Eine kompromisslose Physikerin, eine ungezogene Sängerin und ein Vorbild für die Wirtschaft: Zum Weltfrauentag 2025 erzählen wir von Frauen, die uns inspirieren.
Tara-Louise Wittwer ist eine Zumutung
nad. Tara-Louise Wittwer ist deutsche Bestsellerautorin und Influencerin. Vor allem aber ist sie für viele eine Zumutung. Eine wandelnde Frechheit. In ihren «Spiegel»-Kolumnen und kurzen Videos in den sozialen Netzwerken kritisiert sie gesellschaftliche Phänomene, Stereotype und Verhaltensweisen, die einer Gleichstellung der Geschlechter im Weg stehen.
Das Schema Wittwer geht so: anprangern – erklären – angriffige bis boshafte Pointe. Ein Mann sagte in einer Talkshow, sie «triggere» ihn ganz furchtbar. Dabei hat Wittwer einst, wie viele Frauen und Mädchen, gelernt: Kompromiss statt Kritik, Beschwichtigung statt Angriff. Heute dagegen steht sie für sich und ihre Meinung ein – und wird von vielen dafür gefeiert, nicht mehr allen gefallen zu wollen. Genau das sollten besonders Frauen sich öfter zumuten.
Irma Frei ist das Gesicht der Zwangsarbeiterinnen
bai. Irma Frei hat sich ihre Heiterkeit bewahrt, obwohl sie viel erdulden musste. Sie wächst bei einer Pflegefamilie und in einer Erziehungsanstalt auf. In den 1950er Jahren muss sie in der Spinnerei des Industriellen Emil Georg Bührle im Toggenburg Zwangsarbeit verrichten. Bührle verkauft im Zweiten Weltkrieg Rüstungsgüter an die Nazis. Über die Zwangsarbeiterinnen sagt Frei: «Unser Schicksal war, dass wir aus sozial schwachen Verhältnissen kamen.» Tausende wurden wie sie von den Behörden «administrativ versorgt».
Mit zwanzig wird Frei aus der Spinnerei in die Freiheit entlassen, ohne Lohn. Sie will beweisen, dass sie etwas kann. Sie arbeitet sich zur Filialleiterin in einem Modehaus an der Zürcher Bahnhofstrasse hoch. Über das Erlebte schweigt sie.
Dann, sie ist achtzig Jahre alt, geht sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit. Sie wird zum Gesicht der Zwangsarbeiterinnen und sagt: «Ich gebe keine Ruhe, bis uns die Behörden entschädigen.» Dank ihrem Engagement sollen die administrativ Versorgten aus Schaffhausen nun 25 000 Franken erhalten. Doch laut Frei ist noch kein Geld ausgezahlt worden. «Ich finde das traurig für die alten Leute, die seit zwei Jahren vertröstet werden.» Irma Frei bleibt dran.
Zaho de Sagazan ist ein Gefühlsausbruch
lwa. Niemand rollt das «R» schöner als Zaho de Sagazan. Niemand singt so wütend über Traurigkeit wie Zaho de Sagazan. Niemand spricht so unmittelbar aus unseren Herzen wie Zaho de Sagazan.
2023 war die französische Musikerin mit dem Album «symphonie des éclairs» plötzlich da, und Frankreich war schockverliebt. Sie sei «comme un éclair», schrieben die Medien. Und endlich ist die Zaho-Welle auch zu uns übergeschwappt.
Zaho de Sagazan Mélusine Le Moniès ist erst 25 Jahre alt, aber wenn sie singt, knistert es. Ihr Auftritt ist roh und direkt, ihre Stimme tief und dunkel. Als Kind nannte man sie «petite tempête», wegen ihrer Gefühlsausbrüche. Heute fliessen ihre überbordenden Gefühle in Musik, vielleicht klingen ihre Songs deshalb wie eine musikalische Katharsis. Wer «Tristesse» hört, spürt, wie sie Traurigkeit in Wut verwandelt. Zaho de Sagazan zeigt, welche Kraft entstehen kann, wenn Gefühle ausbrechen dürfen. Magique!
