In Zürich wurde er geboren, doch Weltkarriere macht Philippe Jordan seit langem ausserhalb der Schweiz. Jetzt kehrt der erfolgreiche Dirigent nach einem Jahrzehnt Pause für ein Gastspiel zurück zum Tonhalle-Orchester.
Er ist so etwas wie Zürichs verlorener Dirigentensohn. Hier wurde Philippe Jordan 1974 geboren, hier zeigte sich früh seine Begeisterung für Musik. Mit acht sang er bei den Zürcher Sängerknaben, mit sechzehn begann er am Konservatorium eine Ausbildung zum Pianisten. Doch sein eigentlicher Berufswunsch stand da bereits fest. Seit dem neunten Lebensjahr wusste der junge Philippe: Er wollte Dirigent werden. Und er wurde es. Die Zielstrebigkeit verblüfft, gänzlich überraschend kam sie jedoch nicht: Schliesslich ist Philippe Jordan der Sohn des ehedem vielleicht bekanntesten Schweizer Dirigenten überhaupt, Armin Jordan.
Inzwischen ist er längst in die grossen Fussstapfen seines Vaters getreten – gerade die letzten beiden Positionen seiner Laufbahn haben Philippe Jordan zu einer zentralen Figur im europäischen Musikleben gemacht: Von 2009 bis 2021 leitete er die musikalischen Geschicke der Opéra de Paris, seither (und noch bis 2025) wirkt er in gleicher Position als Musikdirektor an der Wiener Staatsoper.
Der erfahrene Allrounder
Nur im eigenen Land ist es mit ihm ein bisschen wie mit dem sprichwörtlichen Propheten: Zu längerfristigen Engagements ist es nie gekommen. Auch wenn Jordan vermutlich regelmässig auf Kandidatenlisten für einen Chefposten beim Orchestre de la Suisse Romande, bei der Philharmonia oder beim Tonhalle-Orchester Zürich gestanden hat. Es sollte nicht sein, bislang. Der Gedanke «Was wäre, wenn . . .» verlieh nun aber seinem jüngsten Gastspiel in der Heimat zusätzlichen Reiz.
Überdies liegt der letzte Auftritt Jordans mit dem Tonhalle-Orchester – man glaubt es kaum – rund ein Jahrzehnt zurück. Mit dem Programm, das Werke von Robert Schumann und Richard Wagner zu einer gross angelegten «Rheinfahrt» verband, rollte man Jordan in der Tonhalle denn auch einen roten Teppich aus: Im sogenannten deutschen Repertoire fühlt sich der Schweizer von jeher besonders zu Hause, auch wenn er durch seine vielfältigen internationalen Verpflichtungen längst zum Universalisten geworden ist. Früher galt genau das als klassische Kapellmeistertugend; heute sind viele Dirigenten gezwungen, sich stärker zu spezialisieren oder interpretatorisch mit schärferen Gewürzen zu arbeiten, um sich aus der Menge der soliden Orchesterleiter (und zunehmend auch: -leiterinnen) herauszuheben.
Jordan, der erfahrene Allrounder, würzt eher zurückhaltend. Dennoch wird ein prägendes Merkmal seines Musizierens sofort spürbar: Es ist der höhenbetonte, leuchtende, wunderbar abgerundete Klang, der niemals massig oder geschlossen wirkt, sondern die Musik offen und frei atmen lässt. Das kommt Schumanns 3. Sinfonie, der «Rheinischen», sehr zugute, die hier für einmal ein gänzlich unvergrübeltes, pulsierendes Stück Lebensfreude sein darf. Allerdings hätte man aus der kühnen Überlagerung von 3er- und 4er-Rhythmen im Kopfsatz noch mehr tänzerische Energie gewinnen können.
«Ring»-Erzähler unter sich
Jordan nimmt den ausgelassenen Tonfall mit in die «Rheinfahrt» aus Wagners «Götterdämmerung», mit der der zweite Konzertteil beginnt. Freilich trübt sich das Licht rasch ein, denn nahtlos folgen «Siegfrieds Trauermarsch» und der finale Weltenbrand im Schlussmonolog der Brünnhilde («Starke Scheite schichtet mir dort»), hier eindrucksvoll, aber mit Problemen in der exponierten Höhe gesungen von Anja Kampe.
Selbst in diesem etwas flotten Zusammenschnitt des Fünf-Stunden-Dramas spürt man: Jordan ist nicht nur ein durch und durch kundiger, sondern auch ein ebenso fesselnder Erzähler wie Gianandrea Noseda, dem erst im November sein Meisterstück bei der Vollendung des «Ring»-Zyklus am Opernhaus gelang. Leider hat Jordan sein für diesen Sommer geplantes «Ring»-Dirigat in Bayreuth vor kurzem abgesagt – es hätte ein aufregender Vergleich werden können.