Susanne Vincenz-Stauffacher gibt das Präsidium der FDP-Frauen nach fünf Jahren ab. Mit ihrem Engagement für die Individualbesteuerung könnte sie Geschichte schreiben.
Ein bisschen Symbolik muss sein. Am Internationalen Frauentag am 8. März, dieser aus dem Sozialismus importierten Festivität, wird Susanne Vincenz-Stauffacher von ihrem Amt als Präsidentin der FDP-Frauen zurücktreten. Die St. Gallerin steht der Frauenorganisation seit bald fünf Jahren vor und sieht nun den Moment gekommen, das Amt an eine Kollegin weiterzugeben. Als Nachfolgerin steht die Zürcher Nationalrätin und Ärztin Bettina Balmer bereit.
Mit ihrem wichtigsten Dossier, der Individualbesteuerung, könnte die scheidende Präsidentin Geschichte schreiben. Die freisinnigen Frauen haben die Forderung nach der zivilstandsunabhängigen Besteuerung mit einer Volksinitiative erfolgreich vorangetrieben: Jede Person soll einzeln veranlagt werden, egal ob verheiratet oder nicht – dann wäre auch die steuerliche Heiratsstrafe kein Thema mehr. Nächste Woche wird der Ständerat entscheiden, wie es weitergeht; die Abstimmung dürfte ganz knapp ausgehen. Heisst die kleine Kammer die Steuerreform gut, ist eine grosse Hürde auf dem Weg zur Individualbesteuerung überwunden. Das wäre ein riesiger Erfolg für die FDP, für die freisinnigen Frauen und speziell für ihre Präsidentin.
Etikett der Frauenpolitikerin
Susanne Vincenz-Stauffacher wurde 2019 in den Nationalrat gewählt, im gefeierten Frauenjahr, in dem auf einer lila Welle viele neue Politikerinnen ins Parlament getragen wurden. Ein halbes Jahr später wurde sie Präsidentin der Frauenorganisation. «Wenn man ein solches Amt hat, bekommt man sofort eine ganz andere Aufmerksamkeit», sagt sie. Nun sei es an der Zeit, diese Chance einer anderen Frau zu bieten. Ist es wirklich eine Chance? Das Etikett der Frauenpolitikerin gilt gerade in bürgerlichen Kreisen nicht unbedingt als ein Plus. Und man wird es kaum mehr los. Es habe tatsächlich Leute gegeben, die sie gewarnt hätten, sagt Vincenz-Stauffacher, «doch das hat meinen Kampfgeist eher noch geweckt. Ich muss mich für meine Überzeugungen doch nicht schämen».
Früher lautete das Motto der freisinnigen Frauen: «Wir machen nicht Frauenpolitik, wir machen als Frauen Politik.» Die Frage liegt auf der Hand: Braucht die FDP heute noch eine Frauenpartei? Reicht es nicht, dass es freisinnige Nationalrätinnen, Ständerätinnen, Bundesrätinnen gibt, die Politik machen, wie die Männer es auch tun?
«Man muss die bürgerlichen Politikerinnen sichtbar machen, Nachwuchsförderung ernst nehmen und eigene Positionen entwickeln», findet Vincenz-Stauffacher, «sonst überlässt man Frauenthemen allein den Linken und den Gewerkschaften. Die Frauen sind keine homogene Gruppe – ‹wir Frauen› gibt es nicht.» Auch sieht sie in der Frauenpartei eine Art Safe Space: «Wenn man unter sich ist, redet man anders und über persönlichere Dinge. Wenn Männer dabei sind, fragt keine Frau ihre Kollegin, wie sie die politische Arbeit mit der Kinderbetreuung vereinbaren oder wie sie sich in einem Gremium positionieren kann.»
