Tech-Konzerne hatten in den vergangenen Jahren bewiesen, dass KI auch das Wetter prognostizieren kann. Jetzt geht bei einem europäischen Wetterdienst das erste KI-Modell in den Regelbetrieb.
Künstliche Intelligenz wird von nun an entscheidend an der Wettervorhersage mitwirken. An diesem Dienstag gab das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) den Startschuss für ein neues Vorhersagemodell – das Artificial Intelligence Forecasting System.
Es handelt sich um das erste auf KI basierende Modell weltweit, das bei einem Wetterdienst in den regelmässigen Betrieb geht. Laut dem EZMW kann es das Wetter in vielen Bereichen deutlich genauer vorhersagen als konventionelle Modelle. Die Verbesserung beträgt bis zu 20 Prozent.
In den vergangenen beiden Jahren hatten verschiedene Entwicklerteams gezeigt: Experimentelle, auf KI basierende Vorhersagemodelle sind den herkömmlichen Modellen mindestens ebenbürtig. Solche Modelle stellten zum Beispiel auch die Tech-Konzerne Google und Nvidia vor. Die arrivierten Vorhersagezentren mussten die Entwicklung aufholen. Das EZMW geht jetzt mit seinem neuen eigenen KI-Vorhersagemodell im Regelbetrieb den nächsten logischen Schritt.
Profitieren sollen letztlich die nationalen Wetterdienste
Florence Rabier, die Generaldirektorin des EZMW, spricht gemäss einer Medienmitteilung von einem «Meilenstein, der die Wetterwissenschaft und die Wettervorhersagen transformieren wird». Das EZMW ist eines des führenden Prognosezentren in der Welt. Das Zentrum mit Hauptsitz in Reading nahe London wird von 35 vorwiegend europäischen Ländern unterstützt; auch Meteo Schweiz trägt zum Unterhalt bei. Die nationalen Wetterdienste sind es, die von dem neuen Vorhersagemodell letztlich profitieren sollen.
Gut erkennen lässt sich die Verbesserung der Prognose am Beispiel von tropischen Wirbelstürmen, zu denen etwa die Hurrikane und Taifune zählen. Soll die künftige Position eines Wirbelsturms berechnet werden, liegt das konventionelle Modell bei einer dreitägigen Vorhersage im Durchschnitt zirka 160 km daneben. Beim KI-Modell beträgt der Fehler hingegen nur rund 130 km.
Obwohl das KI-Modell genauer in der Vorhersage ist, braucht es für seine Berechnungen deutlich weniger Zeit als das konventionelle Modell. Bisher betrug die Rechenzeit 30 Minuten. Mit dem neuen Modell sind es laut dem EZMW nur 3 Minuten.
Ausserdem spart das neue Vorhersagemodell Energie: Es schluckt nur ein Tausendstel der Energiemenge, die das konventionelle Modell benötigt. Für das Trainieren der KI wird zwar viel Strom gebraucht, ähnlich wie bei Sprachmodellen. Hat das Vorhersagemodell aber einmal ausgelernt, arbeitet es sehr effizient. Trainiert wurde die KI mit historischen Wetterdaten.
Vorhersagen mit KI basieren nicht auf Physik
Die Vorhersage mit dem KI-Modell des EZMW läuft fundamental anders als gewohnt: Ein konventionelles Modell basiert auf physikalischen Gleichungen, darum gehorcht die Berechnung automatisch den physikalischen Gesetzen. Das ist bei dem KI-Modell ganz anders. Selbst wenn es mit Millionen von Wetterdaten trainiert worden ist, müssen ihm gelegentlich die Grenzen der Physik aufgezeigt werden.
Ein schlagendes Beispiel ist der Niederschlag: Ein Vorläufer des KI-Modells produzierte in den Vorhersagen ab und zu Niederschlag mit negativen Zahlenwerten. Den gibt es in der realen Welt selbstverständlich nicht; Regen fällt nicht nach oben. Darum wird dem neuen Modell explizit vorgeschrieben, dass Niederschlag immer einen positiven Zahlenwert haben muss.
Es wäre ohnehin verfrüht, konventionelle Vorhersagemodelle wegen der Erfolge der KI zum alten Eisen zu zählen. Manche Aufgaben erledigen die etablierten Modelle nach wie vor besser. Auch dies lässt sich gut anhand der tropischen Wirbelstürme erläutern. Zwar ist die KI genauer, wenn es darum geht, den Pfad eines Sturms zu prognostizieren, aber sie unterschätzt oft die Windstärke der Wirbelstürme.
Es dauert, bis die KI-Vorhersagen beim Nutzer ankommen
Oliver Fuhrer von Meteo Schweiz hält die Entwicklung des neuen KI-Modells für einen bedeutenden Schritt. Der Physiker leitet bei dem Schweizer Wetterdienst die Abteilung Numerische Vorhersage. Betrachte man einen Vorhersagezeitraum von zehn Tagen, sei die Verbesserung durch die KI so gross, wie sie bei konventionellen Modellen normalerweise in einem Entwicklungszeitraum von fünf bis zehn Jahren erreicht werde, sagt Fuhrer.
Bis die verbesserten Vorhersagen des KI-Modells bei Privatpersonen und anderen Nutzern ankommen, wird es allerdings noch eine Weile dauern. In die tägliche Arbeit von Meteo Schweiz werde das neue Modell des EZMW noch nicht standardmässig einbezogen, sagt Fuhrer. Zunächst würden die Prognosen des Modells intern ausgewertet. Anschliessend werde man schauen, welche Teile der Prognosen übernommen werden könnten. Erste Tests sind vielversprechend: «Wir wissen bereits, dass das KI-Modell zwischen dem fünften und dem zehnten Vorhersagetag eine Verbesserung bringen kann.»