Glamour fasziniert, weil er unvernünftig und verschwenderisch ist. Nach einer Zeit der Zurückhaltung kehrt der demonstrative Luxus zurück. Die Oscar-Verleihung am Sonntag dürfte einen Eindruck davon geben.
Die Meldung ging nach all den Trophäen und Ryan Goslings pinkfarbener Ken-Performance unter, aber einen Tag nach der Oscar-Verleihung vergangenes Jahr verkündete die Rating-Agentur Nielsen noch einen Gewinner: Die Film-Gala konnte ein neues Einschaltquotenhoch verbuchen, 19,7 Millionen Zuschauer.
Allerdings war das im Kleingedruckten nur der beste Wert innerhalb von vier Jahren, 1998 hatten noch über 57 Millionen zugesehen, wie «Titanic» elf Preise abräumte. Deshalb wird immer wieder einmal darüber diskutiert, wie zeitgemäss diese Old-Hollywood-Glamour-Show überhaupt noch sei, wie relevant die prämierten Filme, wie albern dieses durchkommerzialisierte Schaulaufen, wo die Schauspieler nicht mehr gefragt werden sollen, was sie da Hübsches oder Seltsames anhätten, weil das als oberflächlich gilt – obwohl es am Ende die meisten interessiert.
Andererseits: Die einzige Live-Sendung, die noch mehr Reichweite erzielt, ist der Super Bowl. In Zeiten von Streaming-Gewohnheiten und kurzen Konzentrationsspannen schauen gerade jüngere Leute nicht mehr über vier Stunden gebannt auf einen Fernseher. Wer sich am Tag danach durch die sozialen Netzwerke klickt, dürfte aber schnell feststellen, dass die Aufmerksamkeit für das ganze Drumherum immer noch gigantisch ist.
Nicht zuletzt die Bilder der Kleider, Frisuren und Schmuckstücke – neuerdings auch bei den Männern – werden millionenfach geteilt. Zumindest die grossen Luxusmarken investieren deshalb in den letzten Jahren nicht weniger, sondern mehr in Auftritte auf dem roten Teppich. Über Geschmack lässt sich streiten, aber wofür Louis Vuitton, Chanel und Armani ihr Geld ausgeben, wissen sie ziemlich genau.
Alle so nachhaltig und tugendhaft
Natürlich geht es hier um Stars, aber vor allem um «Glamour». Die wenigsten wissen, was mit diesem Wort konkret gemeint ist, aber sie merken, wenn der Glamour fehlt. Zum Beispiel 2021, als weniger bekannte Protagonisten Oscars gewannen: Frances McDormand erschien in einem schwarzen Sackkleid auf der Bühne, Regisseurin Chloé Zhao nahm ihren Preis in einem beigefarbenen Kleid, mit geflochtenen Zöpfen und weissen Turnschuhen entgegen. Jene Art von moderner Kleidung, mit der sich die Leute heute viel eher identifizieren dürften.
Alltäglichkeit ist aber genau nicht gefragt, die Leute wollen den prickelnden Gegenentwurf, der von Übertreibung, einem gewissen Schillern und ein Stück weit auch von Nostalgie lebt. Über die meisten «Früher war alles . . .»-Sätze lässt sich streiten, aber dass zumindest die Garderobe und die Partys, die darin gefeiert wurden, im letzten Jahrhundert um einiges glamouröser waren, darüber gibt es in Zeiten von elastischen Bündchen und bequemem Schuhwerk keinen Dissens.
Glamour fasziniert, weil er unvernünftig und verschwenderisch ist. Eigentlich ist er sogar diskriminierend, weil er in der Regel nicht für jedermann zu haben ist, sondern möglichst exklusiv daherkommt.
Das sind alles keine Attribute, die in den letzten Jahren als gesellschaftlich wertvoll galten. 2018 beklagte ein Autor im «SZ Magazin», wir sehnten uns nach dem Rausch, dem Exzess und der hemmungslosen Lust, machten aber täglich genau das Gegenteil. Alle seien so auf Nachhaltig- und Tugendhaftigkeit bedacht, dass wir den Glamour aus unserem Leben verbannt hätten.
