Seine Theorien und sein Gesicht regten erst Möchtegern-Revolutionäre an, dann Marketingleute. Inzwischen wird der bekannteste Rebell der Welt auch von Linken kritisch gesehen.
Kaum ein Bild ist so oft kopiert und verbreitet worden wie das Porträt Che Guevaras, das der kubanische Fotograf Alberto Korda anfertigte. Guevara trägt auf dem Foto Bart, mittellanges, gelocktes Haar, eine schwarze Baskenmütze mit dem ikonischen Stern und schaut in die Ferne. Im Laufe der Jahre wurden dieses Foto und der Mann, den es zeigt, für alle Welt zur Chiffre für Protest und Revolution.
Der argentinische Revolutionär Che Guevara war zugleich Praktiker und Theoretiker des gewaltsamen Umsturzes. Ende der 1950er Jahre brachte er gemeinsam mit Fidel Castro und seinen Mitkämpfern das kubanische Regime zu Fall und baute auf den Trümmern der alten Ordnung eine neue, marxistische Diktatur auf. Parallel schrieb er Handbücher für alle, die in anderen Ländern dasselbe tun wollten.
Che Guevaras Theorie des revolutionären Fokus besagte vereinfacht gesagt, es müsste bloss eine kleine, aber entschlossene Avantgarde den bewaffneten Kampf aufnehmen, dann würden sich die Massen der Revolution anschliessen. Was in Kuba gelang, wollte er später auch in Kongo und Bolivien erreichen. Doch als er nacheinander in diesen Ländern erneut für den Umsturz kämpfte, schauten die Einheimischen teilnahmslos zu. Er scheiterte und widerlegte damit seine eigene Lehre.
Trotzdem wurde er nach seiner Erschiessung im Jahr 1967 ein linker Märtyrer. Bilder wie jenes des Fotografen Alberto Korda machten aus dem skrupellosen Guerillero Che Guevara postum einen Posterboy für Möchtegern-Revolutionäre und Vorstadtrebellen.
Doch inzwischen ist Che mehr Pop als Kult. Selbst unter Linken bröckelt der Mythos, den Kordas Foto einst mitbegründete.
Die Zeitung wollte das Bild erst gar nicht haben
Das Foto, durch das Che Guevara zu einer Ikone der Linken wurde, entstand, als Che und Castro gerade dabei waren, ihre Macht zu konsolidieren. Am 4. März 1960, wenige Monate nach ihrer Machtübernahme, explodierte im Hafen von Havanna ein belgisches Frachtschiff, das den Revolutionären Munition lieferte. Die Zeitungen schrieben damals von 75 bis 100 Todesopfern.
Am Tag nach der Explosion rief die kubanische Regierung zu einer grossen Trauerfeier auf, die mehr Kundgebung als Abdankung war. In seiner Trauerrede sprach Castro von einem Sabotageakt und griff damit indirekt die USA an, was zu einer diplomatischen Krise führte.
Wie üblich dokumentierte Alberto Korda, Castros Hoffotograf, die Veranstaltung. Vor dem Umsturz betrieb Korda mit einem Freund in Havanna ein kommerzielles Studio, später freundete er sich mit den Kadern der Revolution an und fand in ihnen neue Auftraggeber.
Während Castros Rede fotografierte er Che Guevara. Allerdings waren auf dem Originalbild neben Che Guevara eine Pflanze und ein Parteifunktionär zu sehen. Erst später schnitt Korda das Bild zu und machte aus dem Foto das bekannte Porträt, das er einer kubanischen Zeitung anbot. Doch die lehnte ab.
Vielleicht wäre das Bild eine unbekannte Aufnahme im Archiv von Korda geworden, wenn Che Guevara in Kuba geblieben und dort als alter Mann gestorben wäre.
Che wird zum Märtyrer verklärt
In den Jahren nach der Revolution verstärkten sich die Spannungen zwischen Fidel Castro und Che Guevara zusehends. Castro war es vor allem um die Befreiung Kubas gegangen, doch Che wollte mehr.
1965 legte Che Guevara seine Ämter als kubanischer Minister nieder und reiste als Geschäftsmann getarnt nach Kongo, wo im Hinterland ein Guerillakrieg tobte. Che Guevara glaubte, dort eine Revolution nach kubanischem Vorbild lancieren zu können. Doch er kannte die Verhältnisse im Land kaum und sprach nur ein paar Brocken Suaheli. Ein Jahr später zog er weiter nach Bolivien und scheiterte erneut.
