Der ehemalige Musterklub verpasst die Play-offs. Im schlimmsten Fall droht den Tessinern sogar der Abstieg. Ein neuer General Manager soll den Klub auf Kurs bringen.
Die Qualifikation im Schweizer Eishockey dauert 52 Runden und rund ein halbes Jahr. Sie sorgt dafür, dass 2 der 14 Teams aus dem Rennen um den Titel ausscheiden. In diesem Winter traf es den HC Ajoie und den HC Lugano. Im schlimmsten Fall droht der teuren Mannschaft aus dem Südtessin sogar der Abstieg.
Das aber ist ein Szenario, mit dem sich in Lugano im Moment niemand ernsthaft auseinandersetzen will. Die Tessiner blicken vorwärts und reagierten auf das Verpassen der Play-offs, wie sie es meist tun: mit dem nächsten Neuanfang. Nur Stunden nach dem letzten Bully teilten sie per Medienmitteilung mit, dass Janick Steinmann als neuer General Manager den einst erfolgsverwöhnten Klub zurück auf Kurs bringen solle.
Man weiss nicht genau, der wievielte Neuanfang es im Südtessin mittlerweile ist. Die Zeit, als Geo Mantegazza den Klub aus dem Sotto Ceneri zum Vorzeigeunternehmen im Schweizer Eishockey gemacht hatte, sind lang vorbei. Unter der Führung des «Grande Signore» mit dem charakteristischen grünen Pullover hatte der Klub zwischen 1986 und 1990 in fünf Jahren vier Titel aneinandergereiht. Durchbrochen wurde diese Phalanx nur 1989, als der SC Bern in die Herrschaft der Tessiner eindrang.
Doch das eigentliche Ende dieses «Grande Lugano» kam erst drei Jahre später. Im Play-off-Viertelfinal von 1992 entthronte der alte ZSC mit dem jungen Arno Del Curto an der Bande Lugano und vor allem auch dessen als Magier gefeierten Trainer John Slettvoll. Zusammen mit Fausto Senni, einem unauffälligen Herrn mit dem Gebaren eines Prokuristen, hatte der Schwede während Jahren die sportlichen Fäden gezogen und die Dynastie aufgebaut.
Slettvoll und Mantegazza trafen sich vor gut einem Jahr wieder, als der Schwede in die Ruhmeshalle des Klubs aufgenommen wurde. Senni sagte der Tageszeitung «Corriere del Ticino» damals, es sei eine wundervolle Überraschung gewesen, Slettvoll wieder zu sehen. Man habe lange in Erinnerungen geschwelgt. «Wir haben eine unauslöschliche Spur hinterlassen, und ich empfinde eine enorme Zufriedenheit. Wenn ich darüber nachdenke, verspüre ich so viel Nostalgie und auch so viel Stolz.»
Erinnerungen, Nostalgie, Stolz. Das sind die Schlagwörter, die im Zusammenhang mit dem HC Lugano immer wieder fallen. Der Klub bezieht sein Bewusstsein und Selbstverständnis aus der Vergangenheit. 1999, 2003 und 2006 wurden die Tessiner noch drei weitere Male Meister. Der siebte und bis heute letzte Titel liegt mittlerweile allerdings 19 Jahre zurück. Trotz beträchtlichem finanziellem Aufwand hat seither noch jede Saison der Tessiner in Enttäuschung und Katzenjammer geendet. Mal nach verlorenen Play-off-Finals, oder, wie jetzt, noch ehe die Play-offs überhaupt begonnen hatten.
Auch die Zeit von Uwe Krupp dürfte abgelaufen sein
Der letzte Meistertrainer hiess vor beinahe zwei Jahrzehnten Harold Kreis. Danach versuchten sich 18 verschiedene Coachs an dem, was offensichtlich eine «missione impossibile», eine unlösbare Aufgabe, ist: Lugano zum Erfolg zurückzuführen.
Der letzte, der sich am Projekt versucht hat, war der Deutsche Uwe Krupp, eine NHL-Legende, die im vergangenen Dezember den klubeigenen Junior Luca Gianinazzi an der Bande abgelöst hatte. Auch er wird den Klub mit grösster Wahrscheinlichkeit wieder verlassen. Vor drei Wochen sagte er in einem Interview mit der NZZ: «Meine Kinder haben ein Alter, in dem sie Stabilität brauchen. Ich konzentriere mich auf die kommenden drei Monate. Was danach passiert, werden wir sehen.»
Nach dem enttäuschenden Saisonende dürfte Krupp nun zu seiner Familie nach Köln zurückkehren. Seine zweite Ehefrau war mit ihrem gemeinsamen Sohn vorsorglich in der Karnevalsstadt geblieben. Krupp kennt den Ruf und die Volatilität, welche den HC Lugano begleiten.
Die Aufgabe, einen neuen Trainer für diese schwierige Aufgabe zu finden, obliegt nun also Janick Steinmann. Der 37-jährige Innerschweizer hatte in den letzten sieben Jahren in derselben Position bei den Rapperswil-Jona Lakers gearbeitet und dort mit seiner Art viel Respekt gewonnen; für Lugano hatte er einst zwei Saisons gespielt.
In der Medienmitteilung des Klubs wird er so zitiert: «Ich fühle mich glücklich, geehrt und sehr motiviert, für den HC Lugano zu arbeiten. Der Klub geht momentan durch eine schwierige Saison. Deshalb wird es meine erste Aufgabe sein, die ganze Organisation und alle, die für diese arbeiten, kennenzulernen, damit ich den Klub besser verstehe.»
Das klingt nicht, als ob Steinmann nun umgehend tiefgreifende Änderungen vornehmen wollte. Doch genau solche sind wohl nötig, um Lugano wieder zurück auf Kurs zu bringen. Im vergangenen Herbst ist Geo Mantegazza, der Visionär, der Lugano mit seinem Geld und der Grosszügigkeit «grande» gemacht hat, verstorben. Er war bis zu seinem Tod so etwas wie das Gewissen des Klubs im Hintergrund.
Die Führung seines Herzensprojekts hatte Mantegazza bereits 2011 in die Hände seiner Tochter Vicky gelegt. Sie ist in der Geschichte des Schweizer Eishockeys erst die zweite Frau, die einen Topklub führt.
Die «grande famiglia» als Hypothek
Mantegazza pflegt eine ausgesprochene Nähe zu der Mannschaft und ihren Spielern. Das wird ihr immer wieder vorgeworfen. In den 1990er Jahren zeichnete die amerikanische Seifenoper «Eine schrecklich nette Familie» nach, wohin es führt, wenn man sich gegenseitig nur auf die Schultern klopft. Kritiker sehen in diesem Klima der Nächstenliebe einer der Gründe, weshalb Lugano einfach nicht in die Erfolgsspur zurückfindet. Auf der Suche nach altem Glanz orientiert man sich regelmässig an Spielern und Funktionären, die eine Vergangenheit im Klub hatten.
Mantegazzas verlängerter Arm ist heute der CEO Marco Werder, ein ausgesprochen netter und auch umgänglicher Mann, der wie Steinmann selber einmal Spieler des HC Lugano war. Vor einem Jahr sagte er in einem Interview mit der NZZ, bei seiner Einsetzung sei die Spitze des Klubs zusammengesessen und habe versucht, eine neue Vision zu entwickeln. «Wir haben drei Punkte aufgeschrieben, zu denen man sich verpflichten wollte.» Die Essenz daraus lässt sich in einem Satz zusammenfassen. «Wir wollen den Erfolg nicht erzwingen, sondern ihn aufbauen.» Genau das ist dem HC Lugano bis heute nicht gelungen.