Er warb für Coca-Cola und beriet die Hochfinanz, den Freisinn, Bundesräte oder die Schweizer Armee: ein Porträt von Rudolf Farner.
«Die Leute wollen Geschichten. Nur wer eine gute Geschichte hat, dringt durch.» (Harry Wind)
Für das Leichenmahl werden nur bestes Bündnerfleisch und erlesenste Tropfen aufgetischt. Und zwar gleich in vier Zürcher Zunfthäusern. Der 66-Jährige, von dem an jenem wolkenlosen 15. März 1984 im Fraumünster Abschied genommen wird, war ein besonders hohes Tier, ein Traumverkäufer, ein Geschichtenerzähler, ein Seelenfänger, kurz: der vielleicht wirkungsmächtigste Werber und schillerndste Spin-Doctor, den die Schweiz je gesehen hat. Die öffentliche Anteilnahme ist zugleich seine letzte Performance. Siebzehn von langer Hand orchestrierte Todesanzeigen berichten in der Neuen Zürcher Zeitung auf vollen drei Seiten von seinem Ableben nach tapfer erduldeter Krankheit, dem Magenkrebs. Das haben nicht einmal Bundesräte oder General Guisan geschafft.
Die Abdankungszeremonie im mit Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Armee übervollen Gotteshaus muss zusätzlich in die nahe gelegene Wasserkirche übertragen werden, so gross ist der Andrang. Das bürgerliche «Establishment» erweist seinem ordnungspolitischen Fackelträger die letzte Ehre – mit Blumen, Präsenz und Pathos. Die Linken hingegen sehen im Verstorbenen weiterhin den klandestinen Kulissenschieber des Kapitalismus und verlieren selbst im Moment der Andacht die Contenance. Niklaus Meienberg, ihr feuriger Starschreiber, ätzt in einem Kondolenzartikel in der Wochenzeitung über den «grössten Haifisch im Aquarium der schweizerischen Werbemonstren, den ausdauerndsten Ellenbogler, grossspurigsten Expansionisten, marktbeherrschendsten Militaristen, unheimlichsten Patrioten, hervorragendsten Geldscheffler und tüchtigsten Kitschier unter den Werbevögeln». Versöhnliches zum Verblichenen? Fehlanzeige.
Heute, rund vierzig Jahre später, polarisiert Rudolf Farner nicht mehr. In Erinnerung geblieben sind bloss die von ihm gegründete Agentur sowie ein Zitat: «Mit einer Million mache ich aus jedem Kartoffelsack einen Bundesrat.» Der Satz evoziert ein Unbehagen gegenüber den heimlichen Verführern innerhalb demokratischer Strukturen, den Public-Relations-Experten, den Werbern, den Lobbyisten, und er malt das Gespenst der Käuflichkeit von Macht an die Wand. Dass dieser Ausspruch wahrscheinlich gar nicht von Farner stammt, spielt keine Rolle, zu gut passt er zu dem Mann mit den wulstigen Augenbrauen, der früh die Mechanismen der Propaganda in den USA studiert und im Alpenland perfektioniert hat. Sein Credo: Mit Geld lassen sich nicht nur Bedürfnisse erzeugen, sondern auch politische Haltungen fabrizieren. In Farners Biografie verdichtet sich auf eigentümliche Weise die Geschichte der Nachkriegsschweiz. Eine «amerikanische» Geschichte des Aufschwungs, Aufbruchs und des Massenkonsums, aber auch eine des radikalen Antikommunismus und der geistigen Landesverteidigung.
Die unkonventionelle Werbung für Coca-Cola macht Rudolf Farner schlagartig berühmt: Kampagne aus dem Jahr 1954.