Die vorwiegend indigene Bevölkerung im bolivianischen Hochland, wo Che Guevara und seine Guerilla operierten, hielt Distanz. Auch die Kommunistische Partei Boliviens verwehrte ihm die Unterstützung. Im Herbst 1967 wurde er von der bolivianischen Armee verhaftet und nach einem Verhör ohne Gerichtsverhandlung erschossen. Spätestens dann wurde aus dem gewaltbereiten Guerillero Che ein Märtyrer.
Mehr und mehr überlagerte der Mythos die Realität. Sein Kampfwille (im Gefecht schoss er oft ohne Deckung im Stehen) und sein Tod verdeckten in der öffentlichen Wahrnehmung die Tatsache, dass er während der Revolution eigenhändig Exekutionen vornahm, Polizisten hinrichten liess und später Arbeitslager einrichtete.
Stattdessen entstand um Che ein Kult. Dazu trug das Foto von Alberto Korda entscheidend bei.
Ein gewalttätiger Jesus
Nach Che Guevaras Tod liess der linke italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli das Foto von Che aus dem Jahr 1960 vervielfältigen und bearbeiten. Feltrinellis Verlag streckte Kordas Originalfoto in die Länge. Aufgrund seiner Asthma-Erkrankung nahm Che Guevara zeitlebens Cortison ein, was sein Gesicht etwas aufgedunsen wirken liess. Auf dem bearbeiteten Foto wirkt sein Gesicht schmaler, vitaler, attraktiver.
In der linken Mailänder Szene wurde das Porträt von Che darauf immer populärer. Es verbreitete sich von Mailand aus erst an den europäischen Universitäten und dann auf der ganzen Welt. Vor allem die Achtundsechziger studierten Che Guevaras Schriften und trugen sein Porträt bei Demonstrationen vor sich her, als würden sie eine Prozession veranstalten und als wäre Che Guevara ein antiimperialistischer und gewaltbereiter Jesus.
Später liessen sich etliche linke Terrorgruppen von Che Guevaras Handbüchern über den Guerillakrieg inspirieren und wandten seine Prinzipien auf ihre eigene Situation an: in Deutschland die RAF, in Frankreich die Action directe, in Italien die Brigate rosse.
Ein Jahr nachdem Feltrinellis Verlag das Porträt bearbeitet hatte, schuf der irische Künstler Jim Fitzpatrick auf dieser Grundlage eine stilisierte dreifarbige Grafik mit dem Titel «Guerrillero Heroico». Diese Version wurde auch ausserhalb politischer Gruppierungen populär und machte aus dem Revolutionär Che Guevara allmählich eine Pop-Figur. Die Grafik von Fitzpatrick ziert heute T-Shirts, Portemonnaies, Feuerzeuge und sogar Bikinis.
Ein Jahr später veröffentlichte Gerard Malanga eine Adaption des «Guerrillero Heroico» und schrieb sie dem berühmten Pop-Art-Künstler Andy Warhol zu. Malanga war ein wichtiger Mitarbeiter Warhols und soll damals dringend Geld gebraucht haben. Warhol authentifizierte das Werk im Nachhinein.
Vielleicht war es diese Profanisierung durch den Kommerz, wahrscheinlicher aber die historische Aufarbeitung, die dazu führte, dass Che Guevara heute selbst in linken Kreisen kritisch gesehen wird.
Zum 40. Todestag bezeichnete die linke «TAZ» den lange verklärten Che Guevara als «Marlboro-Mann der Linken». Sie schrieb: «Der Mythos des Rebellen Che lebt weiter, als Mensch war er eitel, launisch und autoritär.»
Alberto Korda, der diesen Mythos mitgeprägt hat, profitierte von seiner künstlerischen Leistung übrigens kaum. Jahrzehntelang machte er keine Urheberrechte geltend und ermöglichte so, dass sich sein Foto in linken Wohngemeinschaften und an Marktständen gleichermassen verbreitete. Erst als im Jahr 2000 ein international bekannter Wodkahersteller mit dem «Guerrillero Heroico» warb, klagte er sein Recht ein und erhielt 50 000 amerikanische Dollar. Das Geld spendete er an kubanische Kinder.
Links: Revolution in der Mode: Che Guevara auf einem Cashmerepullover der deutschen Designerin Andrea Karg. Rechts: Che Guevara an der Aussenwand des kubanischen Innenministeriums.