Der Shakespeare-Klassiker wird im Pfauen parodistisch bearbeitet, aktualisiert und mit Schlagern untermalt. Die Inszenierung von Bonn Park ist manchmal heiter. Und manchmal lächerlich.
Wie kocht man eine schmackhafte Ramen-Suppe? Mit Fleisch oder vegetarisch? Die Frage mag banal sein. Immerhin beschäftigt sie Romeo und Julia. Ihre plätschernde Kommunikation über Essen und Kochen fördert den Austausch von Lust und Leidenschaft. So sichern sich die Verliebten einen Moment friedlicher Zweisamkeit inmitten einer Welt, die im Zeichen blutiger Konflikte raucht und brennt.
In der Originalversion von «Romeo und Julia» zeigt William Shakespeare, wie die Stadt Verona unter zwei verfeindeten Sippschaften zu leiden hat. Die Capulets und die Montagues trennen weder Weltanschauungen noch religiöse Unstimmigkeiten. Der gegenseitige Hass ist vielmehr eine blosse Gewohnheit. Durch die Liebe zwischen Romeo Montague (Maximilian Reichert) und Julia Capulet (Kathrin Angerer) aber fühlen sich beide Familien verraten.
Bonn Park hat Shakespeares Drama für das Zürcher Schauspielhaus neu bearbeitet. Der deutsche Regisseur zeigt «Romeo & Julia» nun als «Italo-Disco-Oper», die am Samstag auf der Pfauenbühne uraufgeführt wurde. Das kann ja heiter werden, dachte man sich schon angesichts dieser besonderen Affiche. Und es sollte einiges aufs Lächerliche hinauslaufen.
Amore und andere Gefühle
Allerdings ist die Lage bei Bonn Park noch um einiges schlimmer als bei Shakespeare. Noch bevor der Vorhang hochgeht, meldet sich ein Chor mit schlechten Nachrichten: Die Menschheit insgesamt habe üble Laune, man solle die Hoffnungen fahren lassen. Und gleich darauf wird die Meldung auf der Bühne durch eine Art Strassenschlacht illustriert. Es wird gekämpft, es fliegen Molotowcocktails. Und man sieht brennende Häuser – genauer: das zweistöckige Holzhaus der Capulets auf der linken und das zweistöckige Holzhaus der Montagues auf der rechten Seite (tolles Bühnenbild von Jana Wassong).
Auf den gegenüberliegenden Balkonen erscheinen Romeo und Julia für ein erstes Duett, in dem sie ihre «amore» bekennen. Gesungen wird meistens auf Italienisch – in jenem alemannischen Dialekt, den deutsche Touristen in Bella Italia geprägt haben. Begleitet wird das Paar durch synthetische Orgel- und Cembalo-Akkorde und pfundige Paukenschläge, welche drei Musiker im Graben vor der Bühne generieren.
Bald aber übertönt die Liebenden der Chor ihrer Verwandten, die sich gegenseitig die jüngsten Anschläge zum Vorwurf machen. «Ihr seid so böse, das ist nicht okay!» Nachdruck wird den lapidaren Worten durch all die Maschinengewehre verliehen, die in ihren Häusern hängen. Bevor aber wirklich geschossen und gekämpft wird, stehen Wahlen an. Signor Capulet (Michael Neuenschwander) macht Signora Montague (Anita Sophia Somogyi) ihre Präsidentschaft streitig. Beide werben für sich mit analogen Warnungen und Versprechen: Ihr Sieg führe in eine lichte Zukunft, ihre Niederlage hingegen besiegle den Untergang der Menschheit.
Zeit für eine Zwischenbilanz: Bonn Park bringt Shakespeares «Romeo und Julia» also in einer musikalischen Parodie auf die Bühne, die auf die Gegenwart Bezug nimmt. Kann man machen, würde man meinen. Und doch erweist sich die Aktualität immer mehr als Fallstrick. Wie auch die Musik. Und Shakespeare.