Megan Rapinoe ist eine Umarmung
bko. Megan Rapinoe lehrt uns, dem Hass mit Liebe zu begegnen. Nichts symbolisiert das besser als die kultig gewordene Geste von Rapinoe im WM-Final 2019. Damals schoss sie das vorentscheidende Tor zum Titelgewinn des US-Teams, beim Jubeln streckte sie beide Arme aus und umfing die Luft.
Die Geste war an Donald Trump gerichtet. Rapinoe hatte zuvor getweetet, sie werde die Einladung ins Weisse Haus im Falle eines WM-Triumphs ablehnen. Woraufhin der US-Präsident polterte: «Megan soll erst mal gewinnen, bevor sie sich den Mund zerreisst!» Rapinoe holte den WM-Titel; Trumps Verachtung umarmte sie weg.
Zur Ikone wurde die Pionierin des Frauenfussballs, weil sie zeit ihrer Karriere gesellschaftliche Missstände bekämpfte. 2016 war sie die erste weisse Sportlerin, die sich während der amerikanischen Hymne aus Protest gegen rassistische Polizeigewalt schweigend niederkniete. Mit den US-Frauen erstritt Rapinoe Lohngleichheit und setzte die Absetzung eines frauenfeindlichen Verbandschefs durch.
Megan Rapinoe, die Kickerin mit der pinkfarbenen Tolle, steht für gelebten Respekt, der sich Erniedrigung und Benachteiligung nicht länger gefallen lässt.
Olivia El Sayed ist Alltagspoesie
obe. Olivia El Sayed kann wunderbar vom Chaos erzählen. Davon, wie unkoordiniert, dreckig, unperfekt vieles ist. Wie wohltuend! Sie kommt aus Winterthur, ist Autorin, Spoken-Word-Künstlerin und Mutter zweier Kinder. In Texten, auf Bühnen oder auf Social Media schildert sie Szenen aus ihrem Leben und spricht über Banalitäten, über den Durchschnitt. Sie macht das auf eine Weise, die süchtig macht.
Auf Instagram teilt sie täglich Eindrücke und spielt mit der Sprache des Alltags. Sie schreibt da: «Rede und schreibe als Beruf und gebe das Geld für Konzerte und Stützstrümpfe wieder aus. Sonst räume ich bitz auf, liebe das Leben und gaffe TV.» In einer wunderbaren Mischung aus Hochdeutsch, Schweizerdeutsch und etwas Poesie dokumentiert sie verpasste Termine, verlorene Koffer, familiäre Missverständnisse. Dabei geht es auch ums Muttersein. Wie passen Kinder und Kunst, kreative Arbeit und Familienleben in einen Tag? Olivia El Sayed thematisiert auf heitere Weise so ein hochaktuelles politisches Thema: die Vereinbarkeit von Karriere und Familie.
Gisèle Pelicot ist mutig
mco. Gisèle Pelicot zeigt unglaubliche Stärke. Während zehn Jahren verkauft Gisèle Pelicots Ehemann ihren Körper über das Internet für sexuelle Handlungen. Immer wieder betäubt er sie, vergewaltigt sie und fertigt Videoaufnahmen von den Taten an. Doch als Gisèle Pelicot bewusst wird, dass sie hundertfaches Missbrauchsopfer geworden ist, will sie sie nicht dafür schämen.
Sie bringt ihren Mann vor Gericht und setzt sich dafür ein, dass die Verhandlungen öffentlich stattfinden – und dass die Videos von den Taten gezeigt werden. Gisèle Pelicot macht geltend, dass das, was ihr angetan wurde, sie weder «beschmutzt» noch herabwürdigt. Im Gegenteil, Pelicot sagt: Die Scham müsse «die Seite wechseln». Die Männer seien es, die sich schämen müssten. Damit stösst Gisèle Pelicot die #MeToo-Debatte neu an. Ihre Kraft ermutigt Frauen auf der ganzen Welt, sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren.
