Jörg Reinhardt hat Novartis in zwölf Jahren radikal umgebaut. Aus dem breit aufgestellten Gesundheitskonzern hat er ein reines Pharmaunternehmen geformt. Ausgerechnet an seiner letzten Generalversammlung muss er den hohen Lohn des CEO verteidigen.
Herr Reinhardt, treten Sie mit einem unguten Gefühl zurück? Im grössten Pharmamarkt USA geht es drunter und drüber. Nun will Präsident Donald Trump auch noch Zölle auf Medikamente einführen.
Rhetorik ist das eine, was dann tatsächlich passiert, das andere. Traditionell wurden Pharmaprodukte von Zöllen immer ausgenommen. Das wäre also etwas Neues. Wir verfallen nicht in Panik. Aber natürlich verfolgen wir mit Interesse und Spannung, was da kommt, und bereiten uns auf mögliche Szenarien vor.
Zölle und Produktionsverschiebungen kosten Geld. Stellt sich Novartis 2025 auf finanzielle Belastungen aufgrund der US-Politik ein?
Wir gehen davon aus, dass sich die finanziellen Auswirkungen im Rahmen halten. Für eine abschliessende Beurteilung ist es aber zu früh.
Als Sie vor zwölf Jahren das Präsidium übernahmen, war Novartis ein Gemischtwarenladen, mit je nach Zählweise fünf oder sechs Sparten. Wann war Ihnen klar, dass daraus ein reiner Pharmakonzern werden muss?
Sehr früh! Meine Idee war von Anfang an, Novartis zu fokussieren. Ich hatte zuvor ja schon dreissig Jahre bei dem Unternehmen gearbeitet. In der Zeit habe ich mitbekommen, was es heisst, mit vielen kleinen Geschäften arbeiten zu müssen, die nur einen geringen Gewinnbeitrag leisten, aber viel Geld, Zeit und Managementkapazität kosten.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Heute spricht die Geschäftsleitung nur noch über Pharma. Es gibt keine Diskussionen mehr zum Geschmack eines Hustensirups. Ich war nie ein Verfechter einer Diversifikationsstrategie. Der Konzern soll sich auf das konzentrieren, was er am besten kann: innovative Medikamente entwickeln und vermarkten.
Sind Sie damit nicht einfach einem Branchentrend gefolgt?
Es war eher umgekehrt. Als andere Unternehmen sahen, dass wir uns von der Tiermedizin trennten, taten sie es auch. Dasselbe war bei den nicht rezeptpflichtigen Medikamenten zu beobachten.
Diese Fokussierung war ein kompletter Rückbau der Strategie Ihres Vorgängers Daniel Vasella, der Sie als Präsident zurück zu Novartis geholt hatte. Hat er sich Ihnen gegenüber je dazu geäussert?
Nein. Ich hatte in den zwölf Jahren meiner Präsidentschaft nur wenig Kontakt mit Herrn Vasella. Er hat sich aus dem strategischen und operativen Umfeld von Novartis ganz zurückgezogen.
Dem Wert seiner Aktien hat der Strategiewechsel jedenfalls nicht geschadet.
Ja, er kann zufrieden sein.
Als letztes hat Novartis das Generikageschäft abgespaltet. War es für das Image in der Öffentlichkeit nicht ein Vorteil, mit Sandoz auch einen Anbieter von günstigen Medikamenten im Konzern zu haben?
Das ist die eine Sichtweise. Es ist jedoch schwierig, Originalmedikamente und Generika unter dem gleichen Dach anzubieten, weil man ständig abgelenkt ist. Hinzu kommt, dass es kaum Synergien in Vertrieb und Produktion gibt. Wie gut sich Sandoz auf eigenen Füssen entwickelt, ist offensichtlich – wie übrigens auch der ausgegliederte Augenmedizin-Spezialist Alcon.
