Für die fünf grössten Kostenblöcke soll es Vierjahresziele geben. Bei Kostenüberschreitungen sind aber keine Sanktionen vorgesehen.
Das Verdikt war deutlich. Mit fast 63 Prozent Nein-Stimmen fiel die Volksinitiative der Mitte-Partei für eine Kostenbremse im Gesundheitswesen im Juni 2024 an der Urne durch. Die Initiative verlangte, dass der Bund bei Überschreiten eines (undefinierten) Kostendachs wirksame Gegenmassnahmen ergreift. Konkretes nannte der Initiativtext indes nicht.
Beim breiten Publikum sorgt zwar der starke Anstieg der Krankenkassenprämien oft für Kritik, doch Sparen oder auch nur schon eine Dämpfung des Kostenanstiegs ist unpopulär – ausser es trifft nur «die anderen». Die Gegner der Volksinitiative waren jedenfalls mit bewährten Schlagworten wie «Rationierung» und «Zweiklassenmedizin» im Abstimmungskampf erfolgreich.
Ziele für fünf Kostengruppen
Als Folge des Urnenverdikts trat der vom Parlament beschlossene Gegenvorschlag zur Volksinitiative in Kraft. Auch diese Gesetzesänderung verpflichtet den Bundesrat zur Festlegung von Kostenzielen. Die Grundidee: Der Bundesrat legt nach Anhörung der massgebenden Akteure das Oberziel fest, und auf dieser Basis setzen die Kantone dann ihre eigenen Ziele. Allerdings sieht das Gesetz keine Sanktionen bei Überschreiten der Ziele vor.
Ende Januar hat der Bundesrat seinen Vorschlag zur Umsetzung der Gesetzesvorgabe in die Vernehmlassung geschickt. Laut dem Verordnungsentwurf soll die Regierung Kostenziele «namentlich» in fünf Kostengruppen festlegen: stationäre Behandlungen, ambulante Behandlungen im Spital, ambulante Behandlungen durch Ärzte ausserhalb des Spitals, Arzneimittel sowie Pflege. Diese fünf Kostenblöcke umfassen zusammen fast 90 Prozent der Gesamtkosten der Leistungen nach Krankenversicherungsgesetz (KVG). Die Gesamtkosten der KVG-Leistungen betrugen jüngst rund 50 Milliarden Franken pro Jahr – knapp 6000 Franken pro Einwohner.
Wirtschaftswachstum plus x
Der Bundesrat nennt in seinem Verordnungsentwurf keine Zahlen zu den künftigen Kostenzielen. Aber er nennt in einer nicht abschliessenden Aufzählung vier Kriterien: die Entwicklung der Morbidität (gemeint ist die Demografie), den medizinisch-technischen Fortschritt, die Entwicklung von Wirtschaft, Löhnen und Preisen sowie das Effizienzpotenzial.
In einem ersten Schritt könnte man annehmen, dass die Kosten pro Versicherten im Gesundheitswesen etwa im Gleichklang mit der Volkswirtschaft wachsen. Doch in der Tendenz führt ein Anstieg des Wohlstands zu einem überproportionalen Anstieg der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen. Zudem ist die Produktivitätssteigerung im Gesundheitswesen im Vergleich etwa zur Industrie unterdurchschnittlich. Deshalb steigt in der Tendenz der Anteil der Gesundheitskosten an den Haushaltsausgaben. Zudem wachsen die Gesundheitskosten pro Einwohner wegen der Alterung der Gesellschaft laut Schätzungen um etwa 0,5 Prozentpunkte pro Jahr stärker als die Gesamtwirtschaft.
Hinzu kommt der technische Fortschritt. Dieser führt öfter zu Mehrkosten als zu Einsparungen – als Folge wachsender Behandlungsmöglichkeiten durch neue Geräte oder Medikamente; ob den Mehrkosten ein entsprechend höherer Nutzen gegenübersteht, ist jeweils die grosse Frage. Fehlanreize im System tragen jedenfalls dazu bei, dass neue teure Geräte möglichst gut ausgelastet sind und allfällige Einsparungen nicht rasch beim Prämienzahler ankommen.
