Die Schweizerische Nationalbank verfügt über erheblichen Spielraum in der Höhe ihrer Gewinnausschüttungen. Was jedoch fehlt, ist eine öffentliche Diskussion über die Risiken in der SNB-Bilanz und die Höhe an Eigenkapital, die sie halten sollte.
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Die Schweizerische Nationalbank (SNB) meldete im Januar einen vorläufigen Gewinn von 80 Mrd. Fr. für 2024 und kündigte an, 3 Mrd. an den Bund und die Kantone auszuschütten. Dies folgt der Vereinbarung zwischen der SNB und dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD). Nach der geplanten Gewinnausschüttung wird die Eigenkapitalquote der SNB auf etwas über 16% liegen.
Die Regeln zur Gewinnausschüttung bleiben umstritten und ungenau. Das bestehende System verteilt Gewinne basierend auf der Höhe der Ausschüttungsreserve, über die die SNB frei entscheiden kann. Wie wir in einem neuen Bericht des SNB Observatory argumentieren, wäre es besser, wenn sich die SNB und das EFD auf ein konkretes Ziel für die Eigenkapitalquote einigen würden, zusammen mit einer Regel, wie Überschüsse im Lauf der Zeit schrittweise ausgeschüttet werden sollten.
SNB-Präsident Martin Schlegel hat zu Recht betont, dass «der Aufbau des Eigenkapitals für die SNB Vorrang vor Gewinnausschüttungen haben muss.» Doch wie viel Eigenkapital benötigt die SNB?
Die Antwort betrifft nicht nur die Stärke der SNB-Bilanz, sondern auch den Bund und die Kantone, die auf die Gewinnausschüttungen der Nationalbank angewiesen sind.
Eine solide Bilanz dient der Glaubwürdigkeit
Im Gegensatz zu privaten Unternehmen unterliegen Zentralbanken nicht den Insolvenzgesetzen. Sie können jederzeit Geld schaffen und somit jederzeit ihre Verbindlichkeiten bezahlen. Sie können folglich nicht insolvent werden. Wie der frühere SNB-Präsident Thomas Jordan und die Bankratspräsidentin Barbara Janom Steiner in öffentlichen Reden betonten, hindert negatives Eigenkapital die SNB nicht daran, ihre Funktionen auszuüben.
Tatsächlich befand sich die SNB 1971 und 1978 in einem Zustand mit negativem Eigenkapital, ohne in Schwierigkeiten zu geraten oder die Öffentlichkeit zu beunruhigen.
Das bedeutet aber nicht, dass die Eigenkapitaldecke nicht relevant ist. Obwohl Zentralbanken auch mit negativem Eigenkapital funktionsfähig bleiben, profitieren sie von ausreichend Eigenkapital. Beispielsweise können sie in Finanzkrisen beherzt eingreifen und dabei erhebliche finanzielle Risiken auf sich nehmen.
Die erfolgreiche Erfahrung der SNB mit dem StabFund während der Finanzkrise von 2008, als sie illiquide Vermögenswerte der UBS übernahm, ist ein Beispiel dafür. Während diese Operation für die Finanzstabilität der Schweiz notwendig und letztlich finanziell profitabel war, setzte sie die SNB dem Risiko erheblicher Verluste aus.
Darüber hinaus kann negatives Eigenkapital die Unabhängigkeit einer Zentralbank und somit ihre Glaubwürdigkeit, die für die Wahrung der Preisstabilität so wichtig ist, untergraben. Wenn anhaltende Verluste eine Rekapitalisierung durch den Staat erforderlich machen, steigt das Risiko politischer Einflussnahme. Der frühere Präsident Thomas Jordan hat betont, dass eine lange Periode mit negativem Eigenkapital die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Bank untergraben kann.
International unterschiedliche Ansätze
Zentralbanken verfolgen unterschiedliche Ansätze in Bezug auf Eigenkapital und Gewinnausschüttung. Einige, wie das U.S. Federal Reserve und die Bank of Japan, schütten alle Gewinne aus und halten praktisch kein Eigenkapital. Andere, wie die Nationalbank Dänemarks und die Zentralbank Islands, haben klar definierte Eigenkapitalziele. Eine dritte Gruppe, darunter die Zentralbanken Neuseelands, Australiens und Kanadas, verfügt über explizite Vereinbarungen für staatliche Rekapitalisierungen, falls die Eigenkapitaldecke zu dünn wird.
Die Eigenkapitalquote der SNB lag 2023 bei 7,9%. Einige Zentralbanken arbeiten mit deutlich niedrigeren Quoten, sogar mit negativem Eigenkapital, während andere Quoten von 10 bis 15% anstreben. Diese Unterschiede spiegeln unterschiedliche Risikoprofile, Bilanzierungspraktiken und institutionelle Rahmenbedingungen.
Zentralbanken wie die SNB, die erhebliche auf Fremdwährung lautende Vermögenswerte halten und diese zu Marktpreisen bewerten, brauchen mehr Eigenkapital als andere Zentralbanken. Die Analyse der Praktiken anderer Zentralbanken legt nahe, dass ein vernünftiges Ziel für die SNB zwischen 10% und 15% liegen würde. Dieser Bereich bietet einen angemessenen Risikopuffer und erlaubt zugleich, Gewinne an den Bund und die Kantone zurückzuführen, da die von der SNB gehaltenen Vermögenswerte öffentliches Eigentum sind.
Potenzial für substanziell höhere Ausschüttungen
Unsere Berechnungen zeigen, dass die SNB bei einem Ziel einer Eigenkapitalquote von 10% rund 50 Mrd. Fr. an überschüssigem Eigenkapital hätte, das im Lauf der Zeit ausgeschüttet werden könnte. Ein Ziel von 15% würde immer noch rund 10 Mrd. Fr. zur Verfügung lassen. In beiden Szenarien erscheint die derzeitige Obergrenze von 6 Mrd. Fr. für jährliche Ausschüttungen als zu restriktiv.
Ein Rahmenwerk zur Zielsetzung der Eigenkapitalquote würde die Diskussion von der politisch geprägten Frage nach der Höhe der Gewinnausschüttungen hin zur technischen und zugleich wichtigeren Frage verlagern, wie riskant die Bilanz der SNB ist. Es würde der SNB die Gelegenheit bieten, der Öffentlichkeit im Detail zu erklären, wie sie das Risiko ihrer gehaltenen Vermögenswerte bewertet. Das wäre der richtige Schritt für die Schweiz.
Dieser Artikel wurde gemeinsam von Stefan Gerlach (Chefökonom der EFG Bank), Yvan Lengwiler (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Basel) und Charles Wyplosz (emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre am The Graduate Institute, Genf) verfasst. Sie sind die Begründer des SNB Observatory.
Stefan Gerlach
Stefan Gerlach ist Chefökonom bei der EFG Bank in Zürich und war 2011 bis 2015 stellvertretender Gouverneur der Irischen Zentralbank. Seit seiner Promotion 1983 in Genf hat er in seiner Karriere eine Brücke zwischen Wissenschaft und Geldpolitik geschlagen. Er war Professor für Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität in Frankfurt, externes Mitglied des geldpolitischen Ausschusses der Bank von Mauritius und Chefökonom der Hongkonger Währungsbehörde. Bevor er 1992 als Stabsökonom zur BIZ kam, war er als Akademiker in den USA tätig.