Sandoz-Veteran und Swiss-Re-Vizepräsident
dba. Jörg Reinhardt (58) hat nach seinem Doktorat in Pharmazie 1982 bei Sandoz angefangen. Nach der Fusion mit Ciba zu Novartis ist er zum Leiter der Division Impfstoffe und Diagnostika und später zum Chief Operating Officer aufgestiegen. 2010 machte Novartis-Lenker Daniel Vasella nicht ihn sondern Joe Jimenez zum CEO, er holte Reinhardt jedoch 2013 als Präsident zurück nach Basel. Der Saarländer hatte in der Zwischenzeit zu Bayer als Chef der Gesundheitssparte gewechselt. Seit 2017 sitzt Reinhardt im Verwaltungsrat von Swiss Re, seit 2024 als dessen Vizepräsident. An der Novartis-Generalversammlung am Freitag, 7. März, tritt Reinhardt als Präsident ab. Sein designierter Nachfolger ist der italienisch-amerikanische Doppelbürger Giovanni Caforio.
Vergangene Woche hat die Sandoz-Stiftung, die auf die Familie des Firmengründers zurückgeht, einen grossen Teil ihrer historischen Beteiligung an Novartis verkauft. Ein Misstrauensvotum gegenüber der heutigen Führung?
Ich sehe keine anderen Beweggründe als die Absicht der Stiftung, ihre Vermögenswerte zu diversifizieren. Zudem erfolgte die Veräusserung des Aktienpakets auf einem attraktiven Kursniveau. Unser Austausch mit der Stiftung war in den vergangenen Jahren sehr sporadisch.
Ein gutes Händchen hat ihrerseits Novartis bewiesen, als sie Ende 2021 ihr Roche-Aktienpaket vor dem Kurseinbruch verkauft hat. War der Zeitpunkt reiner Zufall?
Ein bisschen Glück gehört immer dazu. Wir hatten über Jahre im Verwaltungsrat diskutiert, ob diese Beteiligung noch sinnvoll ist. Es gab stets Stimmen dafür und dagegen. Ich habe nie eine strategische Komponente bei diesem Investment erkannt. Es war totes Kapital, das man besser verwenden konnte. Als sich der Kurs dann sehr gut entwickelt hat, sind wir auf Roche zugegangen und haben gesagt, dass wir das Paket verkaufen wollen. Innerhalb von ein paar Wochen ging die Sache dann über die Bühne.
Als Novartis noch an Roche beteiligt war, wurde immer wieder spekuliert, die beiden könnten sich zu einem Schweizer Super-Pharmakonzern zusammenschliessen. Wurde das je diskutiert?
Nein. Weder aufseiten der Eigentümerfamilie von Roche noch bei uns gab es daran ein Interesse.
Beide Konzerne sind mächtiger Konkurrenz vor allem aus den USA ausgesetzt. Haben sie weiterhin die kritische Grösse, um eigenständig erfolgreich sein?
Aus heutiger Sicht ja. Was in zwanzig Jahren sein wird, weiss niemand. Es passiert so viel, gerade jetzt. Manches sieht ja ganz anders aus als noch vor wenigen Jahren.
Welches war der schwierigste Moment in Ihrer Zeit als Präsident?
Ein Knackpunkt war sicher, als wir Anfang 2016 überraschend eine schlechte Leistung der Augenheil-Tochter Alcon bekanntgeben mussten und der Aktienkurs stark nachgab. Das hat uns völlig unvorbereitet getroffen und uns klargemacht, dass wir wohl nicht der richtige Eigentümer waren. Es war ein Weckruf.
Vor allem zu Beginn Ihrer Präsidentschaft machte Novartis immer wieder Schlagzeilen wegen der Bestechung von Ärzten. Es wurden millionenschwere Bussen fällig. Können Sie diesbezüglich mit einem guten Gewissen in den Ruhestand treten?
Das waren Altlasten, die dann konsequent bereinigt wurden. Wir haben viel in Risikomanagement und Compliance investiert. Das hat sich ausbezahlt. In den letzten Jahren gab es keine grösseren Vorkommnisse dieser Art mehr.
Welches war für Sie aus medizinischer Sicht der grösste Fortschritt, der Novartis in den vergangenen Jahren gelungen ist?
