Das Vorgehen in der Ukraine erinnert an Trumps Ansatz zur Beendigung des Krieges in Afghanistan. Die Verhandlungen mit den Taliban führte er damals unter Ausschluss der Verbündeten – und entfachte eine fatale Dynamik.
Der Entschluss von Donald Trump, über die Köpfe der Ukrainer hinweg Verhandlungen mit Wladimir Putin aufzunehmen, hat verschiedene Assoziationen ausgelöst. Die einen fühlen sich an das Münchner Abkommen von 1938 erinnert, mit dem Briten und Franzosen Adolf Hitler beschwichtigen wollten, in der Hoffnung, dass er sich mit dem Sudetenland zufriedengeben würde. Bei anderen weckt das Vorgehen Erinnerungen an Trumps Verhandlungen mit Kim Jong Un, die mit grossem Trara begannen, am Ende aber kolossal scheiterten.
Noch naheliegender erscheint aber die Parallele zu Trumps Vorgehen in Afghanistan. Die Gespräche mit den Taliban in Katar über den Abzug der amerikanischen Truppen und die Zukunft Afghanistans mündeten am 29. Februar 2020 in der Unterzeichnung des Doha-Abkommens. Auch damals waren die europäischen Verbündeten nicht eingebunden, und die Hauptbetroffenen – die afghanische Regierung von Ashraf Ghani – mussten sich mit der Zuschauerrolle begnügen.
Der Politologe Herfried Münkler sagte in der NZZ, Trumps Deal mit den Taliban könne als Vorlage für die jetzigen Verhandlungen mit Putin gelten. Es lohnt sich daher ein näherer Blick: Worum ging es bei den Gesprächen mit den afghanischen Islamisten? Und warum gilt das Doha-Abkommen heute vielen als Grund für das Debakel von August 2021, als die Regierung Ghani nach dem Abzug der Amerikaner kollabierte und Kabul fast widerstandslos an die Taliban fiel?
Grosse Zugeständnisse ohne Gegenleistung
Das Doha-Abkommen war schon zum Zeitpunkt seiner Unterzeichnung umstritten. Die Kritik entzündete sich vor allem an zwei Punkten: erstens, dass die Amerikaner mit den Taliban über Frieden verhandelten, ohne die Regierung des Landes einzubeziehen. Und zweitens, dass Trump mit der Zusage des Abzugs aller Truppen ein wichtiges Zugeständnis machte, ohne die Taliban zu entsprechenden Gegenleistungen zu verpflichten. Damit nahm er noch vor dem Start der eigentlichen Friedensgespräche ein Druckmittel vom Tisch.
Das Abkommen, das am 29. Februar 2020 vom US-Sondergesandten Zalmay Khalilzad und dem Taliban-Unterhändler Abdul Ghani Baradar in Doha unterzeichnet wurde, bestand im Wesentlichen aus vier Punkten:
- Die USA sagten zu, alle ausländischen Truppen aus Afghanistan abzuziehen. In einem ersten Schritt sollten die amerikanischen Truppen bis Juli 2020 von 13 000 auf 8600 Soldaten reduziert und fünf Militärbasen geschlossen werden. Bis Mai 2021 sollten dann die letzten Soldaten der USA und ihrer Verbündeten das Land verlassen. Damit war klar, dass die afghanische Armee spätestens ab Sommer 2021 auf sich allein gestellt sein würde.
- Die Taliban gaben dafür das Versprechen, dass vom Gebiet Afghanistans keine Bedrohung für die USA oder ihre Verbündeten ausgehen werde. Dies betraf ausdrücklich auch die Kaida, die während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001 Ausbildungslager in Afghanistan betrieben und dort den Anschlag auf die Twin Towers in New York geplant hatte. Dieser löste die Intervention der USA aus, die zum Sturz der Taliban führte.
- Die Taliban versprachen in Doha zudem, Verhandlungen mit der afghanischen Regierung über die Zukunft des Landes aufzunehmen. Bei den Amerikanern herrschte die Hoffnung, die Regierung für eine Form der Machtteilung zu gewinnen und so die islamistischen Aufständischen zur Aufgabe der Waffen bewegen zu können. Konkrete Vorgaben über die künftige politische Ordnung enthielt das Doha-Abkommen allerdings nicht.
