Mit seiner Band Patent Ochsner hat er gerade das Album «Tag & Nacht» veröffentlicht. Nun spricht er über politische Korrektheit in der Musik. Manche der neuen Benimmregeln hält er für eigenartig dogmatisch.
Büne Huber, bei Ihrer Musik hat man den Eindruck, dass die Gefühle aus der Seele direkt in die Songs fliessen. Ist es so?
Gefühle stehen am Anfang. Das sind aber nicht nur meine Gefühle. Wir wollen als Band etwas auslösen. Das beginnt mit meinen Skizzen, Melodien und Textfragmenten, die wir gemeinsam weiterentwickeln. Dabei versuchen wir, uns möglichst keine Grenzen zu setzen. Am Anfang wollen wir keine Sittenpolizei im Kopf haben. Politische Korrektheit muss man im Schaffensprozess nicht als Erstes hinstellen. Das kommt erst, wenn es in Richtung Veröffentlichung geht.
Political Correctness ist für Patent Ochsner also ein Thema?
Keiner sagt: Das oder das dürfen wir nicht. Am Anfang ist alles erlaubt. Aber im Prozess merkt man dann manchmal: Ah shit, nein, das sollte man so vielleicht nicht mehr sagen.
Gibt es ein Beispiel auf der neuen Platte, bei dem diskutiert wurde?
Die meisten Dinge sind einfach Geschmacksache. Man könnte vielleicht über dieses «Shaiszelied» sprechen.
Da singen Sie mit Balkan-Akzent über die Sterne am Firmament.
Das war einfach so eine Spassvogelgeschichte. Muss man es machen? Nein. Darf man? Ja, selbstverständlich!
Gab es bei Patent Ochsner je unkorrekte, umstrittene Songs?
«Sensemann», letzten Sommer. Da singe ich: «Figg di, Sensemaa, läng nid myni Liebschten a – chasch derfür dr Trump u dr Putin ha.» Das fanden manche grenzwertig. Es hiess, das sei eine Aufforderung zum Mord. Aber das stimmt natürlich nicht: Der Sensemann mordet nicht, der holt bloss ab.
Muss man heute als Musiker einen Sittenpolizisten im Kopf haben?
Gesellschaftlich ist etwas in Bewegung, die Sprache wird eingeebnet. Ich habe kein Problem damit, wenn sie sich verändert. Aber ich stelle fest, dass man sich zusammennehmen muss, um niemandem auf den Schlips zu treten.
Wann steht man jemandem auf den Schlips?
Es gibt Überempfindlichkeiten, die eigenartig dogmatisch sind. Da sagt einfach jemand, wie die neuen Benimmregeln zu sein haben: Da wird eine neue Hausordnung an die Wand genagelt und hat nun zu gelten. Dabei ist es schön, wenn nicht alle nach den gleichen Hausregeln sprechen. Ich finde es gut, wenn man jemandem anhört, woher er kommt, was er für eine Einstellung hat. Obwohl mir vielleicht manche Dinge dieser Ausdrucksform nicht passen. Es gibt aber auch sehr viele Dinge, die man berechtigterweise diskutiert. Es ist auch in Ordnung, dass gewisse Worte nicht mehr benutzt werden sollen.
Bei Gölä hat das Publikum einen Hang nach rechts, bei Züri West sind die meisten urban und eher links. Wie würden Sie die Fans von Patent Ochsner charakterisieren?
Was mich immer wieder beeindruckt, ist die Breite unseres Publikums. Das gilt für das Altersspektrum ebenso wie für die sozialen Milieus. Aber was die Politik betrifft, so wissen unsere Zuhörer wohl schon, dass wir auf der linken Seite stehen. Ich finde aber, dass ich mir gar keine Gedanken über die politische Einstellung der Fans machen sollte. Ich muss mir überlegen, wie wir, wie Patent Ochsner als Band, auftreten.
Auch Ihre Musik ist meist unpolitisch. Das Konzept des Protestsongs verbindet man zum Beispiel nicht mit Patent Ochsner.
