Trump droht, Europa an Putin auszuliefern. Der Schutzring um die Schweiz beginnt zu bröckeln. Sie wird sich entscheiden müssen, ob sie sich militärisch mit ihren Nachbarstaaten verbündet oder in einer gefährlichen Welt schon bald allein dasteht.
Es gibt kaum ein Land auf der Welt, das so von der Gnade der Geografie getroffen ist wie die Schweiz. Umgeben von Frankreich, Deutschland, Italien und Österreich, gerahmt vom Alpenmassiv, liegt sie wie eine Trutzburg mitten in Europa. In keinem der umliegenden Staaten, Liechtenstein ausgenommen, sind die Einwohner so frei und wohlhabend. Glücklich, wer so leben kann.
Doch dafür kann die Schweiz wenig. Sie verdankt ihre Sicherheit in hohem Masse anderen, die sie wie ein Schutzring umgeben. In Deutschland gibt es zunehmend Stimmen, die von sicherheitspolitischen Parasiten sprechen, wenn sie hinter die südlichen Grenzen zeigen. So weit muss man nicht gehen. Aber sicherheitspolitische Trittbrettfahrer, das sind sie schon, die neutralen Österreicher und Schweizer.
Gewiss, die Deutschen halten besser den Mund. Jahrzehntelang haben sie betrieben, was man auch der Schweiz vorwerfen kann. Unter dem Schutzschirm der Amerikaner stiegen sie aus der Asche des Zweiten Weltkriegs zum Exportweltmeister auf. Als sie an der Seite der USA und ihrer Nato-Partner plötzlich in Afghanistan Krieg führen sollten, erklärten sie, Kampfeinsätze aus historischen Gründen nicht führen zu können. Damals begann das Zerwürfnis mit den USA.
Denn was in Berlin zum Pazifismus verbrämt wurde, war in Wahrheit Rosinenpickerei. Deutschland sicherte sich im Norden Afghanistans die Einsatzgebiete, in denen am wenigsten Widerstand zu erwarten war. Als die Amerikaner um Unterstützung im Süden baten, winkte die Regierung in Berlin ab. Die Amerikaner waren sauer und fragten, ob das Deutschlands Verständnis einer gerechten Lastenteilung sei.
Der Krieg in der Ukraine und die Schweizer Widersprüche
Eine solche Politik der Selektivität beschrieb die bisherige deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock von den Grünen einmal als «parasitären Pazifismus». Diese Beschreibung kann man etwas abgeändert auch auf die Schweiz anwenden. Sie betreibt eine parasitäre Neutralität. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vor drei Jahren wird das ganz besonders deutlich.
Alle demokratischen Verfassungsorgane der Schweiz verurteilten den Völkerrechtsbruch durch das Regime in Moskau. Sie teilten die westliche Einschätzung, dass man Wladimir Putin den Landraub in dem Nachbarland nicht durchgehen lassen dürfe. Die Schweiz hatte sich verbal ins westliche Lager begeben.
Doch als der Rüstungskonzern Rheinmetall im Jahr 2023 im Auftrag der Regierung in Berlin 96 Leopard-1-Panzer von der Ruag erwerben und für die Ukraine instand setzen wollte, verweigerte die Regierung in Bern den Export. Sie begründete die Entscheidung mit dem Kriegsmaterialgesetz und der Neutralität des Landes. Zuvor hatte sie bereits die Lieferung von in der Schweiz hergestellter 35-Millimeter-Munition für den Gepard-Flugabwehrpanzer durch Deutschland an die Ukraine verwehrt.
Der grosse nördliche Nachbar kennt Skrupel wie diese nur zu gut. Waffenlieferungen in Kriegsgebiete waren für die deutsche Regierung selbst dann noch ein Tabu, als Moskaus Truppen angriffsbereit an der Grenze zur Ukraine standen. Das hat sich geändert. Deutschland ist bis zuletzt der zweitgrösste Waffenlieferant für die um ihre Existenz kämpfende Ukraine gewesen.
Der kalte Hauch des Todes aus Bern
Bei allem Verständnis für die neutrale Position der Schweiz wirkte die Verweigerung der Gepard-Munition zu einer Zeit, als das ganze Ausmass der russischen Intervention bereits klar war, wie ein kalter Hauch des Todes. Wie viele russische Kamikazedrohnen und andere Geschosse hätten mit den 35-Millimeter-Geschossen am Himmel über Kiew abgeschossen werden können? Wie viele Ukrainer könnten noch leben?
Die Neutralität hat in der Schweiz Verfassungsrang. Das Land hielt selbst in dunkelster europäischer Zeit daran fest, als eine Parteinahme angeraten schien. Doch die Jahre der Naziherrschaft haben die wirtschaftliche und politische Position der Schweiz in Europa eher gestärkt. Die Entwicklungen heute bergen indes die Gefahr, dass sie sich mit ihrem starren Festhalten an der Neutralität verkalkuliert.
Der Bruch zwischen Amerika und Europa, der auf der Sicherheitskonferenz in München offen zutage getreten ist, lässt auch die Schweiz nicht unberührt. Schon mit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich ihr Sicherheitsumfeld verschlechtert. Nun aber entziehen die USA, der jahrzehntelange Garant der liberalen Ordnung, den Europäern ihre sicherheitspolitische Aufmerksamkeit. Mehr noch: Es sieht so aus, als suchten sie gerade die Partnerschaft mit Putins Reich und gäben dafür Europa preis.
