Die Staatssekretärin für Wirtschaft hatte einen schwierigen Start. Inzwischen hat sie mit ihrer unkonventionellen Art und Beharrlichkeit viel erreicht.
Helene Budliger Artieda wandert in ihrer Freizeit gerne über lange Distanzen. Von Porrentruy nach Chiasso, von Rom nach Apulien, und von Rorschach nach Spanien ist sie mit ihrem Mann schon marschiert. «Ich mag es, wenn ich mich überwinden muss», sagt sie. «Um einen See oder auf einen Berg zu laufen, ist nicht mein Ding.» Auf anstrengenden Fernwanderungen kann die Staatssekretärin am besten abschalten. «Nach zehn Kilometern tut meistens etwas weh.»
Beruflich tickt die 59-Jährige ähnlich. «Ich bin eine, die die Hand hebt, wenn es schwierig wird», sagt sie. Die Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat eine exponierte Position: Sie ist für zahlreiche, teilweise explosive Dossiers verantwortlich – vom Aussenhandel über Sanktionen und Waffenexporte bis zum Arbeitsmarkt. Als sie ihre Stelle antrat, fasste sie eine der schwierigsten Aufgaben, die es in Bundesbern gibt. Sie leitet die innenpolitischen Gespräche über die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Das Ziel ist es, den Lohnschutz auf dem heutigen Niveau zu erhalten, obwohl die Schweiz in den Verhandlungen mit der EU Konzessionen machen musste.
Budliger traf eine verfahrene Situation an. Das Verhältnis des Seco zu den Gewerkschaften war zerrüttet – so zerrüttet, dass diese die Gespräche zeitweise boykottierten. Die Sozialpartner trugen ihren Streit öffentlich aus. Doch in den letzten Monaten hat sie Erstaunliches erreicht. Im Februar konnte sie mit Bundesrat Guy Parmelin (SVP) bekanntgeben, dass sich die Sozialpartner und die Kantone auf einen Katalog von primär technischen Massnahmen geeinigt hätten, um den Lohnschutz zu sichern. So sollen bestehende Gesamtarbeitsverträge, die allgemeinverbindlich sind, einfacher verlängert werden können.
Die Einigung ist fragil. Doch Budliger ist auf gutem Weg. Sie engagiert sich stark, hat persönlich an dreissig von fünfzig Sitzungen mit den Sozialpartnern teilgenommen. Sie wollte wissen, wie der Lohnschutz funktioniert. Sie nahm sich Zeit, um paritätische Kommissionen zu treffen, die für die Umsetzung zuständig sind. Das wird geschätzt – gerade von den früheren Kritikern des Seco.
«Sie war die Erste, die verstehen wollte, was Sache ist», sagt Daniel Lampart, der Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB). Budliger und ihre Chefbeamtin Valérie Berger, die für das Dossier zuständig ist, seien in jeder Hinsicht eine positive Überraschung gewesen. Die Seco-Direktorin habe keine Allüren und eine unorthodoxe Art. Während andere Staatssekretäre jeweils die SGB-Spitze einbestellt hätten, sei sie im Gewerkschaftssekretariat vorbeigekommen.
Budliger kreuzte auch auf, als der SGB im Januar an einer Delegiertenversammlung seine Position festlegte. Sie kam verspätet und nahm zuhinterst im Saal Platz. Der SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard begrüsste sie freundlich, erst vom Rednerpult aus, später mit einem Handschlag und netten Worten. So gut wirkte das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und dem Seco seit langem nicht mehr. Budligers Vorgängerin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch war eine geschickte Handelsdiplomatin. Das Klein-Klein der flankierenden Massnahmen interessierte sie weniger, den Draht zu den Gewerkschaften hat sie nie gefunden – und womöglich auch gar nicht gesucht.
Krisenmanagerin in Thailand
Budliger sagt, sie habe sich bewusst als Staatssekretärin beworben, um näher bei der Innenpolitik zu sein. Parmelins Auftrag sei klar gewesen: «Er wollte, dass sich das Verhältnis zwischen den Sozialpartnern und dem Seco wieder verbessert.» Zudem habe sie die internationale Bühne nach sieben Jahren als Botschafterin der Schweiz in Thailand und Südafrika lange genug erlebt. «Ich war bei Ministern, Königen und Präsidenten.»
Drei Jahre war Budliger in Bangkok, einem Posten, der mit den vielen Auslandschweizern als anspruchsvoll gilt. «Das habe ich geliebt», sagt sie. Vom «normalen» Thailand bekam sie wegen der Corona-Pandemie wenig mit. Fast rund um die Uhr war sie mit dem Krisenmanagement beschäftigt. Zunächst galt es, Tausende von Touristen mit kommerziellen Flügen und später mit Repatriierungsflügen in die Schweiz zurückzubringen.
