Politische Spannungen eskalieren in jener Zeit immer wieder. Ein zentraler Schauplatz: die Casa d’Italia in Aussersihl, die jüngst wieder in die Schlagzeilen geraten ist.
Am späten Abend des 12. April 1932 dringen Unbekannte in den Rohbau der Casa d’Italia in Zürich Aussersihl ein. Sie haben eine grosse Menge Sprengstoff dabei – und wollen die Baustelle an der Erismannstrasse 6 damit in die Luft jagen.
Kurz nach 22 Uhr schreckt die ohrenbetäubende Explosion die Stadt auf. Der Knall ist so laut, dass man ihn angeblich auch auf der Uraniabrücke, am Central und sogar im weit entfernten Seefeld hören kann. Bei der Stadtpolizei gehen zahlreiche Meldungen von besorgten Bürgern ein.
Wer die Bombe gebaut und den Anschlag verübt hat, bleibt unklar. Die Presse hat tags darauf aber schon eine plausible These: Es habe sich um Sozialisten gehandelt. Diesen war die Casa d’Italia ein Dorn im Auge. Damals gab es einen Plan, dass das Haus der Sitz des Zürcher Ablegers der italienischen Faschisten unter Benito Mussolini werden sollte – mitten im rot geprägten Arbeiterquartier von Zürich.
2025 steht die Casa d’Italia noch immer – und gerät neuerlich in die Schlagzeilen.
Weil eine deutsche Investmentfirma seit geraumer Zeit auf Geld wartet, das der italienische Staat ihr schuldet, musste sich kürzlich ein Gericht in Genf mit dem Gebäude befassen. Die NZZ berichtete. Und das Gericht beschied: Das Gebäude im Besitz des italienischen Staates wird gepfändet.
Die neusten Streitigkeiten um die Casa d’Italia sind zwar deutlich weniger brisant als die Geschehnisse im April 1932. Sie passen aber gut zu seiner ereignisreichen Geschichte, in der der Bombenanschlag jener Frühlingsnacht nur eines von vielen Kapiteln ist.
Aussersihl wird zur sozialistischen Hochburg
Mit der Entstehung des Gebäudes hat es eine besondere Bewandtnis. Nach der Eingemeindung 1893 erlebt Aussersihl einen enormen Aufschwung. Es werden Gleise für die Eisenbahn verlegt, damit die florierende Industrie ihre Erzeugnisse in alle Landesteile spedieren kann. Neben den Umschlagplätzen entstehen Gaswerke, Schlachthöfe und sogar Kiesgruben.
Kanalisation und Wasserversorgung bleiben dagegen lange Zeit unterentwickelt. Abfälle werden irgendwo deponiert oder in die Limmat geleitet. Der Gestank nach Exkrementen und Tod ist bestialisch, hinzu kommt der immerwährende Lärm der Industriebetriebe.
Hier ist die Unterschicht von Zürich zu Hause. Zu ihr gehören auch einige tausend italienische Arbeiter. Sie sind vor allem als Maurer oder Handlanger tätig, leben unter prekären Bedingungen in Mansarden oder Massenunterkünften – und politisieren sich angesichts ihrer Lebensverhältnisse.
Im Vorfeld des Ersten Weltkriegs pflegt die Schweiz zudem eine tolerante Migrationspolitik und bietet zahlreichen politischen Flüchtlingen Schutz. So kommen Sozialisten wie Fernando Schiavetti nach Zürich. Oder der spätere Diktator Benito Mussolini.
Dieser reist mehrere Male in die Schweiz und tritt am 1. Mai 1913 sogar als Redner in Zürich auf. Auf der Allmend in Wiedikon spricht er über die belgische Generalstreik-Bewegung und die europäische Diplomatie. Mussolini ist in jenen Jahren noch ein überzeugter Linker und amtet als Chefredaktor der italienischen sozialistischen Parteizeitung «Avanti!».
Ein Haus im Dienst der faschistischen Idee
Doch nach dem Ersten Weltkrieg ändert sich alles. 1925 wird Mussolini faschistischer Diktator in Italien. Und seine Zürcher Freunde versuchen sogleich, Kapital aus ihren Beziehungen zum selbsternannten «Duce» zu schlagen.