Wenn eine Inszenierung auf die Gegenwart reagiert, fühlt sich das Publikum gewiss angesprochen; das Theaterstück mag helfen, die eigenen Lebensumstände zu überdenken. Im Falle von Bonn Parks Shakespeare-Verschnitt aber wirkt die aktualisierte Handlung schal im Vergleich mit der komplexen Wirklichkeit. Es ist zwar lustig, wenn sich die politischen Antagonisten in einem TV-Duell gegenüberstehen wie eben erst Robert, Alice, Friedrich und Olaf. Witzig sind auch die Schlagzeilen, die die beiden Sippschaften in ihren eigenen Zeitungen verbreiten. Und doch wird gerade durch die Erinnerung an die gegenwärtige Konfliktlage deutlich, wie brav und simpel der politische Witz in dieser Inszenierung daherkommt.
Die Idee einer Italo-Disco-Oper verspricht einiges an Schwung. Sie scheitert aber schon daran, dass sich der Komponist Ben Roessler im Genre vergriffen hat. Dass man den ganzen Abend keinen Italo-Disco zu hören bekommt – es fehlt an elastisch-funkigen Rhythmen ebenso wie am typischen, üppigen Soundgebräu –, wäre an sich unerheblich. Schwerer wiegt, dass die Lieder so wenig überzeugen wie ihre Interpretation.
Roessler hat sich offenbar von Italo-Schlagern aus den siebziger Jahren inspirieren lassen, die er zu parodieren versuchte. Wer parodiert, sollte allerdings den Parodierten einigermassen gewachsen sein – das gilt auch im Falle von Schlagerstars. Roessler aber verliert sich in einem seichten Italo-Einerlei. Seinen Parodien fehlt es an Prägnanz, Schmelz und Kitsch. Der negative Eindruck wird auch durch die meist schwächelnden Stimmen der Protagonisten gefestigt. Vielleicht haben sich Komponist und Regisseur auf eine Metaebene kaprizieren wollen, um mit Karaoke und Dilettantismus metaphorisch auf Dekadenz zu verweisen. Das mag ihnen geglückt sein – allerdings auf Kosten des theatralen und musikalischen Vergnügens.
Schliesslich Shakespeare. Das Problem ist nicht, dass man den grossen Dramatiker nicht parodieren und aktualisieren sollte. Seine Texte sind nicht sakrosankt. Vielmehr sind sie dramatisch oft so verschlungen, dass sich einerseits Kürzungen empfehlen; andrerseits wird so die erzählerische Logik strapaziert. Das zeigt sich auch in der neuen Zürcher Produktion. Man setzt anfangs eigene Schwerpunkte, zuletzt aber muss man sich dann an Shakespeares Vorgaben abarbeiten. Wer das Original nicht kennt, versteht nun beispielsweise kaum, was es mit der Rolle von Padre Amme auf sich hat (allerdings überzeugend gespielt von Gottfried Breitfuss) – es handelt sich eben um eine Verschränkung zweier Figuren. Und erst recht muss man sich wundern, weshalb Padre Amme Julia zuletzt vergiftet, weshalb sie aufersteht, um sich gleich selber wieder zu töten.
Höhepunkte trotz Problemen
Theater ist eine vielschichtige und komplexe Angelegenheit. Das hat immerhin den Vorteil, dass man auch in einer problematischen Aufführung noch viel Erfreuliches finden kann. Hier etwa brilliert die Kostümbildnerin (Laura Kirst) durch pittoreske Anzüge in Altrosa (Montague) und Orangebraun (Capulets), man staunt über wuchtige Schlaghosen, ausladende Krägen, riskante Hochplateau-Pumps sowie über virtuos aufgetürmte Frisuren.
Für den Höhepunkt des Abends aber sorgt Kathrin Angerer alias Julia. In den plätschernden, banalen Dialogen mit Romeo, die an die ironische Liebelei zwischen Ken und Barbie in Greta Gerwigs Filmkomödie gemahnen, wächst sie aus dem Rahmen der Erzählung heraus. Gelassen und gelangweilt, wirkt das frühreife Püppchen wie die Symbolfigur einer Generation, die schon vieles weiss und nur noch wenig will.