Hamburger und Pommes frites sind ungesund. Und trotzdem sehr beliebt. Warum ist das so? Und ist das schlimm? Ein Treffen mit einer Ernährungsberaterin in einem Fast-Food-Lokal.
Mein erstes Mal im McDonald’s, ich weiss es noch genau: Ich war 14 Jahre alt, hungrig und auf der Suche nach Zugehörigkeit. Damals glaubte ich: Wer Burger isst, gehört zu den Coolen. Und wenn ich cool bin, dann bin ich bald auch beliebt. Viele weitere Mittagspausen mit fettigen Fingern und Ketchup-Resten am Mund folgten. An Coolness und Beliebtheit gewann ich nicht, aber an Gewicht.
Während meiner Zeit am Gymnasium in Sursee ass ich meistens Pommes, Burger oder Kebab. Meinen Eltern sagte ich nichts davon. Sie hatten mir den Besuch bei McDonald’s verboten: zu ungesund, zu abfallintensiv, zu verarbeitet das Essen.
Damals war mir das egal. Heute bin ich 26 und teile die Meinung meiner Eltern.
Trotzdem esse ich an manchen Tagen Burger und Pommes. Und ich bin nicht allein. Schweizerinnen und Schweizer lieben Fast Food. Immer neue Anbieter drängen auf den Markt, ob sie nun KFC, Carl’s Jr. oder Five Guys heissen.
McDonald’s ist mit 178 Filialen das grösste Gastronomieunternehmen der Schweiz. 2018 zählte der Fast-Food-Anbieter 105 Millionen Gäste; das sind rund 300 000 pro Tag. Seit 2019 publiziert McDonald’s keine länderspezifischen Umsatzzahlen mehr, wächst aber laut eigenen Angaben weiter.
Schnelles, fettiges Essen ist ungesund. Und es kann dick und krank machen. Eigentlich weiss das jeder. Doch der Hunger nach Fast Food scheint dennoch unersättlich.
Wie kann das sein?
«Ich mag Hamburger, am liebsten selbstgemachte»
Ich verabrede mich mit der ernährungspsychologischen Beraterin Nicole Heuberger im McDonald’s beim Bahnhof Stadelhofen in Zürich zum Mittagessen. Die frühere Präsidentin des Berufsverbands Ernährungspsychologische Beratung Schweiz führt eine eigene Praxis für Jugendliche und Erwachsene, die ihre Beziehung zum Essen ändern möchten.
Die McDonald’s-Filiale ist gut besucht, es riecht nach Frittieröl – ein Duft, der hungrige Menschen noch hungriger machen soll. Auffällig viele Gäste sind Jugendliche. Aber auch Geschäftsleute, Seniorinnen, Bauarbeiter stehen Schlange. Ich bestelle mir Pommes, eine Cola Zero und einen McPlant. Das ist ein Vegi-Burger, der aussieht wie ein klassischer Hamburger. Nicole Heuberger entscheidet sich für einen Spicy McChicken mit Pommes frites und Mineralwasser.
Dass Fast Food der Gesundheit schaden kann, blenden die meisten aus. Heuberger sagt: «Wir sind halt an unmittelbarer Belohnung interessiert.» Ein Hamburger und ein Milchshake etwa befriedigten sofort. Wir wüssten bereits vor dem Essen, was uns erwarte: viel Fett, viel Zucker, Geschmacksverstärker. «Unser System lernt, dass die Erwartung bestätigt wird. Wir schütten Glückshormone aus», sagt Heuberger. Die primäre Erfahrung sei, dass es uns schmecke.
Das ist nicht ganz unproblematisch. Mehrere Studien zeigen, dass das Gehirn beim Verzehr von fettigem, industriell hergestelltem Essen ähnliche Mengen des Glückshormons Dopamin wie bei Suchtmitteln wie Nikotin und Alkohol ausschüttet. Hochverarbeitete Lebensmittel wie Hamburger, Pommes frites oder Chicken Nuggets in Fast-Food-Lokalen versorgen den Körper mit raffinierten, also nährstoffarmen Kohlenhydraten, zugesetzten Fetten und weiteren Zusatzstoffen, die es nicht zu kaufen gibt und die den Besuch bei McDonald’s, Burger King oder einem anderen Schnellimbiss daher zu «etwas Besonderem» machen. Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe hingegen kommen in diesen Kalorienbomben kaum vor.
Heuberger bleibt gelassen. «Ich mag Hamburger, am liebsten selbstgemachte», sagt die Ernährungsberaterin.
