Mehrere Stürze prägen die erste von zwei Weltcup-Abfahrten in Cortina d’Ampezzo. Sie reihen sich ein in eine unschöne Serie in diesem Winter. Gibt es dafür Gründe?
Sie liest sich wie das «Who is Who» des Skisports. Und doch ist es keine Liste, auf der irgendjemand stehen möchte: die Verletzungsliste dieser Saison. Durch eine turbulente erste Abfahrt an diesem Wochenende wurde sie um zwei weitere prominente Namen ergänzt; durch Mikaela Shiffrin und Corinne Suter, beide wurden von der Piste Olimpia delle Tofane in Cortina d’Ampezzo aufgrund von Knieschmerzen mit dem Helikopter abtransportiert.
Die 29-jährige Suter, die nicht gestürzt war, sondern nach der Landung nach einem Sprung sofort abbremste und vor Schmerzen schrie, hat sich das vordere Kreuzband gerissen sowie den inneren Meniskus im linken Knie verletzt. Sie wird am Samstagvormittag in der Klinik Hirslanden in Zürich operiert und muss monatelang pausieren. Vom Team der Gesamtweltcup-Führenden Shiffrin hingegen kam eine teilweise Entwarnung: Erste Untersuchungen hätten keine Risse des vorderen Kreuzbandes oder der Seitenbänder ergeben. Michelle Gisin spürte nach ihrem Sturz Schmerzen im Unterschenkel.
Würde Shiffrin für den Rest der Saison ausfallen, wäre Marco Odermatt bald der letzte verbliebene Star des Skizirkus in der zweiten Saisonhälfte. Kaum vorstellbar, dass es bereits einmal vergleichbar viele Ausfälle der besten Fahrer des Skisports innerhalb eines Winters gegeben hat. In den vergangenen vier Wochen sind der Reihe nach Marco Schwarz sowie die früheren Gesamtweltcup-Sieger Alexis Pinturault, Aleksander Aamodt Kilde und Petra Vlhova ausgefallen.
Intensives Programm und geschwächte Fahrer
Obwohl überall ausser bei Kilde das Knie im Zentrum steht: Eine gemeinsame Ursache, ein gemeinsames Problem lässt sich bei den schweren Verletzungen nicht ausmachen. Bei den Männern waren nach den vier Abfahrts-Absagen zu Beginn der Saison die intensiven Rennwochen in Gröden und Wengen ein Thema, die durch die Nachholrennen entstanden sind. In Wengen waren sich im Nachhinein alle einig, dass zwei Trainings und drei Speed-Rennen ohne einen Pausentag dazwischen zu viel sind. Allerdings relativierten gerade auch die Fahrer die Kritik am Programm: «Zu Beginn hatte jeder nach Ersatzrennen geschrien», sagte der Österreicher Vincent Kriechmayr.
Bei Schwarz und Kilde war die Überbelastung auch ein Thema: Kilde war in der Wengen-Woche krank. Ob es vernünftig war, in diesem Zustand dann an allen drei Rennen auf der längsten Strecke im Weltcup zu starten, ist fraglich. Ebenso bei Marco Schwarz, der sich vorgenommen hatte, als einziger Athlet jedes Rennen zu fahren. Viele hätten an seiner Stelle Bormio ausgelassen und eine Pause eingelegt. Er jedoch sagte noch im Spital, dass er alles nochmals genau gleich machen würde. Bei Pinturault und Shiffrin schliesslich waren Fahrfehler die Ursache der Stürze, wobei zumindest Shiffrin nach ihrer Krankheit Anfang Januar leichte Zweifel hatte.
Nach dem einzigen Training in Cortina postete sie auf X (ehemals Twitter), dass die Rückkehr auf die Abfahrtsski für ihr System ein Schock gewesen sei. «Ich hatte ein paar beängstigende Momente auf der Piste.» Die fünffache Gesamtweltcup-Siegerin hatte ihre letzten Speed-Rennen Mitte Dezember in St. Moritz bestritten und auf die folgenden verzichtet. Generell beherrscht sie die Balance zwischen intensivem Programm und notwendigen Pausen hervorragend und lässt regelmässig Rennen aus, um ihren Körper nicht zu überfordern.
So happy to be back in @cortinaSkiWcup because I love it here…although yesterday was a little bit of a shock to the system being back on DH skis, and I had a couple “scary” moments on the course (probably didn’t look as scary…(cont.) pic.twitter.com/02Pnr7VQc8
— Mikaela Shiffrin (@MikaelaShiffrin) January 25, 2024
Lara Gut-Behrami sagt: «Viele sind verunsichert»
In Cortina war Shiffrin eine von zwölf Fahrerinnen, die das Rennen nicht beendeten. Eine starke Fahrt zeigte Lara Gut-Behrami, die nur von der Österreicherin Stephanie Venier geschlagen wurde und zum ersten Mal seit vergangenem März in einer Abfahrt auf dem Podium stand. Das turbulente Rennen mit den vielen Ausfällen beschäftigte auch Gut-Behrami. Im Interview mit SRF versuchte die 32-Jährige, Gründe für die Misere zu finden. Man solle das nicht als Kritik verstehen, sagte sie, eher als Erklärung für die «Baustelle», die sie alle zu meistern hätten. «Man denkt an so viele Sachen, dass man vergisst, dass das Skifahren das Wichtigste ist.»
Man perfektioniere die Abstimmung, analysiere jede Kurve, habe das Gefühl, man müsse auch trainieren, wenn man einmal zwei Tage frei habe, vergesse die Erholung. «Es sind so viele Schauplätze, dass viele verunsichert sind, wenn sie am Start stehen.» Wenn dann wie an diesem Freitag in Cortina die Strecke anders sei als im Training, schneller, die Sprünge weiter gingen, habe man keinen Plan mehr. Doch man müsse jedes Mal parat sein, auf alles reagieren zu können, mit Intuition und Instinkt fahren. «Vielleicht fehlt das ein wenig: Man will immer alles riskieren, dabei muss man zuerst das Ziel erreichen.»
Dieselbe Tonalität schlug Federica Brignone an, die ebenfalls gestürzt war. «Die Strecke war perfekt. Wir haben uns einfach daran gewöhnt, so viele einfache Pisten zu fahren, die wie breite Highways sind. So dass wir uns anpassen müssen, wenn wir eine schwierige Strecke vorfinden», sagte die Italienerin.
Je nachdem, wie lange Shiffrin ausfällt, könnte der Gesamtweltcup auf ein Duell zwischen Gut-Behrami und Brignone hinauslaufen: In dieser Wertung liegt die Amerikanerin 340 Punkte vor Gut-Behrami, nochmals 82 Punkte dahinter lauert Brignone.
Für Corinne Suter bleibt die Tofana di Rozes ein Schicksalsberg. 2021 wurde sie hier Weltmeisterin in der Abfahrt und WM-Zweite im Super-G. 2023 stürzte sie hier schwer, zog sich unter anderem eine Gehirnerschütterung zu und stand drei Wochen später dennoch in Frankreich auf dem WM-Podest. Nun verletzte sie sich hier abermals schwer. 2026 wird die Strecke wieder in den Fokus rücken – dann richtet Cortina die olympischen Skirennen der Frauen aus.