Das interessiert mich überhaupt nicht. Ich will nicht an einem Song arbeiten, der jetzt an einer politischen Thematik hängt, und nächstes Jahr kann man ihn nicht mehr spielen, weil das Problem gelöst ist. Oder – wenn man nach Gaza schaut – weil man zu keiner Seite mehr stehen kann. Ich finde es viel wichtiger, dass ich mich als Person positioniere und dass man weiss, wo Büne Huber steht.
Wo steht er?
Ich stehe auf der Seite der Menschen, der Menschenrechte, der Toleranz und des Friedens. Ich stehe für die Liebe, den Zuspruch, die Empathie, fürs Kämpfen und Zuhörenkönnen, selbst wenn man eine andere Meinung hat.
Zeichnet das vielleicht auch die öffentliche Figur Büne Huber aus, dass Sie eigentlich genau wissen, wo Sie stehen – aber auch die anderen verstehen. Und sich darum nicht laut in politische Diskussionen einmischen?
Ich finde, ich habe mich auch schon sehr klar positioniert. Während der Corona-Pandemie zum Beispiel habe ich mich klar fürs Impfen ausgesprochen.
Sie werden in der Schweiz als Berner Musiker wahrgenommen. Was aber prägt Ihr Selbstverständnis mehr – die Region Bern oder die Schweiz?
Mir ist es nicht wichtig, dass ich Berner bin. Ich wurde einfach hier hineingeboren. Aber ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, in Basel zu wohnen. Da fühle ich mich immer sehr wohl – und unterdessen weiss ich auch, warum: weil man in Basel schon das Meer riechen kann.
Warum sind Sie dennoch in Bern geblieben – hat Sie der Mundartrock an die Region gebunden?
Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Ich war auch nicht immer hier. Ich habe schon im Ausland gelebt, ein halbes Jahr in Spanien. Es ist immer schön, Bern zu verlassen. Aber es ist auch schön zurückzukommen; das liegt vor allem an meinem sozialen Umfeld, an all den Freundinnen und Freunden.
Wie steht es um Ihr Verhältnis zur Schweiz?
Die Schweizer Identität ist mir sehr wichtig. Ich empfinde die direkte Demokratie als grosse Errungenschaft. Es ist gut, dass man sich immer wieder mit Dingen beschäftigen muss, von denen man zuerst keine Ahnung hat. Man muss Fragen stellen, Diskussionen verfolgen, und irgendwann ist man in der Lage, seine Stimme abzugeben. Wir wählen keine Regierung, der wir dann vier Jahre ausgesetzt sind.
Im neuen Song «Stäffisburg» singen Sie davon, wie ein Paar im Auto sich eingeklemmt fühlt – «iiklemmt hie zwüsche Stäffisburg und Thun». Ist das eine Metapher für das Engegefühl in der Schweiz?
Es gab eine Zeit, da galt Steffisburg als Durchschnittsgemeinde der Schweiz: Die Abstimmungen dort spiegelten die Kräfteverhältnisse im ganzen Land. Ich fand das deshalb ein schönes Bild: eine Autofahrt durchs Schweizer Mittelland, in dem alles mittelmässig geworden ist. Es fehlen jedenfalls grosse Ideale oder Abenteuer.
Das neue Album, etwa der Song «Dämone», erzählt von Ihrer Depression. Wie formt diese schwere Erfahrung einen Menschen?
Bis ich selbst eine Depression hatte, dachte ich: Das passiert mir nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das passiert und was es bedeutet, wenn man darin steckt. Jetzt weiss ich, wie schnell es gehen kann. Und dass es immer wieder passieren könnte. Das hinterlässt Spuren.
Polo Hofer ist gestorben, Endo Anaconda ist gestorben, und Züri West befindet sich durch die Erkrankung von Kuno Lauener in einer schwierigen Situation – geht nun die Ära Berner Mundartrock zu Ende?
