Die lange Pause nach der Oberschenkel-Operation hat dem Mittelfeldspieler von Manchester City gutgetan: Kevin De Bruyne spielt, als hätte er die Zeit zurückgedreht. Dank Fitnesstraining und Schnitzeljagd.
Die komplizierte Suche auf dem Winter-Transfermarkt nach Verstärkung ist Manchester City wohl erspart geblieben. Nach dem historischen ersten Champions-League-Triumph in der Vorsaison lief der Triple-Sieger in der Hinrunde den eigenen Erwartungen hinterher. Im November stand der Meister zum letzten Mal an der Tabellenspitze der Premier League, dazu kam das frühe Aus im League Cup. Die allgemeine Meinung in England war, dass der Klub neue Spieler verpflichten müsse, um den Rückstand aufzuholen. Zumal auch City selber mit den eigenen Sommeraktivitäten nicht restlos zufrieden schien.
Doch bisher hat sich der Verein mit Transfers sehr zurückgehalten – weil sich die Rückkehr des Schlüsselspielers Kevin De Bruyne wie ein Zugang anfühlt.
Die gesamte Hinrunde, also fast ein halbes Jahr lang, ist De Bruyne wegen einer Verletzung am hinteren Oberschenkel ausgefallen. So lange wie noch nie zuvor in seiner Profi-Laufbahn. Die Probleme hatten sich schon in den vergangenen vier Jahren angedeutet. Insgesamt verpasste er in diesem Zeitraum fünfzig Pflichtspiele, meist wegen muskulärer Beschwerden. Zum Ende der vergangenen Saison verschlimmerte sich die Lage: In nur sieben der damals letzten dreizehn Partien stand der Mittelfeldspieler in der City-Startelf, im Champions-League-Final musste er bereits in der ersten Halbzeit ausgewechselt werden.
Im Rückblick habe sich das Leiden durch die fehlende Pause vergrössert, stellte der 32-Jährige fest, aber die Bedeutung der Matches sei das Risiko wert gewesen. Wohl auch, weil am Schluss für ihn der ersehnte erste Champions-League-Sieg herausgesprungen war.
Seine Hamstrings seien wie ein «nasses Küchentuch» gewesen
Durch die nur kurze Sommerpause heilte die Verletzung beim Belgier nicht aus. Trotzdem meldete er sich zum Premier-League-Auftakt im August fit – bis ihn erneute Schmerzen in der 23. Minute zur Aufgabe zwangen. In Abstimmung mit Manchester City entschied sich De Bruyne diesmal zu einer OP und damit einer monatelangen Pause. Die Entscheidung sei unvermeidbar gewesen, weil die rückseitigen Oberschenkelmuskeln viele Einrisse ausgewiesen hätten und «jederzeit» komplett hätten reissen können, erklärte er. Seine Hamstrings seien wie ein «nasses Küchentuch» gewesen.
Den Eingriff nach mehr als 700 Profimatches empfand der Spielmacher als «grosse Wartung» seines Körpers, verglich sie mit der Instandhaltung eines Autos. Seine Einstellung zur Verletzung änderte sich plötzlich, er schilderte die Wichtigkeit des Heilungsverlaufs für seine Karriere.
Die Abwesenheit vom Spielbetrieb schien De Bruyne, der sich seit zwölf Jahren für seine Vereine und die belgische Nationalmannschaft im Dauereinsatz befand, sowohl psychisch als physisch gut zu bekommen. Er nutzte die Auszeit, um seine Fitness zu stärken. Und sich zugleich vom Fussballstress zu erholen. Er besuchte das Formel-1-Rennen in Abu Dhabi und nahm an einer Schnitzeljagd in Suffolk teil, einer geschichtsträchtigen Gegend an der englischen Ostküste. Diesen Break habe er wohl benötigt, um «alles wieder ins Lot zu bringen», bilanzierte er.