Rudolf Farners Aufstieg zum Polit-Propagandisten des Bürgertums ist der Weg eines Tausendsassas, eines Chrampfers und Grossmauls, eines Lebemanns und Strategen. Am 16. Juni 1917 als Sohn eines Anwalts geboren und in Horgen am Zürichsee aufgewachsen, fehlt es «Fänsch», wie er seit der Kindheit genannt wird, nicht an Selbstbewusstsein. Er ist mit 1,70 Meter eher kleingewachsen, umso grösser ist sein Ego. Der Pfadfinder und Bergsteiger studiert nach der Matura Rechtswissenschaften, macht als Infanterist im Aktivdienst schnell Karriere. Nach Ende des Weltkriegs schliesst er sein Doktorat ab und unternimmt journalistische Gehversuche bei der Weltwoche und der Annabelle, bevor es ihn 1948 in die USA zieht, wo die Wirtschaft auf Hochtouren läuft.
Er will das Geschäft mit der Werbung lernen, versucht sich als Verkäufer an der Front und heuert schliesslich bei der Agentur Foote, Cone & Belding an. Dort wird schon seit den 1920er Jahren mit aufwendigen Kampagnen der Konsum der Massen befeuert. «Ich war überzeugt, die Werbung würde auch in der Schweiz ein bedeutender wirtschaftlicher und politischer Faktor werden», sagt Farner später über seine Beweggründe.
Der Spiritus Rector jener Branche, die mit Träumen jongliert, ist damals Edward L. Bernays, Neffe Sigmund Freuds, gebürtiger Wiener und Erfinder der Public Relations. Er macht 1924 den blassen Calvin Coolidge mit dem Slogan «Keep cool with Coolidge» zum Präsidenten oder sorgt 1929 im Auftrag einer Tabakfirma dafür, dass Zigaretten auch bei Frauen salonfähig werden, indem er eine Gruppe Feministinnen als Zeichen der Emanzipation auf der Fifth Avenue in New York vor versammelter Presse rauchen lässt. Er kreiert Ereignisse, die Nachrichten generieren, die wiederum die Nachfrage schaffen für das, was verkauft werden soll. Bernays’ Buch Crystallizing Public Opinion wird schliesslich zur Bibel der Meinungsmanipulierer und soll in den 1930er Jahren auch beim Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels in der Bibliothek gestanden sein.
Der junge Farner erweist sich in den USA als gelehriger Schüler der modernen Werbeindustrie. Er konzipiert unter anderem eine Imagekampagne für die Schweizer Uhrenindustrie, die nach den wirtschaftlichen Verstrickungen der Eidgenossenschaft mit dem Hitler-Regime noch immer mit Handelshemmnissen zu kämpfen hat, und zeigt sich bereits als gerissener Geschäftsmann. So dreht er kitschliebenden Amerikanern zu happigen Preisen Gartenzwerge an, die er aus dem Schwarzwald importiert. Als er nach seiner Rückkehr 1950 in Zürich ein eigenes «Reklamebüro» gründet, orientiert er sich an der Organisationsform grosser amerikanischer Agenturen und führt von Anfang an sowohl Werbe- als auch Public-Relations-Kampagnen durch. Es ist die erste konsequent organisierte, arbeitsteilig operierende Agentur der Schweiz.
Der Begriff der PR ist damals noch nicht geläufig, Farner spricht bei Schweizer Kunden daher von «Reklame» und «Öffentlichkeitsarbeit». Für seine Kampagnen verwendet er soziologische und psychologische Methoden, Marktforschung im heutigen Sinn – eine Pionierleistung hierzulande. Der Zeitpunkt der Gründung seiner Agentur ist zudem gut gewählt. Fünf Jahre nach Kriegsende zeichnet sich eine Wirtschaftskonjunktur ab, die Lebensmittelrationierungen haben ein Ende, die Kaufkraft vieler Haushalte nimmt zu, der freie Konsument will sich in der neuen Warenwelt austoben, erste internationale Konzerne drängen in den Schweizer Markt.
Für seinen Jugendfreund Richard Sprüngli entwickelt Farner erste Kampagnen für dessen Schokoladenreich. Das Mandat, das ihn schlagartig als Werber berühmt macht, ist jedoch Coca-Cola. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, welche Widerstände der amerikanische Softdrink in der Schweiz einst hervorgerufen hat. Restaurants, die das Getränk im Sortiment führen, werden boykottiert; Personen, die es trinken, werden beschimpft. Farner führt Befragungen in der Bevölkerung durch und kommt zum Fazit: «Die Gesamtheit der öffentlichen Meinung ist gegenüber Coca-Cola negativ eingestellt. (. . .) Coca-Cola verkörpert auf der einen Seite rücksichtslosen, wirtschaftlichen Imperialismus, auf der anderen Seite arbeitsscheue, charakterschwache Swingbrüder.»
