An einer Zürcher Fachhochschule riskieren Studenten eine tiefere Benotung, wenn sie keine Sonderzeichen verwenden.
Der Binnen-Doppelpunkt hat den Zürcher Kantonsrätinnen und Kantonsräten am Montag eine weitere Debatte über deutsche Sprache, Sprachgebrauch, Inklusion und «Ideologie» beschert. Letztgenanntes warfen sich beide Seiten gegenseitig vor, die Ratslinke der Rechten und umgekehrt. Gestritten wurde über eine Motion von SVP und FDP. Deren Ziel: Schülerinnen und Studenten sollen keine Nachteile erfahren, wenn sie aufs Gendern verzichten. Das sei ihnen gesetzlich zuzusichern.
Susanne Brunner empörte sich: «Schulen und Hochschulen bauen sich ihre eigenen Sprachkönigreiche auf, und der Regierungsrat lässt sie gewähren. Diese Laissez-faire-Politik ist ein Skandal!» Und «an alle hier im Saal»: Wer ihre Motion ablehne, befürworte einen Genderzwang. Das Votum der SVP-Politikerin wurde von linker Seite mit hörbarem Gelächter quittiert.
Linda Camenisch von der FDP war nicht zum Lachen zumute. Sie verwies auf das Regelwerk «Geschlechtergerechte Sprache» der Eidgenossenschaft und erinnerte ihre Kolleginnen und Kollegen im Kantonsrat daran, dass «Sternchen, Doppelpunkt und Unterstrich» nicht zulässig seien. «Das ist im Leitfaden des Bundes explizit so festgehalten.» Sprache wandle sich, auch die deutsche. Aber diese Sonderzeichen seien nicht natürlich entstanden, sondern vielmehr vor dem Hintergrund einer politisch-ideologischen Agenda.
Das führe zu einer «Verhunzung» der Sprache, sagte Camenisch. Solche Vorgaben stünden für den Versuch, die Bevölkerung umzuerziehen.
«Wer ist hier im Genderwahn?»
Auch Lisa Letnansky von der AL zeigte sich empört, allerdings aus einem anderen Grund. Die Bürgerlichen hätten schon x-mal einen Vorstoss gegen inklusive Sprache eingebracht. Nun müsse sich das Parlament auch noch mit dieser Vorlage herumschlagen. Da frage sie sich: «Wer ist hier im Genderwahn?» Dabei habe man doch Wichtigeres zu tun. «Wir könnten heute über Gleichstellung sprechen, über Hass und Hetze gegen Minderheiten anstatt über projizierte Ängste einer rechtskonservativen Bubble», sagte die Linkspolitikerin.
Und überhaupt: Die SVP von Susanne Brunner gebe vor, Schülerinnen und Studenten vor einem vermeintlichen Sprachdiktat schützen zu wollen. Tatsächlich aber huldige Brunners Partei einem «Genderstern-Fetisch, mit dem Sie den gesellschaftlichen Fortschritt bekämpfen wollen», schmetterte die AL-Vertreterin ihrer Vorrednerin entgegen. Es gehe der Volkspartei einzig darum, das binäre Modell durchzusetzen: Mann, Frau, fertig.
Ausserdem war für Letnansky klar: Es gibt gar kein Problem. Die Sprachleitfäden der Zürcher Hochschulen würden unterschiedliche Möglichkeiten für geschlechtergerechte Sprache bieten. Und: «Niemand wird dazu gezwungen, den Genderstern zu benutzen.»
So weit, so diametral verschieden die Sichtweisen: Skandal hier (Brunner), nicht der Rede wert da (Letnansky).
Bitte keine Schwarzfahrer!
Allein, man fragt sich: Wer hat recht? Werden Zürcher Schüler und Studentinnen zu Binnen-Doppelpunkt und anderen umfassenden Ausdrucksweisen verpflichtet oder nicht? Ist die Empörung von SVP und FDP tatsächlich derart grundlos, wie dies die Ratslinke den beiden bürgerlichen Parteien vorwirft?