Zurzeit ist im Gesundheitswesen noch viel Luft (lies: Verschwendung). Darin liegt «Effizienzpotenzial», das der Bundesrat als Kriterium aufführt. Ein vom Bund bestellter Expertenbericht von 2019 schätzte dieses Potenzial auf 16 bis 19 Prozent der KVG-Leistungen. Nimmt man willkürlich und optimistisch an, dass sich die Verschwendung innert zehn Jahren etwa halbieren liesse, würde dies den Kostenanstieg pro Jahr um einen halben bis ganzen Prozentpunkt senken.
Unter dem Strich würde in einer simplen Formel nach dem Muster «Wirtschaftswachstum plus x» das x vielleicht irgendwo zwischen 0,5 und 2 Prozentpunkten pro Jahr liegen. Hinweise liefert auch eine Zusammenstellung des Bundesamts für Gesundheit zur jüngeren Vergangenheit. Die Zusammenstellung beruht auf Bundesstatistiken, Angaben der Kantone und Schätzungen. Daraus lässt sich ableiten, dass die Gesamtkosten der KVG-Leistungen von 2016 bis 2023 im Mittel um 2,2 Prozent pro Jahr gewachsen sind. Diese Rate lag 0,7 Prozentpunkte über dem Wirtschaftswachstum pro Einwohner. Je nach Kostenblock war die Entwicklung aber sehr unterschiedlich; die Bandbreite der Kostensteigerungen reichte von 0,4 bis 3,4 Prozent pro Jahr (vgl. Grafik).
Parlament hat gebremst
Für den Fall eines Überschiessens der Kosten nennt der Verordnungsentwurf keine Gegenmassnahmen. Das Parlament wollte keine Verbindlichkeit. Zudem sollen die Kostenziele nicht jährlich, sondern jeweils für vier Jahre festgelegt werden – erstmals für 2028 bis 2031. Auch die Vierjahresperiode entspricht dem Willen des Parlaments.
Laut dem Regierungsvorschlag soll eine neue eidgenössische Kommission für das Kosten- und Qualitätsmonitoring zuständig sein. Mit acht Mitgliedern ist die geplante Grösse überschaubar. Immerhin drei Sitze sind für Vertreter der Wissenschaft reserviert. Dazu kommen je ein Vertreter der Leistungserbringer, der Krankenkassen, der Kantone, der Versicherten sowie der Eidgenössischen Qualitätskommission.
Die Festlegung der Kostenziele «sollte im Prinzip die Sache einer Expertenkommission sein und nicht politisiert werden», sagt der Gesundheitsökonom Tilman Slembeck, Professor der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften: «Aber dass auch Interessenvertreter in der neuen Kommission sitzen, gehört wohl einfach zum Schweizer System.»
Die Kommission soll zwar die Kosten- und die Qualitätsentwicklung im Gesundheitswesen analysieren, doch formal gibt sie keine Empfehlung für die Kostenziele ab. Das Parlament hatte die vom Bundesrat im Rahmen der Gesetzesrevision gewünschte Empfehlungskompetenz abgelehnt. Auch dies soll die Wirkung der geplanten Kostenziele begrenzen.
Zwang zur Rechtfertigung
Wird das Kostenziel somit ein reiner Papiertiger? Einige befragte Gesundheitspolitiker halten den Ball flach, doch sie setzen auf eine gewisse Wirkung durch die öffentlichen Zieldebatten. Das erwartet auch der Ökonom Tilman Slembeck: «Zuerst gibt es eine Diskussion darüber, was eine vernünftige Kostenentwicklung wäre. Danach schafft der Vergleich mit der effektiven Entwicklung Transparenz. Und bei Überschreitungen müssen sich die kantonalen Gesundheitsdirektoren öffentlich rechtfertigen. Das gibt einen gewissen Druck.»
Denkbar ist auch ein Einfluss auf künftige Tarifverhandlungen für Gesundheitsleistungen. Das bestehende Gesetz verlangt bei Tarifverträgen Korrekturmassnahmen «bei nicht erklärbaren Mengen-, Volumen- und Kostenentwickungen». Die künftigen Kostenziele könnten definieren, ab wann mindestens Erklärungsbedarf vorliegt.