieht man auch: Historische Filmaufnahmen zeigen das zerbombte München, Strauss’ Vaterstadt und Stätte einiger der grössten Erfolge seiner Laufbahn als Komponist.
Ob Frauenkirche oder Nationaltheater: Was Strauss einst liebte, woran er fest glaubte, die Schönheit von Kunst und Kultur zumal, das alles liegt zu diesem Zeitpunkt in Trümmern. In seinen «Metamorphosen» für 23 Solo-Streicher von 1945, vom Basler Mäzen und Dirigenten Paul Sacher in Auftrag gegeben und uraufgeführt, wird Strauss seiner Trauer über den Untergang der Kulturwelt Ausdruck verleihen. Vier Jahre später, im September 1949, stirbt er.
Mit diesen erschütternden Eindrücken lässt der Regisseur Claus Guth seine Neuinszenierung der späten Strauss-Oper «Die Liebe der Danae» an der Bayerischen Staatsoper in München ausklingen. Auf virtuose, gleichzeitig erschreckend konzise Weise verknüpft er darin die Erinnerung an das Gestern mit dem Heute. Wer diese vorletzte Oper von Strauss inszeniert, kommt nämlich nicht umhin, sich mit der Genese des Werks auseinanderzusetzen. Guth gelingt das geradezu mustergültig.
Das Gestern im Heute
Als Richard Strauss 1938 mit der Arbeit an der «Liebe der Danae» beginnt, bangt ganz Europa noch um den Frieden. Die brandgefährliche Sudetenkrise wird mit dem sogenannten «Münchner Abkommen» vorerst entschärft, indem die Tschechoslowakei das Sudetenland an Nazi-Deutschland abtritt – faktisch ein «Münchner Diktat». Während der weiteren Arbeit an der «Danae»-Oper wird Polen von Nazi-Deutschland überfallen, der Zweite Weltkrieg bricht aus. Strauss vollendet die Partitur 1940, in dem Jahr, als Dänemark und Norwegen wie auch die Benelux-Länder und Frankreich fallen. Der Luftkrieg um England beginnt. Strauss vermerkt in der Partitur, die Oper dürfe «nicht früher als 2 Jahre nach Friedensschluss herauskommen».
Vier Jahre später, im Sommer 1944, soll «Die Liebe der Danae» dann doch uraufgeführt werden, im Rahmen der Salzburger Festspiele und mit viel propagandistischem Pomp aus Anlass von Strauss’ 80. Geburtstag. Doch zur Premiere kommt es nicht mehr. Wegen des Kriegsverlaufs und des Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli, also unmittelbar vor Beginn des Festspielsommers in Salzburg, wird das Festival abgesagt. Die meisten übrigen Theater im deutschen Machtbereich sind da, zumal seit der Ausrufung des «Totalen Kriegs» durch Goebbels, schon kaum mehr spielfähig; am 1. September 1944 werden sie offiziell geschlossen.
Immerhin kann in Salzburg nach einer Intervention des Dirigenten Clemens Krauss aber noch eine halböffentliche Generalprobe stattfinden, bei der auch Strauss zugegen ist – und mit ihm offenbar etliche Grössen des wankenden NS-Regimes. Strauss sagt danach in einer Ansprache vor den Wiener Philharmonikern: «Vielleicht sehen wir uns in einer besseren Welt wieder.» Zur offiziellen Salzburger Uraufführung kommt es erst 1952, drei Jahre nach seinem Tod.
Guth nimmt die von der Weltgeschichte überschattete Werkgenese zum Anlass, um die Handlung an heutigen Verhältnissen zu spiegeln – im Gewand einer Dystopie. Aus dem Königreich, in dem Pollux, der Vater Danaes, verschwenderisch herrscht, wird ein Wolkenkratzer – wohl der Trump-Tower in New York, wie die Szenerie von Michael Levine suggeriert. In diesem Gebäude agieren masslose Blender, und in der Ausstattung von Ursula Kudrna wird aus dem lautstark prahlenden Zampano-König Pollux offenkundig ein Trump-Verschnitt.