Die Antwort steckt im Detail, wie so oft.
Das Papier des Anstosses zur hitzigen Debatte im Kantonsrat stammt von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Es nennt sich «Leitfaden für einen inklusiven Sprachgebrauch» und ist seit Juli 2022 in Kraft. Dieses Dokument soll Studenten und Mitarbeiterinnen bei einem «bewussten Sprachgebrauch im Alltag und im Studium» unterstützen. Und es soll Orientierung bieten im «aktuellen Diskurs zu Gender, Nonbinarität, Diversity und Inklusion», wie der damalige Rektor der Fachhochschule im Geleitwort des Leitfadens schreibt.
Es folgen etliche Beispiele «diskriminierungsfreier Sprache»: «Schwarzfahrer» ist schlecht, «Reisende ohne gültiges Ticket» ist gut. «Behindertengerecht» ist nicht erwünscht, «barrierefrei» oder «hindernisfrei» hingegen schon. Von «homosexuellen Paaren» sollen Angehörige der Fachhochschule nicht schreiben, sondern lieber das Wort «gleichgeschlechtlich» verwenden und so weiter.
Und was sich ZHAW-Studentinnen und -Studenten grundsätzlich merken sollten: Nonbinäre Sprache ist erwünscht. Wenn nichts anderes vorgegeben ist, können sie selber entscheiden, welches Genderzeichen sie in ihren schriftlichen Arbeiten verwenden wollen.
Wenn sie nicht gendern wollen und ihr Dozent aber darauf besteht: Pech gehabt. Dann gibt es einen Abzug.
Damit geht die ZHAW deutlich weiter als die übrigen Zürcher Hochschulen. Es wird zwar niemand zum Gendern gezwungen. Aber den Leitfaden der Fachhochschule darf man trotzdem als klare Ansage verstehen: Je nach Dozent müssen Binnen-Doppelpunkt-Verweigerer mit einer tieferen Bewertung rechnen.
Die Fachhochschule betont auf Anfrage, dass eine solche Sanktion «verhältnismässig» zu sein habe. Verhältnismässig bedeutet: Wer bei einem Gender-Dozenten aufs Gendern verzichtet, schreibt nicht korrekt und wird dafür entsprechend bestraft: Ein fehlender Binnen-Doppelpunkt wie in «Professor:innen» zählt dann genau so viel wie ein Fehler in der Rechtschreibung.
Brunner an Steiner: «Das ist Drückebergerei!»
Solchen Entwicklungen wollte die Motion von Susanne Brunner und ihren Mitstreitern einen Riegel vorschieben. Doch die Vertreter von SVP und FDP standen mit ihren Voten alleine da. Der Regierungsrat beziehungsweise die Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) hatten sich bereits schriftlich gegen den Vorstoss ausgesprochen. Die Leitfäden der Zürcher Hochschulen hätten lediglich «empfehlenden Charakter», argumentiert die Exekutive. «Für die Studierenden ergeben sich daraus keine Vorgaben.»
Es ist eine gewagte Formulierung, zumindest mit Blick auf die ZHAW.
Wenig anfangen konnte Susanne Brunner schliesslich mit Steiners Feststellung, dass Studenten, die sich benachteiligt fühlten, den ordentlichen Rechtsweg beschreiten könnten. Das sei nichts anderes als Drückebergerei, warf die SVP-Politikerin der Bildungsdirektorin entgegen. Studenten seien in einer schwachen Position. «Die meisten unterwerfen sich den Vorgaben ihrer Hochschulen.»
Doch davon liess sich die Ratsmehrheit nicht beeindrucken. Die Motion von SVP und FDP wurde abgelehnt. Überwiesen wurde hingegen ein Postulat der beiden Parteien und der EVP, die «sprachliche Gleichbehandlung von Mann und Frau in kantonalen Institutionen» verlangt.