Novartis hat schon immer frühzeitig in Zukunftstechnologien investiert. Zum Beispiel in Zell-, Gen- und Radioligandentherapien. Auch wenn nicht alle Produkte sogleich zu einem 10-Milliarden-Kassenschlager werden, haben wir dadurch frühzeitig wertvolle Erfahrung sammeln können. Mittlerweile entwickeln wir die ersten Nachfolgeprodukte. Radioligandentherapie erlaubt zum Beispiel eine zielgenaue Bestrahlung bei Prostatakrebs, aber es gibt noch viele andere Anwendungen.
Ein Vorteil solcher hochmoderner Technologien ist auch, dass sie schwierig zu kopieren sind. Zugleich kostet beispielsweise die Novartis-Gentherapie Zolgensma über 2 Millionen Dollar pro Anwendung. Ist das nicht viel zu viel?
Sie müssen berücksichtigen, was die Alternativen kosten. Wenn ein solcher Patient lebenslang eine Medizin einnimmt und behandelt werden muss, ist das viel teurer. Gentherapien wie Zolgensma müssen nur einmal injiziert werden. Damit ist es erledigt.
Ein wichtiger Entscheid war 2018 die Einsetzung von Vas Narasimhan zum Konzernchef. Wann war der Moment, in dem Sie das erste Mal dachten, dass er das Zeug zum CEO hat?
Genau kann ich das nicht sagen, aber es war schon deutlich vorher klar, dass er Potenzial hat. Er ist ein hervorragender Mediziner und einer der intelligentesten Menschen, die ich kenne. Als wir beide noch in der Impfstoffsparte arbeiteten, gab es zum Beispiel eine Vertragsverhandlung, die sich über Monate nicht bewegt hat. Da sagte ich: «Vas, schau du mal» – und in anderthalb Wochen war die Sache erledigt. Das war ein Schlüsselmoment.
Trotzdem hätten Sie aber auch interne Alternativen gehabt.
Als es dann zur Entscheidung kam, hatten wir mit Paul Hudson noch einen zweiten Kandidaten. Der Verwaltungsrat hat sich den Entscheid nicht leichtgemacht. Paul wurde dann später CEO von Sanofi.
Offenbar gab es vor ein paar Jahren eine Phase, in welcher der Stuhl des CEO wackelte.
In jeder guten Beziehung muss man sich zwischendurch einmal zusammenraufen. Vas war ein junger Mann, als er mit 42 CEO wurde. Er hat eine frische Perspektive in die Firma gebracht, die uns gutgetan hat. Er war früh auf Social Media sehr aktiv und hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Das zeigen die guten Resultate der letzten zwei Jahre.
Vas Narasimhan wollte die Hierarchien aus der alten Novartis-Kultur einebnen. Stichwort «unbossed». Hat sich Novartis tatsächlich verändert?
Ein Kulturwandel braucht viel Zeit. Doch wir haben uns weiterentwickelt und sind offener geworden, das sieht man am Campus in Basel, der öffentlich zugänglich ist. Wir schotten uns nicht mehr ab. Aber da ist immer noch etwas zu tun.
Bei der Vergütungspolitik fühlt man sich in alte Zeiten zurückversetzt. Mit 19 Millionen Franken haben Sie Ihren Konzernchef 2024 grosszügig entlöhnt.
Wir haben ein sehr stark leistungsorientiertes Lohnsystem. Das Zielgehalt liegt schon seit Jahren bei rund 12 Millionen. Der effektive Lohn hängt von der Performance des Unternehmens ab und kann auch tiefer sein. 2022 waren es etwa 8 Millionen Franken.
Wie kommt man von da auf 16 oder jetzt 19 Millionen?
Ein grosser Teil der Vergütung orientiert sich am Wachstum, das wir jeweils für drei Jahre im Voraus erwarten. Weil wir in der Pandemie 2021 und 2022 eine schwierige Zeit hatten, waren unsere Ziele für die folgenden Jahre relativ moderat. Sie wurden nun 2023 und 2024 massiv übertroffen, was zu den sehr hohen Auszahlungen geführt hat.
Es war also ein Ausreisser.