Vittorio Bianchi ist ab 1926 italienischer Generalkonsul für Zürich. Er hat Ideen, wie das Elend der Italiener in Zürich gelindert und die Übermacht der Sozialisten gebrochen werden könnte. Kaum ist er im Amt vereidigt, schickt er deshalb Briefe nach Rom.
Er schlägt Mussolini vor, in Zürich ein grosses Haus zu errichten, in dem die Italiener sich versammeln, Sport treiben, sich weiterbilden und austauschen können. Ausserdem soll das Gebäude eine italienische Schule, ein Waisenhaus und einen Kindergarten beherbergen.
Bianchi glaubt, dass er die italienischstämmigen Arbeiter nach und nach für die Sache der Faschisten gewinnen kann, wenn diese regelmässig in seinem neuen, strahlend sauberen «Haus der Italiener» ein und aus gehen. Ein Plan, der nach langwierigen Verhandlungen per Brief auch Mussolini überzeugt.
An der Stelle, wo schon das Waisenhaus für italienische Kriegsflüchtlinge steht, erwirbt das italienische Konsulat zusätzliches Bauland. Man engagiert den Architekten Otto Gschwind, der Wohnhäuser für die Genossenschaften Vrenelisgärtli und Oberstrass gebaut hat. 1932 soll der Bau an der Erismannstrasse eröffnet werden.
Nach der Besprechung fallen Schüsse
An den Bauplänen ändert auch eine Gewalttat nichts mehr, die Zürich international in die Schlagzeilen bringt: Am Vormittag des 27. Januar 1931 wird der Generalkonsul Bianchi Opfer eines blutigen Attentats.
Bianchi hat gegen halb zwölf eine Besprechung mit einem gewissen Lino Bassi. Dieser war ursprünglich Polizist in Italien, nun arbeitet er im Zürcher Baugewerbe. Er hat bereits mehrere Male im italienischen Konsulat am Hirschengraben vorgesprochen, weil er glaubt, dass ihm eine Invalidenrente von monatlich 100 Franken zusteht. Während seines Polizeidienstes in Italien fing er sich ein Nierenleiden ein.
Doch der Generalkonsul Bianchi setzt ihm auch bei diesem neuerlichen Besuch auseinander, dass der Antrag aussichtslos sei. Bassi will sich dafür sogleich rächen und zückt seinen Revolver.
Bassi schiesst drei Mal auf den Generalkonsul. Die vierte Kugel klemmt im Revolver, worauf Bassi die Flucht ergreift. Bianchi bleibt mit Verletzungen an der Lunge, am Magen und an der Hand in seinem Besprechungszimmer zurück. Sein Zustand ist kritisch, er muss sofort operiert werden.
Der Attentäter wird wenig später verhaftet. Bei der ersten Einvernahme gibt er zu Protokoll, dass er sich als Antifaschist auf dem Konsulat weniger gut behandelt fühle als jene, die sich zur faschistischen Partei bekennen würden. Er betont aber, dass seine Tat nicht politisch motiviert gewesen sei.
Ansprachen, Anspannungen
Obwohl er politische Motive auch vor Gericht verneint, markiert Bassis Tat den Beginn einer ganzen Serie von Gewalttaten im italienischen Arbeitermilieu.
Beim Bombenanschlag auf den Rohbau der Casa d’Italia vom 12. April 1932 stürzt eine Hauswand ein, etliche Fenster gehen in die Brüche. Sogar in benachbarten Häusern klirren die Scheiben. Personen werden keine verletzt – die Familie des Hauswarts Giovanni Carrara, die schon im Dachgeschoss eingezogen ist, kommt mit dem Schrecken davon.
Künftig werden die Casa d’Italia und das italienische Konsulat am Hirschengraben Tag und Nacht bewacht. Die Spannungen zwischen regimetreuen Funktionären und sozialistischen Arbeitern eskalieren trotzdem immer weiter.
Am 21. April 1932, einem offiziellen Festtag der Faschisten, lädt der inzwischen einigermassen genesene Generalkonsul Bianchi zur exklusiven Vorbesichtigung der Casa d’Italia. In Flugblättern rufen auch Sozialisten ihre Kameraden zur Versammlung auf. Hunderte von ihnen tummeln sich ab halb acht Uhr abends in der Erismannstrasse.