- Das Abkommen sah schliesslich vor, dass die afghanische Regierung als vertrauensbildende Massnahme 5000 inhaftierte Taliban gegen 1000 Sicherheitskräfte austauschen sollte, welche die Taliban gefangen hielten. Bei Präsident Ghani kam dies nicht gut an. Er war wütend, dass die Amerikaner ihn nicht gefragt hatten. Auch hielt er es für falsch, schon vor den eigentlichen Friedensgesprächen solche Zugeständnisse zu machen.
Trump wollte den Krieg möglichst rasch beenden
Das Abkommen erweckte den Eindruck, dass es Trump in erster Linie darum gegangen war, den «endlosen Krieg» in Afghanistan möglichst rasch zu beenden und seine Truppen heimzuholen. Das Schicksal Afghanistans schien da zweitrangig zu sein. Wie die Demokratie in Afghanistan und die Errungenschaften bei Bildung, Gesundheit und Frauenrechten nach dem Abzug der Truppen gewahrt werden könnten, spielte bei den Verhandlungen in Doha keine grosse Rolle.
Allerdings gestanden auch Kritiker von Trumps Verhandlungsführung ein, dass die Taliban nur schwer zu grösseren Zugeständnissen zu bewegen gewesen wären. Die Islamisten hatten über die Jahre kontinuierlich an Boden gewonnen. Zu Verhandlungen mit der afghanischen Regierung über eine Machtteilung waren sie nur unter der Bedingung zu bewegen, dass sich die USA und ihre ausländischen Verbündeten zuvor zum Abzug ihrer Truppen verpflichten.
Trump brachte Bewegung in eine festgefahrene Situation
Der Afghanistan-Experte Graeme Smith sieht Trump zwar nicht als den grossen Strategen, als der er sich selber gerne darstellt, billigt ihm aber zu, Bewegung in eine seit Jahren festgefahrene Situation gebracht zu haben. Zwar habe Trump keinen langfristigen Plan für Afghanistan gehabt und sich nie im Detail mit dem Konflikt beschäftigen wollen, sagt Smith. Doch habe er einige Annahmen in Afghanistan infrage gestellt, die schon lange nicht mehr haltbar gewesen seien.
«Ich habe Trumps Fähigkeit bewundert, Blödsinn als solchen zu benennen», meint Smith, der für die Denkfabrik International Crisis Group die Entwicklung in Afghanistan seit langem verfolgt und die Verhandlungen in Doha eng begleitet hat. Über Jahre habe die CIA die Lage als «erodierendes Patt» beschrieben, was ein Widerspruch in sich gewesen sei. Trump habe den Generälen ins Gesicht gesagt, dass dies Unsinn sei und ihre Strategie nicht funktioniere.
Im Bruch mit dem langjährigen Ansatz der USA habe Trump darauf gesetzt, eine Verhandlungslösung zu finden. Seine Idee sei es gewesen, Gespräche zwischen den Taliban und der Regierung anzustossen, um dann seine Truppen abziehen zu können, sagt Smith. Dafür lockerte er zum einen die Einsatzregeln im Krieg mit den Taliban, so dass mehr Bomben als jemals zuvor auf die Rebellen abgeworfen wurden. Zum anderen erhöhte er den Druck auf Ghanis Regierung, sich endlich auf Verhandlungen mit den Taliban einzulassen.
Kabul hatte Gespräche mit den Taliban immer abgelehnt
Die Regierung hatte sich bis dahin gegen Verhandlungen gesträubt, weil klar war, dass sie bei einem Friedensabkommen mit den Taliban einen Teil ihrer Macht würde abgeben müssen. «Die Regierenden in Kabul waren nie der Partner für Friedensgespräche, für die sie manche hielten», sagt Smith. «In Wahrheit wollten sie den Status quo erhalten, um weiterhin unter dem Tisch Milliarden Dollar einzustreichen, die sie in Immobilien in Dubai und der Türkei anlegen konnten.»
Über Jahre habe die Regierung darauf beharrt, dass die Taliban Terroristen seien, mit denen man nicht verhandeln könne, sagt Smith. Die Taliban hätten sich ihrerseits geweigert, mit der «Marionetten-Regierung» in Kabul zu sprechen. Trumps Unberechenbarkeit habe aber beide Seiten gezwungen, ihre Position zu überdenken.