Nun fährt Farner schweres Geschütz auf: Er setzt, wie der Historiker Andreas Heizmann herausgearbeitet hat, nicht nur auf Werbeinserate, die das Image des Getränks verbessern sollen, sondern verschickt auch positiv gefärbte Hintergrundberichte an Zeitungsredaktionen, organisiert Fabrikbesuche und Degustationen, lanciert einen Wettbewerb, spannt sogar eine Fasnachtsgruppe ein, die sich öffentlich über den Coca-Cola-Boykott der Wirte lustig macht. Zudem lässt er die Medien über die Wichtigkeit von Arbeitspausen berichten und bereitet damit den Boden für den berühmten Slogan «Pause – trink Coca-Cola». Die mehrjährige Kampagne verfehlt ihre Wirkung nicht: Der Softdrink wird nun auch in der Schweiz zum Verkaufsschlager und zum Inbegriff des modernen amerikanischen Lebensstils.
Hochkarätige Mandate: Werbekampagnen aus den frühen sechziger Jahren für Waschmittel und Zigaretten.
Weitere hochkarätige Mandate folgen im Laufe der Jahre: Henkel, Nestlé, Philip Morris, die Barbie-Puppe oder Mitsubishi – jede Produktlancierung ist ein Spektakel. Farner, der die Werbung als Grundpfeiler der Marktwirtschaft und der liberalen Demokratie sieht, gründet bis Mitte der 1960er Jahre in Amsterdam, Brüssel, Düsseldorf, Mailand und Wien Tochtergesellschaften. Er macht Unternehmen gross und Menschen zu Konsumenten. Sein Erfolgsrezept: «Ich bin nicht besonders originell, aber ich arbeite verrückt viel und verrückt schnell.» 1963 wird «Fänsch» vom internationalen Branchenverband zum «Werbefachmann des Jahres» gekürt – als erster und bisher letzter Schweizer. An der Hochschule St. Gallen hält der begnadete Redner Marketing-Vorlesungen und sorgt mit seinen hübschen Sekretärinnen für Aufruhr. Im Publikum sitzt die nächste Generation der Mächtigen, unter ihnen kommende Wirtschaftskapitäne oder auch der spätere Bundesrat Hans-Rudolf Merz.
Kritik ruft hingegen seit Beginn das politische Engagement von Farners PR-Abteilung hervor, die seit 1951 organisatorisch und räumlich vom Werbegeschäft getrennt ist. Die Abstimmung über die Aufhebung der Kontingentierung von Tabak von 1952, die zum Schutz kleinerer Produzenten im Weltkrieg eingeführt wurde, ist Farners erster Streich. Er gewinnt den sogenannten «Stumpenkrieg» mit der gezielten Bearbeitung von Journalisten, bezahlten Leserbriefschreibern, Gratis-Zigarren und pathetischen Phrasen: «Das Glück und der Wohlstand und die Existenz einer ganzen Schweizer Volksgruppe wird gefährdet.» Seine Methoden der Massenbeeinflussung verstören. Farner arbeite mit Täuschung und Tarnung, klagen selbst Exponenten der Werbewirtschaft in der Zeitschrift Schweizer Reklame; «Ist unsere Presse bestechlich?», fragt die Zürcher Woche. Noch Jahre später schreibt die NZZ rückblickend auf die Tabakvorlage von einem «geradezu nach amerikanischen Massstäben arbeitenden Propagandabureau». Und weiter: «Wir dürfen und müssen heute diese werbetechnisch zwar geschickt aufgezogene, die öffentliche Willensbildung aber in übler Weise beeinflussende Stimmungsmache an den Pranger stellen.»