Rauschende Hochzeitsfeste im Trend
«Die Vorstellung von hemmungslosem Genuss ist definitiv eine glamouröse Idee», sagt die Amerikanerin Virginia Postrel, Autorin des Buches «The Power of Glamour». «Wir sehnen uns danach, alle Zwänge fallenzulassen. Das Budget spielt keine Rolle, unsere Gesundheit nicht, die Arbeit am nächsten Morgen erst recht nicht.» Aber in Wahrheit sei das eben eine sehr nostalgische Idee von Glamour, glaubt Postrel. Wenn wir ehrlich seien, funktioniere das meiste davon in unserer Gesellschaft so nicht mehr.
Genau deshalb ziehen Hochglanzveranstaltungen wie die Oscars immer noch vergleichsweise viel Aufmerksamkeit auf sich. Sie sind objektiv gestrig, aber auch eine hübsche Abwechslung zum normalen Leben, als würde man verzückt in eine Schneekugel mit Glitzerpartikeln schauen.
Doch womöglich verändert sich gerade etwas, nicht zuletzt durch die zweite Amtszeit von Donald Trump. Der steht zwar eher für etwas vulgären Glamour aus goldverzierten Bädern und hohlen Marmorsäulen. Aber ausgerechnet diese Form von reaktionärem Glitzern scheint – in den USA – wieder salonfähig zu werden.
Das «New York Magazine» berichtete kürzlich von den jungen konservativen Maga-Anhängern, die keine Lust mehr auf Zurückhaltung und Nachhaltigkeit hätten, sondern in Scharen edle Steakhäuser besuchten und am liebsten schnelle Autos wie Lamborghinis führen.
Dort wie auch hierzulande steigt seit Jahren der Trend zu rauschenden Hochzeitsfesten über mehrere Tage. Locations wie alte Schlösser, mondäne Hotels und Landgüter sind über ein Jahr im Voraus ausgebucht. Während sich die Gäste vor zwanzig Jahren irgendwie chic machten, werden heute für jeden Programmpunkt Dresscodes vorgegeben, die von «Cocktail» über «Black tie» bis «Dress to impress» reichen. Viele Gäste legen sich dabei so ins Zeug, dass das Ergebnis stellenweise nach «The Great Gatsby» aussieht. Den Glamour der anderen zu bewundern, ist gut, selbst ein Stück vom überzuckerten Kuchen abzubekommen, besser.
Glitzerroben an Trumps Inauguration
Mit Kamala Harris wäre womöglich eine moderne Form von Glamour ins Weisse Haus und in die Welt eingezogen. Weniger verschwenderisch, inklusiver, ein Stück weit intellektueller. Nun scheint vor allem die alte Idee von demonstrativem Luxus zurück: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, aber solange es glitzert, sieht es irgendwie teuer aus.
Man muss sich nur die Aufmachung der Frauen im Trump-Clan ansehen. Usha Vance trug beim Inaugurationsball ein schulterfreies blaues Kleid mit Federn und Glitzerpailletten. Ivanka Trump liess sich für den Liberty Ball das Givenchy-Kleid aus dem Film «Sabrina» mit Audrey Hepburn von 1954 nachschneidern.
Zufall, dass die «Vogue» bei den Golden Globes im Januar als grössten Trend «Old Hollywood Glamour» ausmachte? Bei den britischen Bafta Awards ein paar Wochen später waren so viele silberne, goldene und mit Glitzerpartikeln bestickte Kleider auf einem Haufen zu sehen wie sonst höchstens beim Eiskunstlauf. Nicht nur, was die Preisträger angeht, gelten die vorherigen Wettbewerbe als Stimmungsbarometer. Für die Roben gilt das genauso. Zumindest in dieser Hinsicht dürfte es ein glänzender Abend werden.