Es hat halt etwas zu tun mit dem Alter. Der Tod schlägt immer näher ein. Plötzlich verliert man Leute aus dem Freundeskreis. Ich bewege mich jetzt in dem Teil des Waldes, in dem Bäume gefällt werden.
Welchen Einfluss hat das Altern auf die Zukunft von Patent Ochsner?
Wir fragen uns schon: Wie kann man mit Würde weitermachen? Wie viel ertragen wir eigentlich noch? Bald haben wir zwei Serien von fünf Konzerten hintereinander. Ich weiss: Ich werde sehr zurückhaltend sein müssen, was das Nachtleben betrifft. Die Stimme schonen und am Schluss dann doch noch eine Kortison-Tablette schlucken, weil die Stimme leidet wie ein Schwein. Aber in ein paar Jahren wird eine solche Konzertserie gar nicht mehr möglich sein.
Rock’n’Roll war ursprünglich eine Jugendkultur. Wie bewährt er sich als Ausdrucksmittel gegen Ende des Lebens?
Wir haben in dieser Beziehung tatsächlich nicht viele Vorbilder. Das machte es spannend. Was zum Beispiel heisst es, als Sänger würdevoll alt zu werden? Müssen wir einfach unser Hit-Programm runterspielen? Ich glaube, es geht weiterhin darum, in Bewegung zu bleiben und Neues auszuprobieren.
Bei Patent Ochsner denkt man sofort an Büne Huber. Warum ist Ihnen die Band so wichtig?
Für mich ist die Band zentral. Nur im Austausch mit den verschiedenen Mitgliedern kann sich unsere Musik entfalten. Ich stehe zwar meistens im Mittelpunkt, aber mir ist es wichtig, welche Ausstrahlung die ganze Band hat. Dass all die unterschiedlichen Mitglieder ihr Talent zum Ausdruck bringen können und trotzdem ein Team bleiben. Manche sind seit Jahrzehnten dabei. Wir nennen das – die kleine Kammer.
Nach all den Veränderungen im Musikbusiness in den letzten Jahren und den Entwicklungen von der Schallplatte über die CD zum Streaming: Wovon leben Sie heute eigentlich?
Heute bestreiten wir den Lebensunterhalt aus den Konzertgagen. Die Einkünfte aus dem Verkauf von Alben sind schon vor Jahren eingebrochen. Früher haben wir von Alben wie der «Schlachtplatte» noch um die 150 000 Exemplare verkauft. Mit den Einnahmen der einen Platte konnten wir dann jeweils die Produktion der nächsten sichern. Wir liefern dem Label die Musik und die Grafik fix fertig ab. So hat uns bisher nie jemand dreinreden können. Heute werden kaum mehr physische Alben verkauft – und das ist natürlich spürbar. Jetzt sind wir oft im Ungewissen.
Wie steht es um die Zukunft der Schweizer Pop-Musik?
Ich höre mir leidenschaftlich gerne die Radiosendung «punkt CH» an, die neue Schweizer Produktionen vorstellt. Am Anfang sagte ich über das Sendungskonzept: «Das macht ihr jetzt höchstens einen Monat, und dann landet ihr schon in den Übungskellern von Schülerbands.» Ich hatte nicht geglaubt, dass es genug gute neue Musik geben würde, war also total blasiert. Aber unterdessen bin ich begeistert, wie ständig aus irgendeiner Ecke des Landes etwas neues Spannendes kommt.
Sie persönlich befinden sich in einem Spannungsfeld: Einerseits sprechen Sie davon, dass das Ende näherkommt. Andererseits aber sind Sie Vater von drei Kindern, zwei davon sind noch sehr klein. Holen Sie sich Energie bei den Kindern, oder sind Sie umso müder?
Die Kleinen sind nur dreizehn Monate auseinander. Die ersten vier Jahre waren schon sehr intensiv und anstrengend. Jetzt sind sie acht- und neunjährig, und es ist wieder ruhiger geworden. Kinder geben und brauchen Energie – aber letztlich geben sie mehr.