Zum Jahreswechsel kehrte De Bruyne erstmals in das City-Kader zurück und gab kurz darauf sein Debüt im FA Cup gegen Huddersfield. Seine Rückkehr bejubelten die Fans weitaus euphorischer als das Weiterkommen. Der Empfang sei ein spezieller Moment für ihn gewesen und habe ihm Auftrieb gegeben, sagte De Bruyne danach. Sonst liefert er fast keine Einblicke in seine Gefühlswelt. Trainer Jürgen Klopp von Liverpool, das auch dieses Jahr mutmasslich wieder Citys härtester Widersacher sein wird, witzelte anerkennend, dass durch das De-Bruyne-Comeback «das ganze Land zu beben begonnen» habe. Und tatsächlich löste De Bruynes folgender erster Liga-Einsatz Mitte Januar eine mittlere Erschütterung in Fussball-England aus.
Der 3:2-Sieg über Newcastle: Wendepunkt in der Meisterschaft?
Bloss fünf Minuten nach seiner Einwechslung gelang ihm beim Spielstand von 1:2 im Auswärtsspiel gegen Newcastle United ein Tor, das es so wohl noch nie gab in der Premier League. Aus knapp 20 Metern spielt De Bruyne den Ball passgenau durch die Beine seines Gegenspielers in die Torecke, ohne Abwehrchance für den Newcastle-Goalie. Ein echtes Schmuckstück!
In der Nachspielzeit vollendete De Bruyne seine Leistung, indem er den Siegtreffer mit einem wunderbaren Lob-Zuspiel hinter die Abwehr vorbereitete. Der Mitspieler Rúben Dias verneigte sich beim Jubeln vor ihm. Der 3:2-Sieg fühlte sich für City wie ein Wendepunkt in der Meisterschaft an – und für De Bruyne wie der Beweis dafür, seine alte Schaffenskraft auf Anhieb wiedererlangt zu haben.
Vor der zweiten Saisonhälfte, die für City am Freitagabend mit dem unangenehmen FA-Cup-Auswärtsspiel bei Tottenham Hotspur startet, ist De Bruyne somit der Hoffnungsträger im Team von Trainer Josep Guardiola. De Bruynes Wert für City bezifferte der Trainer kürzlich in einer geflügelten Analyse. Für die Spielweise der Mannschaft sei De Bruyne zwar vergleichsweise unerheblich – aber um Matches zu gewinnen, würde es ihn benötigen.
Damit wollte Guardiola zum Ausdruck bringen, dass es De Bruyne ist, der mit seiner Dynamik und seinen spielbeschleunigenden Pässen dem auf Ballkontrolle ausgerichteten City-Stil die Zielstrebigkeit vor dem Tor verleiht. In 244 Premier-League-Spielen für Manchester kommt De Bruyne auf grandiose 106 Assists. In der ewigen Bestenliste befindet er sich damit auf dem dritten Rang, nur Cesc Fábregas und Ryan Giggs liegen noch vor ihm.
Fábregas, langjähriger Arsenal- und Chelsea-Mittelfeldstratege, sagte kürzlich der BBC, dass De Bruynes Leichtigkeit gerade an einen «kleinen Jungen» erinnere, der von seinen Eltern neue Fussballschuhe bekommen habe. Die Boulevardzeitung «Daily Mail» pflichtete der Einschätzung bei, der Routinier sehe «schlanker, fitter und stärker» aus als vorher, selbst das Lächeln des manchmal launisch auftretenden Fussballers sei viel strahlender. Am auffälligsten ist der neue Look: Die sonst kurzen Haare sind nun bauschig, voluminös, fast glänzend. Die Frisur lässt ihn jünger erscheinen – als ob er die Zeit als Fussballer um einige Jahre zurückgedreht hätte. In dieser Verfassung ist Kevin De Bruyne für Manchester City die erhoffte Verstärkung zur Rückrunde. Und eine, wie sie auf dem Transfermarkt wohl nicht zu finden wäre.