Dann schloss Thailand die Grenzen. «Wir hatten Fälle von Rentnern, die in der Schweiz zu Besuch waren und nicht mehr zurückkonnten, obwohl sie in Thailand lebten.» Für jene, die dort geblieben waren, versuchten Budliger und ihr Team Impfungen zu organisieren. Das Durchschnittsalter der Schweizerkolonie ist hoch, viele vulnerable Personen mit Vorerkrankungen sind darunter. Nach Bangkok wusste Budliger, dass sie krisenresistent ist.
Im Ausland lernte sie, dass man mit Dialog und einem echten Interesse an der Sache weit kommt. Die «Methode Budliger» wendete sie auch bei den Gesprächen über den Lohnschutz an. «Ich sagte mir, ich probiere es jetzt einfach mal.» Sie wisse, wie wichtig die Körpersprache und die Atmosphäre seien. «Das bringt einen weiter, als theoretische Bücher zu wälzen.» Budliger versteht sich als Moderatorin, zögert aber nicht, auch Ideen einzubringen.
Man merke, dass sie eine erfahrene Verhandlerin sei, sagt Lampart. Budliger beherrsche das ganze Repertoire, von loben bis Druck machen. «Sie testet, was besser funktioniert.» Budliger sei direkt, aber nicht verletzend, sagt Roland Müller, der Direktor des Arbeitgeberverbandes. Das mache sie sehr gut.
Budliger spricht auch Unbequemes an. Als feststand, dass die EU der Schweiz bei der Spesenregelung keine Ausnahme zugesteht, kündigte sie im Februar vor den Medien eine nationale Lösung an. «Wenn eine Firma in die Schweiz kommt, muss sie sich an die Schweizer Gesetzgebung halten. Punkt.» Und als der Bundesrat im Dezember 2024 den Abschluss der Verhandlungen mit der EU verkündete, wirkte Budliger souveräner als andere. Sie räumte ein, es gebe beim Lohnschutz gewisse Rückschritte. Explizit und vor laufenden Kameras gab sie zu, was die Regierung nicht sagen wollte. Warum kann sie sich das leisten?
«Schauen Sie, ich werde dieses Jahr sechzig Jahre alt», sagt Budliger. «Ich bin schon immer gewesen, wie ich bin, und werde nicht mehr anders.» Das habe man gewusst, als man sie angestellt habe. Wenn beim Lohnschutz eine Kaution nur noch im Wiederholungsfall nötig sei, sei das ein Rückschritt. Sie habe dies bloss festgestellt und nicht bewertet. Deshalb brauche es Kompensationsmassnahmen. Auch der Bundesrat habe stets das Ziel verfolgt, das Niveau des Lohnschutzes zu erhalten. Sie habe die Sozialpartner daran erinnern müssen, dass alle dasselbe wollten.
Budligers Klartext kam bei den Gewerkschaften gut an. Trotzdem biedert sie sich nicht an. Im Februar gab das Seco bekannt, dass Jérôme Cosandey die Leitung der wichtigen Direktion für Arbeit übernimmt. Der SGB tobte und sprach von einer Provokation. Cosandey habe als Kadermann der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse marktradikale Positionen wie die Abschaffung des Lohnschutzes vertreten.
Budliger sagt, sie habe den besten Kandidaten gewählt. Cosandey habe ein Label gehabt, wie alle anderen Personen auch, die in der Endauswahl gestanden seien. Sie tönt auf ihre Art an, dass die Besetzung der Stelle nicht einfach war. «Die rätoromanisch sprechende Frau, die eng mit dem Arbeitsmarkt und dem Lohnschutz vertraut ist und die alle bejubeln, hat sich leider nicht beworben.»
Von der Sekretärin zur Staatssekretärin
Budligers Art ist so unkonventionell wie ihr Lebenslauf. Sie absolvierte in Zürich die Handelsschule, begann als Sekretärin im Aussendepartement (EDA), wechselte in den konsularischen Dienst – und arbeitete sich bis zur Staatssekretärin hoch. Das führt sie auch auf das Schweizer Bildungssystem zurück. «In vielen Ländern wird man nicht Staatssekretärin, wenn man keine Eliteuniversität absolviert hat.» Ihr akademischer Rucksack sei bescheiden – was bei ihrer Ernennung für Kritik sorgte.
Budliger sagt, sie habe Chancen gehabt und diese genutzt. Ihre Karriere sei nur dank der Unterstützung ihres Mannes möglich gewesen. Diesen lernte sie kennen, als sie in der Botschaft in Peru arbeitete. Viel verdankt Budliger ebenso einigen Vorgesetzten, die ihre Stärken erkannten. Die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) machte sie zur Chefin der Direktion für Ressourcen, als erste Frau und mit 43 Jahren.
