Nach der österreichischen Skiwoche mit Kitzbühel und Schladming muss man festhalten: Vor allem die österreichischen Abfahrer bereiten Sorgen – so schlecht waren sie noch nie. In gewissen Punkten schauen sie neidisch auf die Schweizer.
Fünf Rennen, ein Podium. Das ist Österreichs Ausbeute aus der intensiven Woche auf eigenem Terrain mit den Klassikern in Kitzbühel und Schladming. Der Podestplatz gelang Manuel Feller ausgerechnet im Riesenslalom, für den er wegen Rückenproblemen seit Mitte Dezember kaum mehr trainiert hatte. Auch wenn er in den Slaloms nicht an seine Siege von Adelboden und Wengen anknüpfen konnte: Feller erlebte einen erfolgreichen Januar, er liegt im Gesamtweltcup auf dem dritten Platz hinter Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin.
Trotz Fellers Erfolgen sind die Österreicher zurzeit alles andere als zufrieden. Das Hauptproblem ist die Abfahrt, der einstige Stolz und das Herzstück der erfolgreichsten Skination. Die bisherige Saisonbilanz: sieben Abfahrten, kein Podium. So schlecht waren die Österreicher seit der Einführung des Weltcups 1967 noch gar nie. Zur Einordnung der Dominanz: In der ewigen Siegerliste stehen 192 Abfahrtssiege der Österreicher zu Buche, auf Platz zwei folgen die Schweizer mit 129 Siegen. Kein Wunder, ist diese Saison ein Stich ins erfolgsverwöhnte rot-weiss-rote Herz.
Die Österreicher haben nur einen Siegfahrer in ihren Reihen, Vincent Kriechmayr, Weltmeister und neunfacher Weltcup-Sieger in der Abfahrt. Ausgerechnet der 32-Jährige aber fühlt sich derzeit nicht wohl genug auf den Abfahrtsski, um volles Risiko einzugehen. In Kitzbühel zeigte er wieder gute Ansätze, das reichte für die Ränge sieben und sechs.
In den letzten sechs Jahren gab es nur drei Abfahrtssieger
Seit 2017 und Hannes Reichelt gab es neben Kriechmayr nur noch zwei andere Österreicher, die eine Abfahrt gewannen: zum einen Max Franz, 34, ein Draufgänger und ewiges Versprechen für Grosserfolge. Vor vierzehn Monaten aber brach er sich beide Beine, wobei auch ein Nerv durchtrennt wurde; ein Comeback liegt in weiter Ferne.
Der zweite war der Olympiasieger Matthias Mayer, 33, der im vergangenen Winter überraschend den Rücktritt gegeben hatte. In Kitzbühel half er am Donnerstag den jungen ÖSV-Fahrern auf der Besichtigung bei der Linienwahl – und wurde abends von der Polizei abgeführt, weil er an einem Anlass alkoholisiert ausfällig geworden war. Daraufhin wurde bekannt, dass Mayer wohl schon länger psychische Probleme hat und in Behandlung ist.
Der gewichtigste Ausfall aber ist Marco Schwarz, der Odermatt dieses Jahr den Gesamtweltcup streitig machen wollte. Nach einem hervorragenden Saisonstart riss er sich kurz vor Jahresende das Kreuzband.
Das Fehlen von solch grossen Namen mag die schmale Abfahrtsgruppe derzeit nicht verkraften, vor allem, wenn die zweite Garde um Daniel Hemetsberger, 32, Daniel Danklmaier, 30, oder Otmar Striedinger, 32, durch Krankheiten oder Verletzungen geschwächt ist.
Ob Mayer, Danklmaier oder Kriechmayr – egal. Für Sepp Brunner veranschaulicht eine Zahl die Schwierigkeiten der Abfahrtsdisziplin in Österreich optimal. «An den österreichischen Meisterschaften in der Abfahrt standen im vergangenen Frühling 46 Teilnehmer am Start, in der Schweiz 119. Das sagt alles.» Brunner ist seit 2017 der Abfahrtstrainer der österreichischen Männer, zuvor war er zwei Jahrzehnte lang in verschiedenen Trainerrollen in der Schweiz engagiert gewesen. Er sieht einen Grund für diesen grossen Unterschied in der Breite der beiden Skinationen in den Speed-Camps, die Swiss Ski seit 2012 für die U-18-/U-21-Fahrerinnen und -Fahrer durchführt, jeweils im Herbst auf den Gletschern in Zermatt und Saas-Fee. Seit drei Jahren gibt es sie auch für die U 16.
Bei diesen Kursen haben die Jugendlichen die Gelegenheit, ihr Interesse an den schnellen Disziplinen zu entdecken. Erhielten sie diese Chance nicht, werde der Einstieg schwieriger, sagt Brunner, zudem spüre er wegen der vielen Unfälle vermehrt auch Skepsis der Eltern gegenüber der Abfahrt.