Zunächst gibt es Ansprachen. Mit der Zeit wird die Menge aber aggressiv, wie die NZZ tags darauf berichtet. Die Polizei fordert Verstärkung an und versucht, den Pulk mit Gewalt auseinanderzutreiben.
«Hauet sie z tot, die Hünd!»
Noch in der Erismannstrasse kommt es zu ersten Handgemengen. Sozialistische Demonstranten werfen Pflastersteine in Richtung der Einsatzkräfte.
Bei der Bäckeranlage gehen die Scharmützel in einen eigentlichen Strassenkampf über. Zwei Detektive der Kantonspolizei greifen zur Waffe und schiessen auf ihre Angreifer. «Die Kugeln pfiffen durch die Nacht, erschreckte Leute rasten panikartig durch die Strasse», berichtet der NZZ-Reporter.
An der Kreuzung Brauerstrasse/Langstrasse ringen Unbekannte die beiden fliehenden Polizisten nieder. Die Menge schreit: «Hauet sie z tot, die Hünd!», woraufhin die Uniformierten mit Pflastersteinen traktiert werden.
Erst als ein weiterer Trupp von Stadtpolizisten anrückt, lassen die Verfolger von den Polizisten ab, die blutüberströmt und schwer verletzt liegen bleiben.
Im Oktober 1932 verüben Unbekannte einen Brandanschlag auf das italienische Konsulat am Hirschengraben. Die Tatwaffe ist eine mit Petrol gefüllte Chiantiflasche, ein Aktenschrank voller Pässe wird vernichtet. Der Sachschaden wird auf 2000 Franken geschätzt.
472 Franken für eine sozialistische Schule
Als die Casa d’Italia am 6. November 1932 schliesslich eröffnet wird, geschieht dies ohne grosses Zeremoniell. Jedenfalls finden sich in den Zeitungen keine Berichte darüber. Möglicherweise verzichtet man aus Angst vor weiteren Ausschreitungen auf Festlichkeiten.
Im Jahr darauf genehmigt der Zürcher Regierungsrat die Eröffnung der italienischsprachigen Schule. Dass die Kinder dort dazu angehalten werden, dem «Duce» ihre Treue bis in den Tod zu schwören, passt den noch immer links geprägten italienischen Einwanderern aber nicht. Sie schicken ihre Kinder lieber zum antifaschistischen Fernando Schiavetti, der die sozialistische Scuola libera italiana di emancipazione proletaria leitete.
Diese verzeichnet bald vier Mal so viele Schülerinnen und Schüler wie die offizielle Schule in der Casa d’Italia und bekommt vom sozialdemokratischen Stadtpräsidenten Emil Klöti 472 Franken, um Räume im Schulhaus Kanzlei anzumieten.
Gleichwohl wird die Casa d’Italia 1936 ein erstes Mal erweitert. Links und rechts des Eingangsportals prangen fortan steinerne Liktorenbündel, Symbole des italienischen Faschismus. 1940 folgt die zweite Erweiterung, mit der das Gebäude seine heutige massive Ausstrahlung erhält.
Als die Nonnen rar werden
Nach dem Krieg gehen die Schlüssel zur Casa d’Italia an die Colonia Libera über; eine vormals sozialistische Italiener-Organisation. Das Gebäude bleibt ein wichtiges Zentrum für die italienische Diaspora in Zürich. Generationen von Kindern gehen hier bis 2008 bei Nonnen zur Schule.
Als keine Ordensschwestern mehr in den Lehrdienst treten wollen, übernehmen für kurze Zeit weltliche Lehrer.
Seit 2017 steht das Gebäude leer. Nun wird es instand gesetzt. 2026 will das italienische Konsulat hier einziehen. Doch zunächst müssen die Gerichte klären, ob die Casa d’Italia gepfändet wird, um die Schulden des italienischen Staates zu tilgen.
Tindaro Gatani: «La Casa d’Italia di Zurigo». Camera di Commercio Italiana per la Svizzera, 2016.