Sie war für ein Milliardenbudget, das Personal und die Immobilien verantwortlich. Eine Premiere war auch, dass sie aus dem konsularischen Dienst kam und nicht mindestens einmal eine Mission im Ausland geleitet hatte. Sie scheute sich nicht, schwierige Entscheide zu treffen und die Organisation anzupassen, was beim Personal für Unruhe sorgte.
Der Streit mit Miller
Budliger ist es gelungen, im Kontakt mit den Sozialpartnern das Eis zu brechen. In der Diplomatie aber kann zu viel Direktheit auch schaden. Die Staatssekretärin übernahm ihren Posten wenige Monate nach der russischen Invasion der Ukraine. Die für die Sanktionen zuständige Sektion war unterdotiert und heillos überfordert. Das Seco hatte 8000 unbeantwortete E-Mails von Firmen, die Auskünfte wollten.
In einem Interview mit der NZZ griff Scott Miller, der amerikanische Botschafter in Bern, Budliger persönlich an. Er hoffe, dass sich diese weiterhin in aller Sorgfalt mit dem Dossier auseinandersetze. «Gewisse ihrer Kommentare beunruhigen mich allerdings etwas, weil sie den Nutzen von Sanktionen infrage stellt.»
Miller bezog sich auf einen Podcast aus der Romandie, in dem sich Budliger tatsächlich kritisch zur Effektivität von Sanktionen geäussert hatte. Sie verwies auf ihre Erfahrungen im mit Sanktionen belegten Kuba, ihrem zweiten Posten als Assistentin im EDA. Sie habe den Eindruck gehabt, dass die Sanktionen eher zur Verlängerung des Castro-Regimes beigetragen hätten, sagte sie. Budliger steht bis heute zu ihren Aussagen. «Ich wollte zeigen, was die Realität ist.» Sie habe damit nicht gesagt, dass sie ihre Arbeit nicht mache.
Miller hat Bern inzwischen verlassen. Donald Trump hat andere Prioritäten. Er sorgt mit dem Zollstreit mit zahlreichen Ländern in der Wirtschaft für Unruhe. Die Schweiz habe «ein sehr gutes Narrativ», sagt Budliger. «Wir machen seit Jahren, was sich Präsident Trump wünscht.» Sie verweist auf die hohen Investitionen von Schweizer Firmen in den USA. Diese würden gute Jobs für Amerikaner schaffen und hohe Löhne bezahlen. Trotz den jüngsten sicherheits- und geopolitischen Verwerfungen hält sie ein Freihandelsabkommen weiterhin für erstrebenswert. Die Schweiz müsse sondieren, ob dies möglich sei. Vielleicht müsse sie sich auch damit begnügen, in einem Sektor die Handelshemmnisse abzubauen, wie es im Pharmabereich gelungen sei.
Budligers Erfolgsrezept
Budligers Bilanz beim Freihandel lässt sich nach zweieinhalb Jahren bereits sehen. 2024 gelang es ihr, einen Handelsvertrag zwischen Indien und den Efta-Staaten auszuhandeln. Es ist der grösste Erfolg seit dem Freihandelsabkommen mit China. Budliger tut, was eine gute Chefin macht: Sie führt das Erreichte auf das eingespielte Team zurück.
Doch Wirtschaftsvertreter sagen, ohne Budliger gäbe es das Abkommen mit Indien nicht. Sie nahm den Ball auf, als der damalige Botschafter in Delhi, Ralf Heckner, sie in Thailand angerufen hatte – bevor sie beim Seco begann. Heckner hat früh erkannt, dass sich Indien öffnet und es ein Fenster gibt. Budliger lernte am Treffen der G-20-Staaten in Bali, wo sie Parmelin vertrat, den indischen Handelsminister kennen. Das erste Gespräch war schwierig.
Sieben Mal reiste sie nach Delhi. «Man muss nach einem Treffen bereit sein, drei Wochen später wieder ins Flugzeug zu steigen», sagt sie. Es gelang ihr, zum Minister eine Beziehung aufzubauen, Schritt für Schritt. Das gilt in Indien als entscheidend. Als Budliger jüngst mit einer Schweizer Delegation in Delhi weilte, widmete der indische Minister dieser einen ganzen Nachmittag, trotz der Session des Parlaments.
Budliger kann es gut mit Menschen, ob es sich um einen Minister aus Indien, Chefs von grossen und kleinen Firmen oder Gewerkschafter handelt. Ihre Stärken sind in den nächsten Wochen gefragt. Bis Ende Monat möchten sie und das Seco die konkreten Massnahmen festlegen, um den Lohnschutz zu sichern. Dann zeigt sich, ob die Einigung der Sozialpartner hält. Bald will Budliger auch in die USA reisen – weder sie noch Parmelin waren dort, seit die neue Regierung im Amt ist. Es steht an, was die Schweiz unter Trumps erster Administration hervorragend tat und auch Budliger gerne tut: Kontakte aufbauen.