Keine Sommertrainings mehr auf dem Gletscher
In Österreich gibt es keine Möglichkeiten mehr, im Sommer oder im Herbst auf dem Gletscher Abfahrt zu trainieren. So müsse der Verband sogar die Europacup-Fahrer im Sommer nach Südamerika schicken, sagt der Alpinchef von Ski Austria, Herbert Mandl, sonst sei man zu spät dran. Das Ziel sei allerdings nicht, alle guten Athleten auf die Speed-Disziplinen zu ziehen, sondern auch wieder mehr Wert auf eine gute Riesenslalom-Ausbildung zu legen; er bleibt die Basisdisziplin. In der technischen Ausbildung des Nachwuchses gebe es noch Luft nach oben, sagen mehrere Beobachter.
Viele Jahrgänge ab 1990 seien verletzungsbedingt ausgefallen, sagt Mandl, und «wenn das pro Jahrgang die zwei besten Fahrer trifft, hat das grossen Einfluss auf die Breite». Dieses Problem kennt auch die Schweiz: Was ist der beste Weg, die talentierten Fahrer sicher in den Weltcup zu führen, ohne sie zu verheizen, aber doch rechtzeitig nachzuziehen, damit die Älteren den Druck von unten spüren?
Für frühe Weltcup-Einsätze spricht, dass sie die Pisten kennenlernen. Dagegen, dass es der Entwicklung auch guttut, auf anderer Stufe «gewinnen zu lernen», wie Mandl sagt. Das Thema hatte im Januar für einen Aufschrei gesorgt: In Wengen waren in der Abfahrt bloss vier Österreicher am Start gewesen. Ein «Armutszeugnis» sei das für die Abfahrernation gewesen, wetterte etwa Stephan Eberharter in seiner Kolumne in der «Kronen-Zeitung»; in seinen eigenen Erfolgszeiten um die Jahrtausendwende im sagenhaft starken Team um Hermann Maier, Fritz Strobl, Michael Walchhofer oder Hannes Trinkl undenkbar.
Die Lauberhornrennen zu fahren, wäre «strategisch dumm» gewesen
Nur vier Athleten an den Lauberhorn-Start zu schicken, fand auch Marko Pfeifer nicht lustig, der Rennsportleiter der ÖSV-Männer. Doch gleichzeitig fanden in Saalbach Europacup-Abfahrten statt, die einzigen des Winters in Österreich. «Strategisch dumm» wäre es gewesen, die jungen Fahrer nicht dort, sondern in Wengen starten zu lassen, sagt Pfeifer. Denn das Ziel ist auch in Österreich: über den Europacup Fixplätze für den Weltcup sichern. Jeweils die ersten drei der Disziplinenwertung Ende Saison erhalten einen solchen Fixplatz für die Saison darauf. Sie belasten damit erstens nicht mehr das nationale Startkontingent und sparen sich auch den Stress der ständigen internen Ausscheidungen.
Was die Österreicher weiter als Probleme ausmachen, beschäftigt fast alle Nationen gleichermassen. Erstens: die Schwierigkeit, unterklassige FIS- und Europacup-Rennen in den Speed-Disziplinen durchzuführen. Es fehlen Organisatoren für die Rennen, weil der Aufwand derart gross ist. Zweitens eine fehlende permanente Verbandspiste. Eine solche würde Training und Rennen auf hohem Niveau garantieren, bedeutete aber, dass diese für alle Touristen geschlossen bliebe. Natürlich gehe es um viel Geld, sagt Marko Pfeifer, der einen optimalen Nordhang in Innerkrems ausgemacht hat, auf dem zurzeit die Lifte stillstehen – «aber schliesslich sagt man, der Skisport sei unser Heiligtum».
In der vergangenen Saison schaffte es Österreich bei den Männern wie bei den Frauen erstmals seit Weltcup-Beginn nicht in die Top 2 der Nationenwertung. Zwei Winter lang blieben sie ohne Kristallkugel, den Nationenpreis holten sie seit 2019 nur noch einmal. Doch die Österreicher halten sich an etwas fest: an der nächsten Generation um Stefan Babinsky etwa, der in Kitzbühel Vierter wurde. Daran, dass bei Kriechmayr nur wenig fehlt. Oder an der Tatsache, dass es im Super-G sehr wohl funktioniert, hier standen diesen Winter schon drei verschiedene Fahrer auf dem Podium, Kriechmayr gewann in Gröden.
An diesem Wochenende werden in Garmisch-Partenkirchen zwei Super-G gefahren. Für das angeschlagene Speed-Team könnten sie als Aufbau dienen.