Es geht Guth dabei zentral um die Spielarten des Populismus, den er entlarvend vorführt. Dazu hätte er fraglos auch auf andere Populisten und Autokraten zurückgreifen können, die gegenwärtig allenthalben Karriere machen. Aber der neue, alte US-Präsident eignet sich dafür natürlich besonders gut, weil seine Worte und Taten ähnlich markant sind wie sein Äusseres.
Zudem scheint Trumps schöne neue Weltordnung Geister einer Zeit wiederzuerwecken, die man eigentlich überwunden glaubte. Hier setzt Guth an und skizziert zugleich einen möglichen Ausblick in die Zukunft. Im Verlauf des Abends bricht nämlich die Glitzerwelt im Trump-Tower zusehends in sich zusammen. Bald rauchen Ruinen, im Wolkenkratzer hausen Obdachlose. Als ein Helikopter vor der Fensterfassade auftaucht, machen die Gestrandeten auf sich aufmerksam, doch die letzte Rettung fliegt einfach davon.
Von dieser Dystopie blendet Guth schliesslich über in das Gestern rund um die Entstehung der «Danae»-Oper von Strauss und setzt Aufstieg und Fall solch egomanischer Herrschertypen damit, durchaus provokativ, aber nicht platt, in einen historischen Kontext. Mit dem Blick in die Geschichte legt seine Inszenierung vielmehr den Finger in die Wunden der Gegenwart.
Opulenz mit viel Schlagobers
Es war ein Glück, dass diese erste Münchner Neuinszenierung seit 1988 überhaupt stattfinden konnte. Denn am Vortag hatte die erkrankte Malin Byström in der Titelrolle der Danae absagen müssen. Einen schnellen Ersatz zu finden, ist bei den Partien dieser selten aufgeführten Oper eine nahezu unlösbare Aufgabe. Doch die Sopranistin Manuela Uhl hatte die tückische Partie bereits nach der Jahrtausendwende in Kiel verkörpert und sie zuletzt 2016 in Berlin gesungen, unter der Leitung von Sebastian Weigle, der jetzt auch die Münchner Neuproduktion dirigierte. Erst am Vormittag des Premierentags stand dann fest, dass Uhl die Partie auch szenisch gestalten würde – eine herausragende Leistung, die vom Premierenpublikum mit Ovationen bedacht wurde.
Für Weigle, den langjährigen Generalmusikdirektor der Oper Frankfurt, gab es indessen auch verhaltene Buhrufe. Die Kritik schien nicht unbegründet. Sein Strauss-Dirigat wirkte dynamisch oft arg übersteuert, was die Stimmen unnötig unter Druck setzte. Selbst Andreas Schager, bekanntlich ein dynamisch meist sehr präsenter Heldentenor, kam als Danaes Geliebter Midas hörbar an Grenzen. Nun ist die Musik von Strauss zwar üppig gesetzt, klingt nach «Rosenkavalier» mit viel zusätzlichem Schlagobers und einem kräftigen Schuss Wagner-Opulenz, garniert mit subtilen Selbstzitaten aus «Salome» und «Elektra». Vom differenzierten Strauss-Schmelz, sonst eine Spezialität des Bayerischen Staatsorchesters, war das dennoch weit entfernt.
Ähnlich wie in der «Ariadne auf Naxos» die Titelpartie und die Rolle des Bacchus erscheinen auch hier Danae und Jupiter gesangsstilistisch einer Wagner-Oper entsprungen. Christopher Maltman setzt dies in der unangenehm hoch liegenden, für einen Heldenbariton mit Wotan-Format konzipierten Partie des Jupiter beeindruckend um. Dieser Jupiter ist ein müde gewordener Gott, der Danae zwar begehrt, aber ihrem irdischen Liebesglück nicht mehr im Wege stehen will. Er akzeptiert schliesslich, dass Danae um der Liebe willen allem Reichtum entsagt und mit Midas in Armut leben will. Der Oberste der Mächtigen resigniert – wie einst Richard Strauss selbst. Keine sehr hoffnungsvolle Botschaft.