Die FDP Schweiz profitiere von ihrer Frauenpartei, sagt die Präsidentin überzeugt, «gerade weil wir mitunter dezidiert eine andere Meinung vertreten». Zum Beispiel beim zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub: Die freisinnigen Frauen sagten klar Ja zum Sozialausbau, während die FDP Schweiz nichts davon wissen wollte. Die Nein-Parole habe nach aussen gar konservativ gewirkt, meint Vincenz-Stauffacher, mit dem weiblichen Ja habe man das etwas korrigieren können.
Mit dem freisinnigen Grundsatz des schlanken Staates hat es allerdings wenig zu tun, wenn man findet, die Allgemeinheit müsse den Vätern zwei Wochen Ferien bezahlen. Doch Vincenz-Stauffacher ist keine Vertreterin der reinen liberalen Lehre. Gegen ein bisschen staatliche Umsorgung hat sie nichts. Das gilt auch für die Forderung nach einer ausgebauten Elternzeit: Die geplante linke Volksinitiative für einen bezahlten Urlaub lehnt Vincenz-Stauffacher wegen der geforderten sechsunddreissig Wochen zwar ab – «es ist wichtig, dass dazu das Nein von einer Frauenorganisation kommt». Allerdings könnte sie sich einen «massvollen» Ausbau des Elternurlaubs von heute sechzehn Wochen (vierzehn für die Mutter und zwei für den Vater) auf zwanzig Wochen vorstellen.
Eine Kehrtwende haben die freisinnigen Frauen bei der Kita-Vorlage vollzogen. Man sei bei der auswärtigen Kinderbetreuung zwar noch nicht am Ziel, sagt Vincenz-Stauffacher, doch die Subventionsvorlage, die den Bund endgültig zum Krippenvater machen will, lehne man ab. 700 Millionen Franken jährlich für eine neue Sozialleistung auszugeben, das liege angesichts der Finanzlage einfach nicht drin. Statt den Bund mit einer neuen Aufgabe zu belasten, wollen die FDP-Frauen die Kantone stärker in die Pflicht nehmen – und den kantonalen Parlamentarierinnen mit Mustervorlagen dabei helfen, Verbesserungen zu erwirken.
«Wir haben eine andere Geschichte»
Nach der Frauenwahl 2019 wurde die weibliche Solidarität im Bundeshaus ausgiebig bemüht. Zu Beginn funktionierte das überparteiliche Netzwerk von links bis rechts gut, man sah sich als Schwestern im Geiste. Doch inzwischen ist das Verhältnis deutlich abgekühlt. Die Erhöhung des Frauenrentenalters sowie die Reform der beruflichen Vorsorge, die von den linken Politikerinnen dezidiert abgelehnt wurden, haben zu Rissen innerhalb der Frauenallianz geführt, die eine oder andere schrille Wortmeldung auch.
Die bürgerlichen Parlamentarierinnen ärgerten sich zudem darüber, dass der feministische Streik am 14. Juni von den Gewerkschaften gekapert und zum lautstarken Sozialkampf umfunktioniert wurde. Seither geht man an diesem Tag getrennte Wege und macht ein eigenes Programm.
Auch hier stellt sich die Frage: warum? Warum sollen Frauen heute auf die Strasse gehen und «streiken»? «Wir haben eine andere Geschichte als die Männer, denken Sie nur an den Kampf um das Frauenstimmrecht und die ‹göttliche Ordnung›», sagt Susanne Vincenz-Stauffacher. Auch der Schweizer Film «Friedas Fall» erinnert sie dramatisch an die schwierige Vergangenheit. Der Film, der derzeit in den Kinos läuft, erzählt die wahre Geschichte einer jungen Näherin, die nach einer Vergewaltigung schwanger wurde und ihr Kind aus Verzweiflung und Elend tötete. «Es ist schon richtig, dass die Frauen an einem speziellen Tag im Jahr ihre Forderungen vertreten. Als FDP-Frauen tun wir dies nicht mit einem Streik. Und wir würdigen, was sich inzwischen alles zum Positiven verändert hat.»