Dass es so weit gekommen ist, liegt massgeblich an den Europäern selbst. Sie haben die Warnrufe aus Washington ignoriert und gehofft, dass ihnen die USA die sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei weiter durchgehen lassen. Auch wenn die Schweiz nicht der erste Adressat der Kritik ist, hat doch auch sie einen Beitrag zu dieser Entwicklung geleistet. Verteidigungsausgaben in Höhe von 0,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts sind selbst für deutsche Massstäbe in sicherheitspolitisch gefährlichen Zeiten lächerlich gering.
Nun droht der Zerfall von Nato und EU
Nun sieht es so aus, als ob die USA unter Trump eher Moskau denn Brüssel als Partner favorisieren. Die ersten Äusserungen und Massnahmen des neuen Präsidenten deuten darauf hin, dass Amerika die politisch und militärisch schwachen Europäer sich selbst, vor allem aber dem Spiel der Mächte aussetzen will. Für Deutschland und seine Partner auf dem Kontinent ist das möglicherweise ein Epochenbruch, den sie kaum und schon gar nicht in der gebotenen Eile kitten können. Unter dem Druck von Trump und Putin droht der Zerfall der EU und der Nato.
Auch für die Schweiz sind das keine guten Aussichten. Wenn die Sicherheit der sie umgebenden Staaten erodiert, leidet auch ihre eigene Sicherheit. Ihre Neutralität und das ungeheure Einlagevermögen aus aller Welt werden nicht helfen, wenn Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich zu Vasallen werden, egal ob von Washington oder von Moskau. Auch die Schweiz wird dann irgendjemandes Vasall werden, der seine Frondienste einfordert.
Um diese Entwicklung zu verhindern, muss die Schweiz darauf hoffen, dass vor allem die grossen europäischen Staaten endlich handeln. Dabei geht es um eine gemeinsame Aussenpolitik, vor allem aber um eine europäische Gesamtverteidigung, und zwar eher heute als morgen.
Die Summen, die ein Europa ohne die USA künftig in sein Militär investieren muss, sind so gewaltig, dass die Schweiz zwangsläufig in den Fokus von Paris, Berlin und Brüssel geraten wird. Sie wird vor der Frage stehen, ob sie sich als potenzieller Sicherheitsprofiteur an den Kosten und beispielsweise einer umfassenden europäischen Luftverteidigung beteiligt – oder allein dasteht. Die Neutralität, die oft wie ein Feigenblatt wirkt, könnte als Bumerang zurückschlagen.
Niemand kauft noch Kriegsmaterial aus der Schweiz
Denn gesetzt den Fall, sie raffen sich in dieser dramatischen Lage endlich zu einem verteidigungs- und kampffähigen Staatenbund auf, werden die Europäer einen unsicheren Kantonisten in ihrer Mitte auch als Rüstungspartner nicht mehr akzeptieren. Nach den Erfahrungen mit der Gepard-Munition will Deutschland inzwischen nicht einmal mehr Tarnnetze made in Switzerland kaufen.
Für die Schweiz ist das eine problematische Entwicklung. Zu Recht wird niemand mehr mit ihr Waffen oder Munition entwickeln und produzieren, wenn er damit rechnen muss, dass ihr Einsatz im Ernstfall durch ein Veto aus Bern verhindert werden kann. Umgekehrt wird in Zeiten knapper Rohstoffe niemand mehr die Schweiz mit Waffen beliefern, wenn sie sich nicht militärisch stärker einbringt. Sie wird sich mindestens hinten anstellen müssen – zu deutlich höheren Kosten.
So schnell, wie sich die Europäer nun auf den eigenen Kampf ums Überleben von Freiheit und Demokratie verlegen müssen, hat sich die Schweiz klar darüber zu werden, ob sie weiter in einem sicherheitspolitischen Spannungsfeld zwischen tradierter Neutralität und neuer Bedrohung lavieren will. Oder ob sie anerkennt, dass sich spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz die Zeiten auch für sie endgültig geändert haben.
Es geht nicht darum, dass die Schweiz nun den Antrag stellt, in die Nato aufgenommen zu werden, wie es die zuvor ebenfalls neutralen Schweden und Finnen getan haben. Aber was spräche dagegen, wenn sie sich mit signifikanten Kräften – etwa der Luftwaffe und der Panzertruppe – an einem europäischen Verteidigungsbündnis mit etwa Deutschland, Grossbritannien, Italien, Polen und Frankreich beteiligte? Sowohl mit ihren F-35 als auch mit den Leopard-2-Panzern und Luftverteidigungssystemen würde sie einen wertvollen Beitrag zur europäischen Verteidigung leisten können.
Früher oder später wird die Trutzburg fallen
Es wäre vermutlich ein Bruch mit dem Neutralitätsgebot, diese Truppen unter ein Kommando zu stellen, das nicht in der Schweiz und nicht von einem Schweizer geführt würde. Doch was wäre die Alternative? Früher oder später würde die Trutzburg fallen, wenn die äusseren Verteidigungsringe gesprengt sind.
Dann wird es der Schweiz nichts mehr bringen, sich auf ihre Neutralität zu berufen. Schon heute ist zu sehen, dass dieser Status international nicht mehr zieht. Trump und Putin verhandeln über die Ukraine lieber in Riad als in Genf. Die Friedensinitiative auf dem Bürgenstock im vorigen Sommer ist steckengeblieben.
Damals war die Zeit noch nicht reif. Putin hatte nur Verachtung für die Vermittlungsbemühungen eines europäischen Landes übrig. Doch nun zeigt sich, dass selbst Frieden, einst ein Markenzeichen der Schweiz, inzwischen wohl ohne sie gemacht wird. Das ist möglicherweise ein Wetterleuchten am Horizont.