Der Trick mit den Fotos
Wenige Minuten später bringt eine Mitarbeiterin das Essen an unseren Tisch. Die Pommes werden in einer roten Kartontüte serviert, ein paar liegen auf dem Plastiktablett. Der Poulet-Burger wirkt etwas farblos. Heuberger muss schmunzeln und sagt: «So appetitlich wie auf den Fotos sieht es doch nicht aus.»
Auch das wissen wir längst. Und trotzdem landen wir immer wieder in den «Restaurants» mit dem gelben M oder in anderen Fast-Food-Lokalen. Der Mensch lässt sich nur allzu gerne verführen. Vor allem, wenn er Hunger hat: Jetzt schnell einen Hamburger! Oder einen grossen Cheeseburger . . . Die Lust davor ist häufig stärker als die Enttäuschung danach über das, was man nach der Bestellung wirklich bekommt.
Und verführen kann McDonald’s gut. Zum Beispiel mit dem «Happy Meal» für 7 Franken 40: Für das Geld gibt es einen Hamburger, einen Cheeseburger oder vier Chicken McNuggets mit Pommes oder Rüebli, ein kleines Getränk, ein Fruchtpüree zum Dessert und ein Spielzeug oder ein Büchlein zum Mit-nach-Hause-Nehmen. So werden bereits Kinder an die Marke gebunden.
Fast Food ist Rebellion
Nicole Heuberger, 51 Jahre alt, hat eine Tochter und einen Sohn im Teenageralter. «Fast Food schmeckt ihnen. Sie wissen, was sie bekommen. Das Essen ist günstig, sie können es selbst bestellen, müssen nur kurz darauf warten.»
Ihre Kinder dürfen in der Freizeit Fast Food essen. Bezahlen müssen sie es mit dem Taschengeld. Heuberger setzt auf Eigenverantwortung. Kinder und vor allem Jugendliche müssten lernen, selber herauszufinden, was ihnen guttue und wie sie mit Hunger, Lust und Sättigungsgefühl umgehen wollen: «Ich möchte nicht suggerieren, zu wissen, was für andere richtig oder falsch ist.»
Ich erzähle, dass meine Eltern mir als Kind den Besuch bei McDonald’s untersagt hatten. Heuberger sagt: «Wenn Jugendliche sich auswärts verpflegen, wählen sie häufig jenes Essen, das zu Hause tabu ist.» Eine Form von Rebellion. Es brauche eine gewisse Reife, bis man wisse, was einem wirklich guttue.
Ich war mit 18 Jahren so weit. Auf einmal ekelte ich mich vor dem einst geliebten McChicken. Ab und zu lande ich zwar immer noch in einer Fast-Food-Bude, nachts, im Ausgang, wenn es schnell gehen muss und alles andere zu hat. Wenn ich Lust auf etwas Deftiges habe. Aber sicher nicht mehr in der Mittagspause.
Die 15-jährige Schülerin Lynn und die 16-jährige KV-Lernende Ellen aus Zürich hingegen freuen sich auf etwas Warmes. Die beiden Teenager am Tisch neben uns sind sich einig: «Das Essen ist ungesund, aber fein.» Ihnen geht es um mehr als um Fast Food. Häufig seien sie am Wochenende hier, erzählen sie. Dann könnten sie «neue Verknüpfungen» machen – neue Leute kennenlernen.
Ich fühle mich in meine Pubertät zurückversetzt. Auch für mich war der Besuch im McDonald’s aufregend, ein soziales Ereignis, eine Vorstufe zum Ausgang. Für die Klubs und Bars in Luzern war ich zu jung, fürs Daheimbleiben zu neugierig und überdreht. Ich traf mich freitagabends mit Freundinnen in der Fast-Food-Filiale in der Industriezone in Sursee. Wir schlugen uns die Bäuche voll, tratschten über unsere Klassenkameraden, schielten zu jenen rüber, die wir nur vom Hörensagen kannten. Es war besser als Kino.
Die Kalorien-Frage
Im McDonald’s am Stadelhofen zeigt sich noch ein anderes Bild. Viele der Erwachsenen essen allein. Weil es schnell gehen muss? Oder weil sie sich schämen für ihr fettiges Mittagessen?
