Die Offiziere wählen einen neuen Präsidenten – und strafen einen bisherigen Vize ab. Die abtretende Verteidigungsministerin Amherd sagt, die Bevölkerung solle auf bewaffnete Konflikte vorbereitet werden.
Kontinuität oder Neustart? Das war die Frage, welche die Delegierten der Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) am Samstag an einem geschichtsträchtigen Ort beantworten mussten. Sie trafen sich im Kanton Waadt, auf der Anhöhe Signal de Bougy über dem Genfersee, mit Blick auf den Mont Blanc. Hier hatte 1962 die algerische Delegation logiert, als sie im gegenüberliegenden Évian mit Frankreich den Algerien-Krieg beendete.
An die Verträge von Évian erinnerten mehrere Redner zu Beginn der Delegiertenversammlung, verbunden mit dem Wunsch, es möge ruhig und friedlich zugehen. Eine Palastrevolution schien nämlich möglich, und zu der kam es auch: Die Delegierten stimmten mit 75 Prozent deutlich für einen Neustart, indem sie den Tessiner Oberst Michele Moor zu ihrem neuen Präsidenten machten. Der Gegenkandidat, der Brigadier und bisherige SOG-Vize-Präsident Yves Charrière, bekam nur 25 Prozent der Stimmen.
Der neue Präsident Michele Moor sagt nur einen Satz
Und ja, es blieb ruhig und friedlich auf der Versammlung, aber vielleicht nur oberflächlich. Nachdem praktisch alle anderen Akteure, von den gastgebenden Romands über Noch-Verteidigungsministerin Viola Amherd bis zum bisherigen SOG-Präsidenten Dominik Knill, die Stimmung mit Witzen aufgelockert hatten, sagte Moor vor den Delegierten mit versteinerter Miene nur einen Satz, auf Italienisch: Er danke für das Vertrauen.
Kein Wort zum unterlegenen Charrière, kein Wort über Knill. Ob er nicht noch etwas sagen wolle?, fragte Knill seinen Nachfolger. Moor schüttelte den Kopf und setzte sich wieder.
Im Gespräch mit der NZZ sagte Moor später, er habe seine programmatische Rede schon im Wahlkampf vor den SOG-Sektionen gehalten. Eine Wiederholung an der Versammlung sei nicht nötig gewesen. Mit seinem deutlichen Ergebnis habe er gerechnet, nach allem, was er in den Sektionen gehört habe.
Insgesamt gehe es ihm nun darum, die SOG wieder zu einem Hauptakteur der schweizerischen Sicherheitspolitik zu machen. Früher sei sie das bereits gewesen. Doch nun äusserten sich in sicherheitspolitischen Debatten vor allem andere, etwa der Präsident des Verbands Militärischer Gesellschaften Schweiz, Stefan Holenstein.
Moor spricht weiter von drei konkreten Zielen. Erstens wolle er «zurück zu den Sektionen». Der jetzigen SOG hatten vor der Versammlung einige Mitglieder vorgeworfen, zu nah am Verteidigungsdepartement und zu fern der Basis zu sein.
Zweitens will Moor die Kommunikation der SOG modernisieren, etwa mit Auftritten in sozialen und audiovisuellen Medien. So will er verstärkt junge Leute ansprechen und somit auch den Mitgliederschwund bekämpfen.
Manche SOG-Delegierte lehnen Budget ab
Drittens und letztens will der Vermögensverwalter Moor die Finanzen der SOG wieder in Ordnung bringen. Der SOG-Schatzmeister hatte einen erneuten Jahresverlust von knapp 94 000 Franken präsentiert. Auch bei diesem Thema drückten einige Delegierte ihren Unmut aus, indem sie weder den Vorstand entlasten noch das Budget für 2025 annehmen wollten.
Moor sagte, er wolle rasch die Finanzzahlen sehen. «Jedes Jahr Hunderttausend Franken weniger Eigenkapital, das geht nicht mehr lange gut.» Die SOG-Strukturen müssten günstiger werden. Die Sektionen sollten idealerweise geringere Beiträge zahlen müssen. Angedacht für das Budget 2025 waren wegen der Finanzprobleme jedoch höhere Beiträge, wie der Schatzmeister auf Nachfrage eines Delegierten einräumen musste.
Der unterlegene SOG-Präsidentschaftskandidat Charrière gab sich im Gespräch gefasst. Er sei wohl von den Delegierten aus Kritik am jetzigen Präsidenten abgestraft worden, sagte er. Nach dieser Niederlage wurde er zwar in corpore mit dem restlichen Vorstand wiedergewählt. Doch er werde wohl kein Vize-Präsident bleiben, und er wisse auch nicht, ob er für die gesamte zweijährige Amtszeit Vorstandsmitglied bleiben werde, sagte er.
Hinter vorgehaltener Hand ärgerte sich mancher Romand über die Wahl Moors. Die 15 Westschweizer Delegierten hätten geschlossen für Charrière gestimmt, der insgesamt auf nur 20 Stimmen kam. Die rund 70 Deutschschweizer hätten fast ebenso geschlossen für Moor gestimmt – und damit wieder einmal ihre erdrückende Mehrheit ausgespielt. Wie repräsentativ solche Stimmen waren, blieb unklar.
In einer Dankesrede auf den abgetretenen SOG-Präsidenten Knill ging Oberst Valentin Gerig auf die Kritik der angeblich zu grossen Politik-Nähe ein – und warnte den neuen Präsidenten indirekt vor einem zu forschen Auftreten. Das VBS, die Armeeführung, die SOG und «hoffentlich die Mehrheit des Parlamentes» sollten am gleichen Strick ziehen, sagte Gering. Dann komme man sich eben näher. Hingegen sei «Poltern selten ein erfolgsversprechendes Mittel».
Ein klitzekleines bisschen geschichtsträchtig wurde es am Samstag dann wieder auf dem Signal de Bougy. Der abtretende SOG-Präsident Knill, der seit rund 30 Jahren seit erster in diesem Amt mit einem offenen Krieg in Europa – der Ukraine – zu tun hatte, verabschiedete Verteidigungsministerin Amherd, deren Nachfolger am Mittwoch gewählt wird. Knill dankte der «lieben Viola» und überreichte der vielkritisierten Ministerin einen Wein namens «Too good to be bad» – zu gut, um schlecht zu sein.
Viola Amherd spricht von möglichem Krieg
Amherd bedankte sich ihrerseits bei Knill für die «gute Zusammenarbeit», was in den Augen der Kritiker die Nähe der beiden bestätigt haben dürfte. Vor allem aber fand Amherd ernste, mahnende Worte zu den geopolitischen Umbrüchen, die «jüngst eine besorgniserregende Geschwindigkeit» angenommen hätten.
Und schliesslich bekräftigte Amherd eine Botschaft, die in der Schweiz wohl noch zu wenig wahrgenommen wird: «Wir arbeiten auch daran, den Bevölkerungsschutz neu auszurichten für die Herausforderungen eines bewaffneten Konfliktes. » Mit anderen Worten: Die Schweizer Bevölkerung soll auf einen möglichen Krieg vorbereitet werden.