Ich möchte damit sagen, dass die Vergütung nicht zwingend auf diesem Niveau bleibt. Wir bemühen uns, beim Lohn irgendwo zwischen den USA und Europa zu liegen. In Europa steht Novartis im oberen Drittel, in den USA ganz im unteren Bereich.
Herr Narasimhan ist nun schon sieben Jahre im Amt. Kommt nach Ihrem Rücktritt bald ein CEO-Wechsel?
Nein, da wird sich in absehbarer Zeit nichts ändern. Das wird wohl erst mittelfristig ein Thema.
Wenn Sie an die Weiterentwicklung des Konzerns denken: Wäre die fokussierte Novartis bereit für eine grosse Übernahme? Ihr designierter Nachfolger, Giovanni Caforio, der ehemalige CEO von Bristol-Myers Squibb, hätte hier viel Erfahrung.
Eine grosse Akquisition ist unwahrscheinlich. Hingegen wird es immer wieder Zukäufe im einstelligen Milliardenbereich geben. Diese Strategie wurde vom Verwaltungsrat langfristig festgelegt und bleibt so. Das ändert sich auch mit Giovanni nicht.
Auch kleinere Zukäufe können riskant sein. Bei der deutschen Biotechfirma Morphosys mussten Sie wenig später einen grossen Teil des Verkaufspreises wieder abschreiben. Hat Novartis da aufgrund der langjährigen Verbandelung mit der Firma zu wenig gut hingeschaut?
Nein. Es ging um ein bestimmtes Medikament, das leider die Erwartungen nicht erfüllt hat. Zukäufe in der Pharmabranche haben eben immer ein hohes Risiko, weil es meist Produkte sind, die sich noch nicht bewiesen haben.
Wenn es nicht sein Know-how bezüglich Übernahmen war: Was hat dann den Ausschlag für Herrn Caforio gegeben?
Wir wollten jemanden mit langjähriger Führungserfahrung in der Pharmabranche, der den amerikanischen Markt versteht. Heute sind wir dort nur auf Rang neun oder zehn. Um wirklich mitspielen zu können, muss man zu den führenden Anbietern gehören. Es war uns aber wichtig, dass die Person auch starke europäische Wurzeln hat und das Geschäft in Europa ebenso kennt. Solche Manager gibt es nicht viele. Giovanni wird seinen Wohnsitz künftig in Basel und in Italien haben.
Reicht das, um die starke Verankerung von Novartis am Standort Schweiz zu sichern?
Wir fühlen uns nach wie vor stark mit der Schweiz verbunden und investieren hier. Eben haben wir auf dem Campus für etwa 100 Millionen Franken ein neues Chemiegebäude erstellt. Demnächst kommt noch ein Biotechnologie-Entwicklungsgebäude dazu, das sind nochmals gegen 300 Millionen Franken. Basel ist ein wunderbarer Hub, es gibt keinen Grund, daran etwas zu ändern.
Aber im Prinzip ist der Campus fertig gebaut, oder?
Es ist schon so: Wir brauchen längst nicht so viel Platz wie ursprünglich erwartet. Bei Baubeginn des Campus Mitte der 1990er Jahre ist Novartis davon ausgegangen, dass einst bis zu 30 000 Menschen hier arbeiten. Heute sind es rund 7000, von ihnen 5000 in der Forschung. Nun ist Novartis zwar schon gewachsen, aber eben nicht nur in Basel. Administrative Tätigkeiten und weitere Supportfunktionen sind heute in Hyderabad, Kuala Lumpur, Prag, Dublin oder in Mexiko angesiedelt. Hier am Rheinknie haben wir uns auf Hauptsitzfunktionen sowie Forschung und Entwicklung fokussiert.
Werden Sie eigentlich nach Ihrem Rücktritt Ehrenpräsident von Novartis, oder ist dieser Titel weiterhin von Herrn Vasella besetzt?
Ich nehme an, dass diese Bezeichnung mit Herrn Vasella verbunden bleibt. Es gibt dazu keine Regularien. Wir werden diesen Titel nicht mehr weiter vergeben. Er existiert nur auf dem Papier und bringt keinerlei Privilegien mit sich. Das ist nicht mehr zeitgemäss.