Eine Frau um die 50 lehnt ein Gespräch ab, sie möchte in Ruhe gelassen werden. Der 28-jährige Ashty sagt, er nehme sich heute Zeit für sich. Er sei zum Genuss hier. Der junge Mann isst einen riesigen Hamburger und trinkt einen Milchshake. Er sei selten hier, er arbeite als Krankenpfleger. Im Spital habe er auch mit Patienten mit Darmkrebs und Nierenschäden zu tun. «Viele sagen, sie bereuten es, früher fettig und ungesund gegessen zu haben.» Und ja, ein bisschen habe er schon ein schlechtes Gewissen.
Ein Big-Mac-Menu mit einer grossen Portion Pommes frites und einer grossen Cola enthält 1149 Kalorien, ein grosser McFlurry (so nennt sich das Softeis bei McDonald’s) bis zu 788 Kalorien. Zusammengezählt sind das 1937 Kalorien. Eine einzige Mahlzeit bei McDonald’s entspricht also bereits ungefähr dem durchschnittlichen täglichen Energiebedarf einer Frau.
Nicole Heuberger hingegen betont: «Wie viele Kalorien ein Körper verbrennt, ist von Person zu Person und von Tag zu Tag unterschiedlich.» Jeder Körper habe einen einzigartigen Stoffwechsel. «Wir verbrauchen auch Kalorien, wenn wir lachen, einen Infekt bekämpfen, wütend sind, viel denken, reden.» Wichtiger als nackte Zahlen ist laut Heuberger die Zusammensetzung einer Mahlzeit.
Und hier schneidet Fast Food oft besonders schlecht ab. Um bei dem Riesen-Hamburger und dem Milchshake von Ashty zu bleiben: Das Brötchen besteht aus Weissmehl, der Milchshake enthält viel Zucker – beide Zutaten gehören zu den sogenannten kurzkettigen Kohlenhydraten. Der Körper kann diese schnell und leicht aufspalten, der Zucker gelangt rasch ins Blut. Der Blutzuckerspiegel schnellt in die Höhe. Der Körper schüttet Insulin aus, das die Aufnahme von Glukose in die Zellen ermöglicht.
Das Problem: Ein Glukose-Rausch ist nicht nachhaltig. Der Blutzuckerspiegel fällt rasch ab. Wir haben immer noch Hunger, was dazu führen kann, dass man sich einen weiteren Burger oder allenfalls eine extra Portion Pommes frites bestellt. Oder einen weiteren zuckerhaltigen Softdrink. «Spicy» macht durstig. Ein leckerer Hamburger, der nicht satt macht, macht Lust auf mehr. Ein Teufelskreis, der sich schon bald bemerkbar machen kann: «Ein erhöhter Insulinspiegel blockiert die Fettverbrennung, das Fett wird eingelagert», sagt Heuberger.
Mögliche Folgen: Man nimmt zu. Das Fett kann sich auch in der Leber ansammeln. Dadurch erhöht sich das Risiko von Diabetes oder von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck oder einem Herzinfarkt.
Zum Abendessen lieber etwas Selbstgemachtes
Zurück im McDonald’s am Stadelhofen: Es ist kurz vor 14 Uhr, der Mittagstrubel ist vorbei. Meinen Vegi-Burger fand ich mittelmässig. Nach einer durchzechten Nacht schmeckt mir das Essen hier irgendwie besser. Einen Kaffee zum Dessert lehnt Nicole Heuberger ab. Sie trinke ihn lieber anderswo.
Und wie war ihr Essen? «Die Sauce war wie immer ziemlich scharf, das mag ich.» Die Geschmacksverstärker haben einen guten Job gemacht. Die Pommes hingegen hat Heuberger kaum angerührt. Sie wurden kalt geliefert, genauso wie meine.
Ich freue mich auf ein selbst gekochtes Abendessen mit frischen, unverarbeiteten Zutaten und viel Gemüse. Hunger habe ich immer noch. Und ein schlechtes Gewissen. Nicole Heuberger nicht. «Wer Lebensmittel in richtig und falsch unterteilt, verliert das Vertrauen in den Körper», sagt Heuberger. Einen Tag nur Salat, dann wieder Fressattacken: Solches Schwarz-Weiss-Denken könne zwanghafte Formen annehmen.
Viele Menschen haben den Anspruch, immer ausgewogen, immer «richtig» zu essen. Heuberger kämpft dagegen an. Manchmal einem Gefühl, einer Lust nachzugeben, sei ein menschliches Bedürfnis, sagt die Expertin. Und: «Die Lust auf einen Burger ist auch ein Gefühl.»