Die USA und China sind die zwei mächtigsten Länder in der internationalen Klimapolitik. Nun verlassen John Kerry und Xie Zhenhua, die höchsten Klimadiplomaten beider Regierungen, ihre Posten. Wie die beiden Männer die internationale Klimapolitik jahrzehntelang geprägt haben.
Hustend erschien John Kerry im Dezember am Ende der Klimakonferenz in Dubai vor versammelten Journalisten. Der amerikanische Klimagesandte und Chefunterhändler war sichtlich angestrengt – und erleichtert.
Kurz zuvor hatten die knapp 200 Regierungen der Welt neuen Anforderungen zugestimmt, um das Pariser Klimaabkommen in den kommenden Jahren weiter umzusetzen. Auch eine vage Absichtserklärung zur künftigen Abkehr von fossilen Brennstoffen fand sich in dem Abschlussdokument – ein erster Sieg für viele Aktivisten und Diplomaten, die in den Wochen zuvor um eine solche Aufforderung gerungen hatten.
Ohne das diplomatische Schwergewicht John Kerrys wäre die Einigung in Dubai nicht zustande gekommen – auch wenn Kritiker den USA regelmässig vorwerfen, weitreichende Durchbrüche zu verhindern. Das gilt besonders bei Geldfragen. Die USA kommen ihren Verpflichtungen bei der finanziellen Unterstützung von Entwicklungsländern nicht nach. In Verhandlungen über die Kompensation von Klimaschäden bremsen die Amerikaner seit Jahren.
Kerry war eine der Schlüsselfiguren auf den alljährlichen Klimakonferenzen. Stets klassisch elegant in dunklen Anzügen gekleidet zog der hochgewachsene Kerry Tag für Tag schnellen Schrittes durch die Messe- und Konferenzhallen, eingerahmt vom Tross seiner Berater. Während der anstrengenden Klimakonferenzen zeigte er grosses Durchhaltevermögen. In Sharm al-Sheikh im vergangenen Jahr verhandelte er bis zum Ende – aus seinem Hotelzimmer, trotz Covid-Erkrankung. Dass Kerry Einfluss hatte, spürte man. Seine Erscheinung füllte den Raum.
Die USA sind die wichtigste Wirtschaftsmacht und der zweitgrösste Emittent der Welt. Kein anderes Land hat in der Geschichte mehr Treibhausgase in die Atmosphäre gepumpt. Gleichzeitig sind die USA der grösste Erdöl- und Gasproduzent der Welt. Das erklärt eine Binsenweisheit der Verhandlungen: Ohne die USA bewegt sich in der internationalen Klimapolitik kaum etwas.
Zwei Grossmächte unter sich
Gleichzeitig gilt jedoch auch: Ohne die Zustimmung Chinas kann man heutzutage Fortschritte in der internationalen Klimapolitik vergessen. Das Land stösst rund ein Drittel der weltweiten Treibhausgase aus und ist damit bei weitem der grösste Verschmutzer. Es ist die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt, und für Peking ist klar: Das Land soll in den kommenden Jahrzehnten weiter kräftig wachsen.
Und so kam es an jenem Mittwoch im Dezember in Dubai dazu, dass der ehemalige amerikanische Aussenminister den Klimagesandten Chinas, Xie Zhenhua, auf dem Podium willkommen hiess. «Ich freue mich, dass ich hier mit meinem Freund bin, den ich – du meine Güte – seit 25 Jahren kenne», sagte Kerry lächelnd.
Die zwei Männer vereint mehr als die Tatsache, dass sie die grössten Verschmutzer und Wirtschaftsmächte der Welt vertreten. Ihre Körpersprache signalisiert klar: Man kennt sich nicht nur seit Jahren, sondern schätzt und respektiert sich. Das bestätigen auch langjährige Teilnehmer und Beobachter der Verhandlungen.
Mehr noch, beide teilen die Überzeugung, dass ihre Bemühungen um gute bilaterale Beziehungen in klimapolitischen Fragen wichtig sind – für die strategischen Interessen ihrer jeweiligen Länder, aber auch für die Welt.
Kerry war zwei Tage davor 80 Jahre alt geworden. Mit an der Geburtstagsfeier dabei: Xie Zhenhua, der heute 74 Jahre alt ist. Warum arbeiten sie noch immer? Weil man «leidenschaftlich» an der gemeinsamen Aufgabe interessiert sei, lautet die Antwort Xies.
Die Worte mögen pathetisch klingen, in der Klimapolitik wird oft auch aus taktischen Gründen die Moralkeule geschwungen. Für Gefühlsduselei ist Xie jedoch nicht bekannt. Im Gegenteil: «Xie hatte eine Menge Einfluss. Er ist sympathisch, er lacht, er wird wütend, er ist ein interessanter Typ, hart in den Verhandlungen, nicht langweilig», erinnert sich Todd Stern, der ehemalige amerikanische Chefunterhändler für das Pariser Abkommen, im Gespräch. «Ich mochte ihn von Anfang an, auch wenn es ziemliche Kämpfe gab.»
Die Konferenz in Dubai war gleichzeitig ein Abschied. Kerry werde seinen Posten räumen, um sich an der Kampagne zur Wiederwahl Joe Bidens zu beteiligen, heisst es. Auch Xie Zhenhua verlässt die Bühne. Mit Liu Zhenmin, einem ehemaligen Vizeaussenminister, steht sein Nachfolger seit diesem Monat fest.
