Auch wenn CDU und CSU nach der Wahl stärkste Kraft werden sollten, benötigen sie zum Regieren einen oder gar zwei Koalitionspartner. Die NZZ hat analysiert, wie sich die Parteien bei 25 zentralen Fragen positionieren – und ob sich dabei Überschneidungen mit der Union ergeben.
Friedrich Merz tritt als Kanzlerkandidat der Unionsparteien CDU und CSU an – seine Chancen, nach der Wahl Deutschlands nächster Kanzler zu werden, stehen gut. Doch mit welcher anderen Partei oder welchen anderen Parteien müsste die Union ein Bündnis bilden, um ihre Ziele umzusetzen? Diese Frage ist entscheidend für die künftige Regierung.
In einer ZDF-Wahlkampfsendung betonte Merz deutlich seine Abneigung gegen die AfD. «Frau Weidel, wir sind so weit auseinander wie mit keiner anderen Partei», sagte er zu deren Kanzlerkandidatin Alice Weidel. Aber stimmt das? Zwar hat sich die Union mit der sogenannten Brandmauer stets von der AfD abgegrenzt, doch ein Blick ins Wahlprogramm enthüllt durchaus Gemeinsamkeiten zwischen den Parteien.
Die NZZ hat die aktuellen Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, BSW und Linker analysiert, um herauszufinden, mit welchen Parteien die Union programmatisch übereinstimmt – und mit welchen nicht.
Bei der Migrationspolitik gibt es die meisten Überschneidungen zwischen der CDU/CSU und der AfD, der FDP und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die AfD stimmt in allen fünf Punkten mit der Union überein, darunter «Sachleistungen statt Geld» und «Einbürgerung erschweren».
Die FDP will lediglich den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aussetzen und Asylbewerber an der Grenze zurückweisen. Das BSW stimmt ebenfalls in zwei Punkten mit der Union überein: «Zurückweisungen an der Grenze» und «Sachleistungen statt Geld». SPD, Grüne und Linke vertreten keine dieser Positionen.
Die Union steht wirtschaftspolitisch in vielerlei Hinsicht auf einer Linie mit AfD und FDP. Sowohl die Rechtskonservativen als auch die Liberalen setzen sich für niedrigere Unternehmenssteuern ein, lehnen das nationale Lieferkettengesetz ab und sprechen sich gegen eine Erhöhung des Mindestlohns aus.
Im Gegensatz dazu fordern Grüne, SPD, BSW und Linke einen gesetzlichen Mindestlohn von 15 Euro. Zudem plädieren AfD und FDP für die Beibehaltung der Schuldenbremse in ihrer heutigen Form, um den Staatshaushalt vor übermässigen konsumtiven Ausgaben zu schützen.
Die AfD und die FDP befürworten – ebenso wie die CDU/CSU – einen Wiedereinstieg in die Atomkraft. Während die AfD Fracking ablehnt, ist die FDP die einzige der untersuchten Parteien, die dafür eintritt. Mit dem BSW gibt es kaum Übereinstimmungen.
SPD, Grüne und Linke lehnen zwar einen Wiedereinstieg in die Atomkraft kategorisch ab, insgesamt hat die Union bei den untersuchten Positionen aber mehr Gemeinsamkeiten mit Rot-Grün als mit AfD, FDP und BSW. Das liegt auch daran, dass die Union den CO2-Preis als Marktinstrument erhöhen will, Kürzungen beim Ausbau erneuerbarer Energien ablehnt und sich zur Klimaneutralität ab dem Jahr 2045 bekennt – fünf Jahre früher, als die EU dieses Ziel erreichen will.
In der Aussenpolitik stehen FDP und Grüne der CDU/CSU am nächsten, basierend auf den ausgewählten Themenfeldern. Wenn es um höhere Militärausgaben geht, sind sich FDP, Grüne, SPD und AfD einig – nur Linke und BSW lehnen das ab.
Die AfD ist ausserdem die einzige Partei neben der Union, die eine Wiedereinführung der Wehrpflicht befürwortet. Allerdings lehnt sie sowohl Waffenlieferungen an die Ukraine als auch einen EU-Beitritt der Ukraine ab.
AfD, FDP und BSW befürworten strengere Sanktionen für arbeitsunwillige Empfänger von Sozialhilfe. Die Sozialhilfe in Deutschland wird seit ein paar Jahren als Bürgergeld bezeichnet. Tatsächlich stimmen AfD und FDP in allen Punkten mit der Union überein: keine Vermögenssteuer, keine Kindergrundsicherung, keine Bürgerversicherung. Das BSW weicht bei der Vermögenssteuer und beim einheitlichen Krankenversicherungssystem ab.
Keine der untersuchten Parteien will das gesetzliche Renteneintrittsalter anheben, obwohl viele Experten die Rente mit 70 empfehlen. Demnach haben auch SPD, Grüne und Linke bei diesem Thema Übereinstimmungen mit der CDU/CSU. Sie stehen für eine ausgabenstarke Politik der «sozialen Gerechtigkeit» und damit im diametralen Gegensatz zur Union. Die hat sich, zumindest im Wahlkampf, unter ihrem ordoliberalen Oppositionsführer Merz gegen unnötige Ausgaben im Sozialhaushalt positioniert.
Diese Partner würden am besten zur Union passen
Die NZZ-Analyse von 25 zentralen Wahlkampfversprechen zeigt: Die AfD stimmt in 76 Prozent der Positionen mit der Union überein – mehr als jede andere Partei. Ähnliche Ergebnisse erzielt man, wenn man die Gemeinsamkeiten anhand der 38 Thesen des «Wahl-O-Maten» der Bundeszentrale für politische Bildung ohne Gewichtung berechnet: Auch dann landet die AfD auf Platz eins. Auf Platz zwei folgt die FDP, sowohl in der NZZ-Analyse als auch gemäss den «Wahl-O-Mat»-Thesen.
Wenn Friedrich Merz also behauptet, die Union liege mit der AfD «so weit auseinander wie mit keiner anderen Partei», mag das zwar mit Blick auf die Brandmauer zutreffen, doch das entspricht angesichts ihrer Wahlprogramme nicht den Fakten. Inhaltlich könnte die CDU/CSU mit der Partei rechts von ihr die meisten Versprechen umsetzen.
Da die Union jedoch per Parteibeschluss jede Zusammenarbeit mit der AfD auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene ausschliesst und für eine Mehrheit im Parlament mindestens einen weiteren Partner braucht, bleiben vor allem SPD und Grüne als Optionen. Doch hier ist die inhaltliche Übereinstimmung denkbar gering: mit den Grünen bei 32 Prozent, mit der SPD 28 Prozent. Sollte die FDP die 5-Prozent-Hürde überspringen, käme sie als dritter Koalitionspartner infrage – mit den Liberalen beträgt die Übereinstimmung immerhin 72 Prozent.