Die Verführungskraft der PR, dieser «Kunst des richtigen Tons» (Berater Aloys Hirzel), steht in den 1950er und 1960er Jahren noch generell am Pranger. Der internationale Bestseller The Hidden Persuaders des US-Journalisten Vance Packard trägt wesentlich dazu bei. Er enthüllt, wie Werbung und PR tiefenpsychologisches Wissen anwenden, um die Bevölkerung zu manipulieren. Im Diskurs um kommunistische Propaganda und subtile Gehirnwäsche durch die Sowjets entwickelt die Schrift im Westen eine ganz eigene Dynamik – auch in der Schweiz, wie der Historiker David Eugster kürzlich in einem Aufsatz dargelegt hat. Während heute der Einbezug von Werbe- und PR-Experten längst zum Alltag gehört, löst die offensichtliche Amalgamierung von Kommerz und Politik damals Ängste aus. In der Schweiz wird Farner zum Prototyp des geheimen Verführers und Kalten Kriegers.
Bereits ab Mitte der 1950er Jahre steht er als PR-Stratege im Sold der Armee und der Rüstungsindustrie. «Fänsch», der bis zum Oberst im Generalstab befördert wird, verfügt über ein hervorragendes Kontaktnetz: Die hohen Offiziere sitzen alle auch an den Schalthebeln der Privatwirtschaft und der Politik. 1956 stellt er Gustav Däniker ein, der sein wertvollster Mitarbeiter im «Büro Farner» wird und in der Armee als Meisterstratege bis zum Divisionär aufsteigt. Die beiden glühenden Patrioten hegen Grossmachtphantasien, sehen eigene Atombomben als «staatspolitische Notwendigkeit», propagieren moderne Flugzeuge, die Atomwaffen im Ernstfall bis nach Moskau transportieren könnten. Sie gründen für ihre Anliegen den «Verein zur Förderung des Wehrwillens und der Wehrwissenschaft», eine Art antikommunistischen Think-Tank und die erste von zahlreichen Tarnorganisationen, die Farner für sein «Campaigning» ins Leben ruft. Finanziert wird er vornehmlich von Rüstungsfirmen.
Unentwegt trommelt der Werbekönig für einen Ausbau der Landesverteidigung, die er als «billigste Lebensversicherung» der Schweiz bezeichnet, und dirigiert alle gewichtigen militärpolitischen Kampagnen – mehr Panzer, bessere Flugzeuge, höhere Militärausgaben. Farners Selbsteinschätzung: «Mit mir gewinnt man immer.» Sein Meisterstück ist die Gestaltung des Armeepavillons an der Expo 64 in Lausanne. Der staatlich propagierte Wehrwille manifestiert sich in der monumentalen Architektur eines igelförmigen Betonbunkers. Farner inszeniert mit viel Geld eine wehrhafte Schweiz, die auch im Atomzeitalter ihre Unabhängigkeit verteidigt. Ein Propagandafilm im exquisiten 70-mm-Format, der im Inneren des Pavillons auf drei riesigen Leinwänden gezeigt wird, bietet Überwältigungskino in Hollywood-Manier. «Wir wollen beeindrucken, nicht belehren», meint Farner lapidar. Der Film über die ultimative Verteidigungsschlacht im Alpenraum wird zum Publikumsmagnet und erhält sogar Oscar-Nominierungen.
Bei der Auswahl seiner PR-Mandate ist Farner unzimperlich: «Wer zahlt, wird bedient» sei das Motto gewesen, erinnert sich der PR-Berater Klaus J. Stöhlker, der in den 1970er Jahren für ihn gearbeitet hat. Einzig für die Linken würde Farner nie in den Ring steigen. Geschäftspolitik ist für ihn immer auch Gesinnungspolitik. In einem Interview rühmt er seine Agentur, nie einen Auftrag angenommen zu haben, hinter dem sie nicht «in jeder Beziehung» gestanden sei. Er spezialisiert sich auf Krisenkommunikation und Imagekorrekturen, berät in gebotener Verschwiegenheit die Hochfinanz, die Stromwirtschaft, den Freisinn, Bundesräte oder den Schah von Persien. Selbst die argentinische Militärjunta rückt er für saftige Honorare ins richtige Licht, preist das Land als aufstrebende Wirtschaftsmacht. Wird in den Medien kritisch über seine Kunden oder Kampagnen berichtet, interveniert «Fänsch» zuweilen höchstpersönlich, droht mit einem Inseratestopp – die Verquickung von PR und Werbung macht ihn zum Marionettenspieler. Die Verleger sind ihm meist gefügig, zu schmerzhaft wären allfällige finanzielle Einbussen.