Ricarda Demarmels ist die grosse Ausnahme
nel. Als Ricarda Demarmels 2019 zur Finanzchefin von Emmi ernannt wurde, war das doppelt ungewöhnlich: weil Finanzchefinnen bei grossen Schweizer Unternehmen nach wie vor selten sind. Und weil Demarmels zu diesem Zeitpunkt schwanger war. Doch das war noch nicht alles. Im Jahr 2023 wurde sie von der Finanzchefin zur CEO – als Mutter von zwei Kindern und Erste in der 120-jährigen Firmengeschichte. Heute sagt sie: «Wenn eine Frau einmal eine Weile weg ist, spielt das wirklich keine Rolle.»
Demarmels setzt sich für eine wertschätzende Firmenkultur ein, Mitarbeiter sollen sich gefördert fühlen und gerne zur Arbeit kommen. Sie bildet den Gegenpol zu Chefs wie Mark Zuckerberg, der jüngst eine Rückkehr der «Männlichkeit» in der Unternehmenswelt forderte. Und das, wo weltweit nur acht Prozent der CEO Frauen sind. Emmi scheint mehr Männlichkeit nicht nötig zu haben: Der Aktienkurs hat seit Anfang des Jahres um dreizehn Prozent zugelegt.
Charli XCX ist ungezogen
glu. Die britische Sängerin Charli XCX lehrt uns die Unbeschwertheit – trotz allem. Ihr Album «Brat» war der Soundtrack des vergangenen Sommers. Eine «Brat», zu Deutsch «Göre», ist laut, ehrlich, unverblümt. Sie trotzt der Erwartung, perfekt zu sein. Das knallige Giftgrün des Album-Covers wurde zur Trendfarbe, im Internet feierte man das «Brat»-Lebensgefühl. Sogar die ehemalige US-Präsidentschaftskandidatin machte mit und machte «Brat» zu einem ihrer Wahlkampfslogans.
Charli XCX überzeugt auch musikalisch. An den Brit Awards, die vergangene Woche verliehen wurden, räumte sie gleich fünf Preise ab – darunter die Auszeichnung als beste Künstlerin und für das Album des Jahres. Charli XCX ermutigt Frauen, selbstbestimmt zu leben und ihre Unvollkommenheit nicht nur anzunehmen, sondern sie zu zelebrieren.
Encieh Erfani ist kompromisslos
ful. Encieh Erfani liebte schon als Kind die Sterne, später wurde sie Physikerin. Sie wuchs in Iran auf, durch das Studium kam sie um die Welt, auch nach Deutschland. Doch sie kehrte zurück, um als Physikprofessorin ihre Heimat weiterzubringen.
Im September 2022 wurde die 22-jährige Iranerin Mahsa Amini festgenommen und von der Polizei getötet, weil sie kein Kopftuch trug. Tausende Frauen in Iran gingen gegen das frauenfeindliche Regime auf die Strasse. Erfani, die selbst den Hijab abgelegt hatte, konnte nicht still zuschauen. Ihre Kündigungs-Mail adressierte sie an alle Kollegen: «Solange diese ins Blut meiner Mitbürger getränkte Regierung besteht, trete ich von meinem Amt als Dozentin zurück. In der Hoffnung auf Freiheit.» Jemand postete den Text auf Twitter, der Beitrag ging viral. Seitdem lebt Erfani im Exil – derzeit in Kanada. In Iran würden ihr Gefängnis oder Hinrichtung drohen.
Erfani hat Heimweh, sie kämpft mit Visa-Hürden. Aus dem Ausland setzt sie sich für Frauen in Iran ein. Ihren Mut bereut sie nicht, noch verherrlicht sie ihn. Als ihr klar war, was das Richtige ist, musste sie es einfach tun. Encieh Erfani konnte gar nicht anders, als eine Heldin zu werden.