Ein 28-jähriger Chinese soll mehr als fünfzig junge Frauen betäubt, vergewaltigt und die Taten gefilmt haben. Nach einer ersten Verurteilung sucht die britische Polizei nun nach weiteren Opfern, die sich wohl gar nicht an die Gewalttaten erinnern.
Ein grausamer Kriminalfall schreckt Grossbritannien auf: Ein 28-jähriger chinesischer Doktorand ist diese Woche in London wegen der Vergewaltigung von zehn jungen Frauen schuldig gesprochen worden. Allerdings scheinen diese Fälle nur die Spitze des Eisbergs darzustellen: Die Polizei geht davon aus, dass der Mann zwischen 2019 und 2024 mindestens fünfzig weitere Opfer mit Drogen betäubt und vergewaltigt hat.
«Es handelt sich um den schlimmsten Sexualstraftäter der jüngeren Geschichte», erklärte der Kommandant Kevin Southworth von der Metropolitan Police in London. Das Ausmass der Straftaten, aber auch die Hinterlist und die kriminelle Energie des Täters bezeichnete Southworth als «präzedenzlos».
«Der Albtraum einer jeden Frau»
Gegen aussen führte der Serienvergewaltiger ein unauffälliges Leben. Der junge Mann stammt aus einer wohlhabenden chinesischen Familie, sein Vater soll ein Funktionär der Kommunistischen Partei sein. Er studierte zuerst in Belfast, bevor er 2019 nach London übersiedelte und nach dem Abschluss des Studiums ein Doktorat als Maschineningenieur aufnahm. Er lebte in London in teuren Wohnungen, die ihm seine Eltern finanzierten.
Die Staatsanwältin erklärte beim vierwöchigen Prozess vor dem Inner London Crown Court, der Doktorand sei als respektvoller Gentleman aufgetreten. «Aber er war ein Wolf im Schafspelz und der Albtraum einer jeden Frau.»
Über Dating-Portale machte er Bekanntschaft mit jungen Frauen meist chinesischer Abstammung. Er lockte sie in seine Wohnung unter dem Vorwand, gemeinsam für Prüfungen zu lernen. Dann servierte er ihnen mit Partydrogen versehene Getränke. Nachdem sie das Bewusstsein verloren hatten oder so schwer betäubt waren, dass sie sich nicht wehren konnten, vergewaltigte er sie.
Auf den jungen Mann aufmerksam wurde die Polizei Ende 2023, als sich ein Opfer bei den Ordnungshütern meldete. Bei der Hausdurchsuchung fanden die Polizisten ein Arsenal von Partydrogen und Betäubungsmitteln sowie eine Kiste mit «Souvenirs» seiner Opfer – von Socken über Haarspangen bis zu Schlüsselanhängern.
«Wehre dich nicht, es bringt nichts»
Erst als die Polizisten das Mobiltelefon und den Computer des Doktoranden untersuchten, wurde das Ausmass seiner Verbrechen deutlich. Da er die meisten seiner Vergewaltigungen mit versteckten Kameras oder dem Handy gefilmt hatte, um sie später wieder anzuschauen, verfügten die Ermittler über umfassendes Beweismaterial, das bei Sexualstraftaten oft fehlt.
Insgesamt fand die Polizei 58 Videos von Vergewaltigungen. Gut die Hälfte davon wurde in Grossbritannien aufgenommen, den Rest der Vergewaltigungen scheint der Mann in China verübt zu haben. Die britische Polizei arbeitete bei den Ermittlungen mit den chinesischen Behörden zusammen.
Die Staatsanwaltschaft entschied sich, dem Mann in einem ersten Schritt bloss wegen zehn Vergewaltigungen den Prozess zu machen. Es handelte sich um Fälle, in denen die Beweislage klar war. Denn der Doktorand gab an, dass die Videos einvernehmliche Rollenspiele zeigten.
Beim Prozess in London mussten sich die Geschworenen stundenlang verstörende Szenen ansehen. In einem der Videos versuchte sich eine junge Frau zu wehren, und sie bat den Täter, sie zu verschonen. «Wehre dich nicht, es bringt nichts», antwortete er. «Die Isolation hier ist sehr gut.»
Vergleiche mit Fall Pelicot
Aussergewöhnlich am Fall ist, dass die Polizei bisher nur zwei der Opfer identifizieren konnte. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Doktorand insgesamt rund hundert Frauen vergewaltigt haben könnte. Ein potenzielles weiteres Opfer meldete sich bereits aufgrund der Berichterstattung zum Prozess. Und die Polizei hofft, dass sie nun von weiteren jungen Frauen kontaktiert werden wird.
«Wir glauben, dass manchen Frauen gar nicht bewusst gewesen sein dürfte, dass sie Opfer einer Vergewaltigung geworden sind», erklärte der Polizeikommandant Southworth. Umso verstörender müsse es für die Betroffenen nun sein, in den Medien die Details über den Täter und sein Vorgehen zu erfahren.
Manche britische Medien zogen Vergleiche zum Fall Pelicot in Frankreich. Dominique Pelicot vergewaltigte seine Ehefrau jahrelang und liess sie von fremden Männern missbrauchen, nachdem er sie mit Drogen betäubt hatte. Gisèle Pelicot war sich der Schändungen lange nicht bewusst gewesen, bis der Fall wegen Videoaufnahmen ihres Mannes aufflog.
Laut der Londoner Staatsanwältin liess sich der chinesische Doktorand von ähnlichen Phantasien leiten wie Pelicot: «Es erregte ihn, mit einer schlafenden Frau Sex zu haben, und er war angezogen von der Idee von Vergewaltigungen.» Ob der junge Mann auch noch wegen weiterer Sexualstraftaten belangt werden wird, ist offen. Doch nach dem Schuldspruch wegen zehn Vergewaltigungen droht ihm ohnehin eine langjährige Haftstrafe, wenn das Gericht im Juni das Strafmass verkündet.