Wer Kerrys Posten übernimmt und ob es überhaupt weiterhin einen Klimagesandten geben wird, der dem Präsidenten direkt unterstellt ist, ist noch ungewiss. Das gelte nicht nur für das Szenario, dass Donald Trump bei der Wahl im Herbst ein zweites Mandat erlangen werde, sondern auch bei einer Wiederwahl Bidens, sagen amerikanische Beobachter im Gespräch.
Ein Jahrzehnt der Meilensteine in der internationalen Klimapolitik
«Meiner Meinung nach gibt es kein Land, das für den Klimawandel und für Fortschritte bei der Klimapolitik wichtiger ist als die USA und China», sagt Todd Stern. Er war nicht nur der Chefunterhändler beim Pariser Abkommen 2015 unter dem damaligen Aussenminister Kerry. Er hat als Klimagesandter auch die sino-amerikanische Beziehung in Klimafragen seit dem dramatischen Gipfel von 2009 in Kopenhagen mitgeprägt.
«Die Klimapolitik hat sich von Anfang an um die beiden grossen Blöcke von Ländern – Entwicklungsländer und Industrieländer –herum organisiert. China war das dominierende Land in der einen Gruppe, die USA in der anderen», sagt Stern.
Dieses Kräftemessen zwischen den zwei Ländergruppen kann Jahr für Jahr aufs Neue beobachtet werden. Deswegen seien die sino-amerikanischen Beziehungen auch von einem diplomatischen Standpunkt aus wichtig, sagt Stern. «Wenn die Länder sehen, dass die USA und China konstruktiv zusammenarbeiten, sendet das ein positives Signal.»
Das war im Jahr 2014 in Peking ohne Zweifel der Fall. Damals erklärten die Präsidenten Barack Obama und Xi Jinping ihre Absicht, gemeinsam an der Bewältigung des Klimaproblems zu arbeiten – und ebneten so den Weg für das Pariser Abkommen ein Jahr später.
Die Trump-Jahre zwischen 2016 und 2020 setzten den offiziellen Klimabeziehungen ein Ende. Unter der Leitung von Kerry wurden sie 2021 in Schanghai wiederbelebt und fortgeführt – trotz zunehmender geopolitischer Spannungen.
Die persönliche Beziehung zwischen den beiden Männern half, die Kommunikation offen zu halten. Das galt auch während einer kurzen Krise der Diplomatie zwischen den beiden Ländern im Jahr 2022 infolge eines Besuchs der demokratischen Abgeordneten Nancy Pelosi in Taiwan. Im Hintergrund wurde weiter telefoniert. Im vergangenen Herbst trafen sich Kerry und Xie dann im kalifornischen Sunnylands. Es folgte eine Erklärung, die auch den Verhandlungen in Dubai einen Schub gab.
Kaum ein Land veranschaulicht das Spannungsfeld in der gegenwärtigen Klimapolitik wohl besser als China. Keine Regierung investiert mehr in die Förderung von erneuerbaren Energien und von Elektroautos. Das senkt Kosten und bringt die globale Energiewende weltweit voran.
Entwicklungsländer und Industriestaaten ringen um ihre Interessen
Gleichzeitig gibt es kein Land, das mehr Kohle produziert und verbraucht. Das Land plant weiterhin offiziell, den Höhepunkt der Emissionen vor 2030 zu erreichen, aber nicht früher. Peking gibt zudem keine Anzeichen, die Kohle in naher Zukunft drastisch eindämmen zu wollen – trotz politischer Bemühungen der USA und der EU.
«Sowohl die Kohlekraft als auch saubere Technologien, darunter Wind- und Solarenergie, werden als Unterstützung für das Wirtschaftswachstum des Landes angesehen», sagt Li Shuo vom Asia Society Policy Institute (ASPI). «Dieser Ansatz wurde durch den wachsenden Wunsch nach Sicherheit, nicht nur der Wirtschaft, sondern auch der Energieversorgung, noch verstärkt.»
Eine neue Realität für die Klimapolitik
Der Erfolg der klimapolitischen Zusammenarbeit werde künftig noch mehr von der Entwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen den USA und China geprägt sein, sagen Beobachter. Das hat weniger damit zu tun, dass neue Persönlichkeiten in die Fussstapfen von Kerry und Xie treten werden. Vielmehr droht das Gefälle zwischen den strategischen Interessen beider Grossmächte zu wachsen.
Die bilateralen Beziehungen seien heute sehr viel angespannter und von gegenseitigem Misstrauen geprägt als früher, sagt Stern. Washington sehe Chinas Ziel darin, die Nachkriegsordnung – welche die USA nach ihren Interessen geprägt haben – zu zerstören. China habe ähnlich negative Ansichten über die USA.
In den letzten Jahren haben es Kerry und Xie zwar geschafft, die klimapolitische Zusammenarbeit von der zunehmend «toxischen» Stimmung so weit wie möglich abzuschirmen. Aber ihr Einfluss auf die internationalen Klimaverhandlungen habe dennoch darunter gelitten, sagt Li Shuo vom ASPI. Die Absichtserklärungen der vergangenen Jahre hätten nicht mehr das gleiche politische Gewicht gehabt wie 2014.
Gleichzeitig vermengt sich die internationale Klima-Agenda zunehmend mit nationalen Handels- und Wirtschaftsinteressen, was die Umsetzung des Pariser Abkommens grundsätzlich spannungsgeladener macht. «Angesichts der schwierigen bilateralen Beziehungen ist eine Klima-Hotline zwischen den beiden Ländern das Wichtigste, was wir erhalten müssen», sagt Li.