Farner wird bewundert und beneidet, anerkannt und abgelehnt, manchmal alles zusammen. Gegenüber Kunden ist er charmant, bestimmend und prägnant, ein Raumfüller, der mit wenigen Sätzen die Menschen auf seine Seite zieht. Von seinen Mitarbeitern verlangt er absolute Disziplin und Korrektheit; wer nicht spurt, hat es schwer. In hektischen Situationen schnellt seine Stimme in die Höhe, wie häufig bei Offizieren. Er ist aber auch hilfsbereit und fördert Talente. Wer es in der Branche zu etwas bringen will, lernt das Handwerk bei Farner an der Oberdorfstrasse 28 in Zürich. Seine Agentur ist damals ein Mythos: umstritten, verschlagen, geheimnisvoll – und vor allem unendlich erfolgreich.
Seine Deals fädelt Farner mitunter in der ehrwürdigen «Kronenhalle» in Zürich ein, wo er seinen Stammplatz, einem Feldherrenhügel gleich, in einer Ecke mit gutem Überblick hat. Dort ordert er zum gediegenen Essen Champagner und Bordeaux, für weibliche Begleitung auch Blumenbuketts. Er lässt sich in wuchtigen amerikanischen Autos herumchauffieren. Seine Villa in Stäfa mit Swimmingpool, 40 Hektaren Umschwung und Rebberg lässt er dreimal umbauen – trotz kantonalem Bauverbot für solche Herrschaftshäuser. Aus unerfindlichen Gründen kürt er die Eule zu seinem Wappentier, sammelt alle möglichen Eulengegenstände, den Treppenaufgang ziert eine mit dem Tier bedruckte Tapete samt Lämpchen als Augen.
Presseberichte über sein Wirken klebt er säuberlich in Folianten: «Ich verbringe ganze Abende bei diesem Tun. Es macht mir einfach Spass, obwohl ich genau weiss, dass ich dabei im Grunde genommen etwas Zweckloses tue», sagt er. Auch als Zunftmeister ist der Festbruder «Fänsch» eine eigenwillige Nummer. Seine berühmt-berüchtigten Reden in der Zunft zur Schiffleuten lässt er als zweibändiges Werk drucken. Seine runden Geburtstage feiert er wie ein Fürst. Zu seinem Fünfzigsten werden die Gäste auf einer Schifffahrt auf dem Zürichsee von einer eigens aufgebotenen Luftwaffenstaffel begrüsst. Seinen Sechzigsten begeht er gleich dreimal, unter anderem im Grand Hotel Dolder mit viel Prominenz, einer Festschrift und einer sechsstöckigen Torte – Kostenpunkt: rund 90 000 Franken.
Die Anekdoten, die über Farner kursieren, sind legendär. So soll er etwa bei der Gründung seiner Werbeagentur einen Gummibaum bekommen haben mit dem Wunsch, es möge ihm immer so gut gehen wie diesem Bäumchen. Seither wertet «Fänsch» jedes Serbeln und Grünen des Baumes als Omen für die Firma: «Einmal – vor vielen Jahren – hatte der Gummibaum Würmer, da wusste ich, dass ich im Betrieb auch solche Schmarotzer hatte. Der Stadtgärtner und ich brachten beides wieder in Ordnung.» Ob wahr oder nicht, in Farners Gegenwart beginnt die «Realität zu flimmern», wie ein mit ihm befreundeter Werber einmal schreibt. Zeitlebens modelliert Farner auch seine eigene Vita.
