Joseph Daher nahm 2024 an der propalästinensischen Besetzung auf dem Lausanner Campus teil. Weil er einer Aktivistin seinen Zutrittsbadge lieh, annullierte die Universität seine Vorlesungen.
Die Universität Lausanne kommt nach der tagelangen Besetzung durch propalästinensische Demonstranten im Mai 2024 nicht zur Ruhe. Die jüngste Affäre betrifft den Politikwissenschafter Joseph Daher, der während der Besetzung unter anderem, wie weitere Dozenten, an Versammlungen der Demonstranten teilgenommen hatte. Die Universität Lausanne hat Dahers Lehrauftrag im Januar nach der offiziellen Sprachregelung nicht verlängert. Daher unterrichtete seit zwölf Jahren an der Universität und sollte im gerade begonnenen Frühjahrssemester ein Seminar in internationalen Beziehungen durchführen.
Die Universität kommuniziert zu dem Fall nicht. Sie beendete die Zusammenarbeit mit Daher, nachdem sie eine Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung beauftragt hatte. Die Kanzlei war nach einer Befragung Dahers zu dem Schluss gekommen, dass der Gastprofessor die Treuepflicht gegenüber der Universität «mittelschwer bis schwer» verletzt habe. Im Kern geht es darum, dass Daher – wie von ihm bestätigt – einer Aktivistin mehrfach seine Zutrittskarte zu einem Uni-Gebäude sowie seinem Büro geliehen hatte.
Die Aktivistin gilt als Führungsfigur der – zunächst von der Universitätsleitung tolerierten – Besetzung. Sie war zum Zeitpunkt der Proteste nicht Studentin der Universität Lausanne, sondern jener in Freiburg. Daher lieh ihr seine Zutrittskarte nach eigenen Angaben, damit sie in seinem Büro Gegenstände abstellen und sich angesichts ihrer Gesundheitsprobleme und des generellen Kontexts von «Spannungen und Druck» auf einer Matratze ausruhen konnte.
Anwaltskanzlei wirft Daher Vertragsbruch vor
Laut dem Bericht der Anwaltskanzlei, den die NZZ einsehen konnte, verstiess Daher mit seinem Verhalten mehrfach gegen «rechtliche und vertragliche Pflichten». So seien die Zutrittskarten personalisiert und dürften nicht weitergegeben werden.
Daher habe der Aktivistin mit der Karte auch Zutritt zu Gebäudebereichen gegeben, zu denen nur ein enger Kreis von Berechtigten Zugang habe. Zudem habe es während der Besetzung eigens einen Schlafbereich für die Aktivisten gegeben. Im Fall einer nötigen Evakuierung des Gebäudes hätten Sicherheitskräfte nicht ahnen können, dass womöglich auch in Dahers Büro eine Person schlafe.
Daher relativiert diese Vorwürfe. Er besitze seine Zutrittskarte seit vielen Jahren und habe nicht vom Verbot gewusst, sie weiterzugeben, sagte er den Anwälten. An der Universität sei es generell durchaus üblich, dass Dozenten ihre Karte etwa an Gäste oder Doktoranden weitergäben.
Während der Besetzung seien zudem auch besonders gesicherte Gebäudebereiche jedem zugänglich gewesen, weil die Notausgänge offen gestanden hätten. Und schliesslich habe er der Aktivistin mit dem Zugang zu seinem Büro auch ermöglicht, in Ruhe beten zu können – und dies nicht vor den Augen der angeblich feindlich gesinnten Presse in der Aula des Gebäudes machen zu müssen.
Daher sieht lange Kampagne gegen sich
Im Gespräch sagt Daher, dass er sich als Opfer einer politischen Kampagne sehe. Seit März 2024 – also noch vor der Besetzung – gehe die Universität gegen ihn vor. Zunächst sei seine wissenschaftliche Expertise zum Mittleren Osten angezweifelt worden, sagt Daher. Der schweizerisch-syrische Doppelbürger verweist auf seine vielen Veröffentlichungen und Vorträge, auch im Ausland. Daher ist zudem tätig an der Universität Gent in Belgien und am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz.
Seit Dahers De-facto-Entlassung durch die Universität Lausanne Ende vergangener Woche bekannt wurde, erhält er viel Unterstützung. Der Rat seiner Fakultät für Sozial- und Politikwissenschaften verabschiedete fast einstimmig eine Resolution. Darin heisst es, die «angebliche Nicht-Verlängerung» von Dahers Vertrag sei «ungerechtfertigt», die zugrunde liegende Prozedur «willkürlich». 30 von 34 Anwesenden – bei insgesamt 44 Mitgliedern – stimmten der Resolution zu, 4 enthielten sich, wie die Fakultät auf Anfrage mitteilt.
Die Gewerkschaft VPOD/SSP, der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste, hat Dahers Argumentation zudem fast wortgleich übernommen. Die Universität Lausanne habe «eine Prozedur erfunden, um einen ihrer Mitarbeiter loszuwerden», schrieb die Gewerkschaft am Montag in einer Pressemitteilung. Sie unterstütze Dahers Klage vor dem Arbeitsgericht für die öffentliche Verwaltung.
Und schliesslich gibt es zwei Petitionen zur Unterstützung Dahers. Die erste, interne Petition an der Universität Lausanne wurde von mehr als 150 Personen unterschrieben, unter ihnen mehrere Dutzend Professoren. Die zweite, externe führte am Donnerstag gut 1600 Namen auf, unter ihnen sieben Nationalräte und Nationalrätinnen von der SP und den Grünen sowie den SP-Ständerat Carlo Sommaruga.