Die Alpinismuslegende bewies, dass der höchste Berg der Welt ohne Flaschensauerstoff bestiegen werden kann. Die besten der Zunft eifern ihm weiterhin nach – mit gravierenden Konsequenzen.
Am 8. Mai 1978 veränderten Reinhold Messner und Peter Habeler den Alpinismus für immer. Sie bestiegen den Mount Everest ohne Flaschensauerstoff und kehrten gesund zurück. Sämtliche Warnungen, Messner und Habeler würden wegen der Sauerstoffnot verdummen oder sterben, waren widerlegt. Das Duo definierte mit der Ausnahmeleistung einen Massstab, an dem ganze Generationen nachfolgender Alpinisten gemessen wurden. Bis heute gelten Besteigungen ohne Flaschensauerstoff als Goldstandard des Höhenbergsteigens – allen Gefahren zum Trotz.
Der Expeditionsleiter Lukas Furtenbach lehnt sich gegen das Credo auf. Er beklagt «vermeidbare Todesfälle» und sagt: «Nur im Alpinismus wird das Risiko in grotesker Form heroisiert, man glorifiziert den Tod. Messner und seine Generation haben diese Haltung geprägt. Ich weigere mich, sie zu akzeptieren. Es ist nicht heldenhaft, am Berg zu sterben.»
Der Grossonkel sah es ganz anders
Seine Kunden sind am Berg stets üppig mit Sauerstoff versorgt. Gewissermassen revoltiert Furtenbach gegen seinen eigenen Grossonkel, den Mediziner Oswald Oelz. Es war Oelz, der Messner einst als Expeditionsarzt begleitete und die Everest-Besteigung ohne zusätzlichen Sauerstoff nicht nur für möglich erklärte, sondern sich vor der Expedition auch vehement den Kritikern entgegenstellte.
Furtenbach betont, sein Verhältnis zum Grossonkel sei stets gut gewesen. Zu seinen Kindheitserinnerungen gehören Postkarten, die Oelz einst aus Basislagern schickte, auf denen auch Messner unterschrieben habe. Viel später, sagt Furtenbach, habe Oelz ihn bestärkt, ebenfalls Alpinist zu werden. «Er sagte: ‹Endlich mal jemand in der Familie, der etwas Vernünftiges macht.›»
Oelz selbst bestieg den Everest mit künstlichem Sauerstoff. Auch sonst sei er medizinischer Unterstützung gegenüber immer sehr aufgeschlossen gewesen, sagt Furtenbach. Bereits vor zwanzig Jahren habe sein Grossonkel ihm empfohlen, bei drohender Höhenkrankheit Viagra zu verwenden. «Damals hat in den Bergen noch niemand über Viagra gesprochen.»
Das Verhältnis zu Messner dürfte jedoch unrettbar zerrüttet sein. Furtenbach missfällt, wie sehr dieser das Image des Höhenbergsteigens geprägt habe, indem er an fast allem, was nach seiner Zeit passiert sei, kein gutes Haar gelassen habe. In den Medien sei deswegen ein Zerrbild entstanden, klagt Furtenbach. Die gängige Berichterstattung lasse sich folgendermassen zusammenfassen: «Stau, Tote, Müll und Reinhold Messner, der etwas dazu sagt.»
Persönlich begegneten sich die beiden Antipoden einmal an einer Podiumsdiskussion in Messners Südtiroler Heimat. Nach einem Vortrag Furtenbachs sei die Alpinistenlegende auf die Bühne gekommen und habe ihn wüst attackiert, so erinnert sich der Österreicher.
«Das ist Alpintourismus»
Messners einstiger Expeditionsleiter Wolfgang Nairz steht naturgemäss auf der Seite seines berühmten Bergkollegen. Über Furtenbachs kommerzielle Projekte sagt Nairz am Telefon: «Das ist Alpintourismus. Mit Bergsteigen im eigentlichen Sinn und Expeditionen, bei denen das Unbekannte erkundet wird, hat das nichts zu tun.» Nairz missfällt, dass Gipfel-Aspiranten mit dem Helikopter ins Basislager fliegen. «Uns ging es damals auch darum, Kultur, Land und Leute kennenzulernen. Und wir haben im Nachgang Hilfsprojekte entwickelt, um dem Land und den Menschen etwas zurückzugeben.»
Furtenbach lässt das nicht gelten. Er sagt: «In den 1920ern dauerte die Anreise in den Himalaja über den Wasser- und Landweg noch mehrere Monate. Verglichen damit war die Romantik auch schon zu Messners Zeiten dahin.» Und noch einen Seitenhieb mag er sich nicht verkneifen. Der Expeditionsbericht von 1978 belege, dass seinerzeit Material und Müll, sobald nicht mehr benötigt, in Gletscherspalten gelandet seien. «Wir bringen bei den Expeditionen nicht nur unseren eigenen Müll hinunter, sondern nehmen auch Überreste früherer Expeditionen zurück, die oft seit Jahrzehnten am Berg liegen. Wir räumen auf, was damals liegengelassen wurde.»
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