Den Linken im Lande ist dieser bürgerliche Siegertyp und Strahlemann von Anfang an suspekt. Seine undurchsichtige Arbeit für die Mächtigen und das Militär, sein Reichtum, seine Arroganz, seine Verachtung sozialistischer Ideen und Gruppierungen machen Farner zum Buhmann und Feindbild. Der Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann, der kurz für Farner gearbeitet hat, setzt ihm ein literarisches Denkmal. Der Protagonist des Romans Das Verhör des Harry Wind, ein Antikommunist und PR-Mann, ist Farner nachempfunden und ein Meister im Erfinden von saftigen Geschichten und der Formatierung der Wirklichkeit: «Ich bin ein Drahtzieher. Ich herrsche. Ich herrsche überall, wo es zu herrschen gilt. Ich spiele mit dem Ehrgeiz der Dummen und spiele mit dem Machtwillen der Bösen, mit dem Hunger der Armen und mit dem Überfluss der Reichen. Alle stehen in meinen Diensten.»
Eine Gruppe investigativer Journalisten um Jürg Frischknecht und Ueli Haldimann geht Ende der 1970er Jahre den angeblich verborgenen bürgerlichen Herrschaftsstrukturen auf den Grund und veröffentlicht ein eigentliches Schwarzbuch der «unheimlichen Patrioten». Farner ist einer der prominentesten darin Beschriebenen; sowohl seine Klientel als auch seine Methoden werden unter die Lupe genommen. Die vordergründig gelassene Entgegnung aus dem «Büro Farner» auf derartige Unterstellungen: Wenn man so weit links stehe, müsse einem die Mitte ja reaktionär vorkommen. Die «Idealisten», «neuen Linken», die «68er» – sie alle sind ihm ein Graus, allesamt Landesverächter und Gegner der Marktwirtschaft, die zu viel Adorno, Marx und Marcuse gelesen haben.
1974 gründet Farner zusammen mit einer illustren Schar rechtsbürgerlicher Politiker die «Aktion Freiheit und Verantwortung», die sich für uneingeschränkte Werbe- und Wirtschaftsfreiheit engagiert, bald aber auch mit brachial getexteten Inseraten Aufsehen erregt. Verteidigt wird etwa der «Subversivenjäger» Ernst Cincera, der Fichen über Linke anlegt und von Frischknechts Gruppierung «Demokratisches Manifest» 1976 enttarnt wird: Den «roten Zellen» werden «Nazi-Methoden» vorgeworfen. Während der Zürcher Jugendunruhen im Sommer 1980 werden die Demonstranten in ganzseitigen Inseraten als «kriminelle Randalierer, Chaoten, Stadtguerilleros und potentielle Mörder» bezeichnet, die ihre Mittel «aus moskowitischen Geheimfonds» und «von Banküberfällen und Lösegeldern» bezögen. Die Bevölkerung wird aufgerufen, Bürgerwehren zu bilden. Einige Zeitungen verweigern den Abdruck. Unter dem Namen diverser Komitees wird zudem immer wieder Stimmung gemacht gegen unliebsame Politiker und «linke Lehrer», die mit marxistischem Gedankengut die Gesellschaft unterwanderten.
Rudolf Farners Weltbild ist wie das seiner Gegner: schwarz-weiss. Grautöne mag er nicht, schliesslich droht der Kalte Krieg beständig zu einem heissen zu werden. Die Angst, von der Freiheit in die Knechtschaft zu geraten, treibt ihn an. Dennoch gleicht der mächtige Meinungsmacher einem Chamäleon: Er ist zugleich Pionier und Konservativer, Betonkopf und Visionär, weltgewandter Turbokapitalist und Heimatschützer, Feingeist und Haudrauf. Er hat die Nachkriegsschweiz wesentlich mitgeprägt – aus dem Verborgenen, dem Hinterhalt, dem Off. Seine Figur bleibt, trotz einsehbarem Firmenarchiv, seltsam widerspenstig. Aber wie heisst es doch schon bei Harry Wind: «Wahrheit ergibt sich nur aus den Geschichten.»
Dieser Artikel erschien zuerst exklusiv im Magazin NZZ Geschichte, Nummer 3, 2015.