Die Taliban seien nicht sicher gewesen, dass Trump den Krieg nicht doch noch verschärfe, sagt Smith. Die Regierung habe fürchten müssen, dass Trump die Gespräche in Doha abbricht und die Truppen ohne Einigung abzieht. Dies habe wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen gehangen. Trump habe es so geschafft, die Taliban und die Regierung erstmals an einen Tisch zu bringen. Als im September 2020 ihre Unterhändler zusammengekommen seien, seien erfahrene Diplomaten beeindruckt gewesen, mit welcher Ernsthaftigkeit verhandelt worden sei.
Die afghanische Armee war schwächer als gedacht
Das Problem war nur, dass sich die afghanische Armee ohne die Hilfe der Amerikaner als deutlich schwächer erwies, als diese angenommen hatten. Während die Taliban nach dem Doha-Abkommen ihre Angriffe auf die Regierung ausweiteten, stellten die USA ihre Luftangriffe auf die Rebellen fast vollständig ein. Ohne die Luftunterstützung der USA geriet die afghanische Armee rasch in die Defensive und verlor immer mehr an Boden. Je mehr Territorium die Taliban unter ihre Kontrolle brachten, umso weniger waren sie zu Kompromissen bereit.
Die Taliban seien zunächst selbst über den raschen Kollaps der Armee erstaunt gewesen, sagt Smith. Sie hätten sich nur deshalb auf die Verhandlungen eingelassen, weil sie angenommen hätten, dass sie den Konflikt nicht militärisch hätten gewinnen können. Sie gingen davon aus, dass, selbst wenn die Republik kollabierte, die Milizen der alten Kriegsherren weiter Widerstand leisten würden und das Land wie in den neunziger Jahren in einem blutigen Bürgerkrieg versinken würde.
Doch die Armee bestand zu grossen Teilen nur auf dem Papier. Ohne die Rückendeckung der Amerikaner brach die Kampfmoral ein. Als Joe Biden im Januar 2021 die Präsidentschaft übernahm, waren die Taliban bereits klar im Vorteil. Die USA hatten da gerade noch 2500 Soldaten im Land. Um die Taliban aufzuhalten, hätten die USA sich wieder stärker engagieren müssen. Zwar verschob Biden den Abzug aller Truppen von Mai auf August, doch hielt er grundsätzlich an Trumps Abzugsplan fest.
Die Dynamik liess sich nicht mehr aufhalten
Mit dem Doha-Abkommen hatte Trump eine Dynamik in Gang gesetzt, die sich nicht mehr einfangen liess. Völlig zwingend sei das Debakel aber nicht gewesen, meint Smith. Die USA hatten sich zwar in Doha zum Abzug aller Soldaten verpflichtet, aber Biden hätte es wie die Sowjets machen können: Diese zogen zwar 1989 ihre Truppen aus Afghanistan ab, liessen aber Tausende zivile Militärberater im Land, die bis 1991 den Kollaps des kommunistischen Regimes in Kabul verhinderten.
Doch Biden entschied sich, das Engagement in Afghanistan komplett zu beenden. Der Abzug der letzten Amerikaner endete am 15. August 2021 in Blut und Chaos. Heute gilt er als grösstes aussenpolitisches Debakel Bidens. Ganz fair ist dies nicht, setzte er letztlich nur um, was Trump vereinbart hatte. Dieser führt das Doha-Abkommen trotz dem Debakel bis heute als Ausweis seiner Dealmaker-Qualitäten an.
Welche Lehren lassen sich aus den Verhandlungen in Doha ziehen? Kann Trumps Herangehensweise als Vorbild dienen, um auch in den festgefahrenen Ukraine-Konflikt Bewegung zu bringen? «Eine Abrissbirne ist ein zerstörerisches Gerät, doch schafft sie auch neue Möglichkeiten», meint Smith. Es sei 2020 überfällig gewesen, die Strategie in Afghanistan infrage zu stellen. Es hätte dann aber auch eine Regierung gebraucht, die einen schlüssigen Plan formulieren könne. Ob es heute einen solchen Plan für die Ukraine gibt, ist ungewiss.