Die Cliquen wagen die Konfrontation mit der Realität. Das ist oft eindrücklich. Das offizielle Motto – «Syg wie de wottsch» – wirkt dagegen ziemlich selbstgerecht.
Und dann ist es wieder: einfach eindrücklich. Obschon man umringt ist von Pessimismus, düsteren Visionen, dem Tod. Aber wenn es in Basel vier Uhr schlägt, alle Lichter erlöschen, der erste Marsch erklingt (und alle spielen denselben), ist es ein Gänsehaut-Moment. Nicht zu beschreiben, kaum zu erklären. Einzigartig. Es ist Morgenstreich.
Die Fasnacht beginnt. Und es wird keine werden für jene, die sich gerne für einen Moment ausklinken wollen von der Welt und ihrem aktuellen Gang. Die drei schönsten Tage, wie es in Basel heisst, werden eine Konfrontation mit der Realität. Viel Krieg. Viel Tod.
Das zeigt sich an den Sujets – den Themen also, der sich die (vor allem die grossen) Cliquen angenommen haben. Und die nun grell auf den Laternen leuchten. Der «Barbara Club» zeigt die aktuellen Weltenherrscher: «Em Trump sy Arroganz isch e Dootedanz!» Und weiter: «Putin und Trump, das isch bekannt – gänn sich gärn die rächti Hand.»
Auch bei den «Rhyschnoogge» ist bei uns auf der Welt nur grässliches Leid erkennbar. Der Tod holt sich die Menschen. Eine Erlösung? Allzu viel versprechen sollte man sich davon nicht: «Ob s äänedraa no Sache git – ganz ehrlig gsait: me waiss es nit …»
Immerhin regnet es nicht
Dabei haben sich Fasnächtler durchaus um Optimismus bemüht: Das Kribbeln hat schon am Sonntagabend begonnen, beim traditionellen Einpfeifen der Laternen. Diese sind noch in Tuch verhüllt, man will ja nichts verraten. Manches schimmert dennoch durch, aber man will sich die Fasnacht nicht verderben lassen. Die Stunden, bevor es richtig losgeht, sind mit die schönsten. Alles steht noch bevor. Darauf ein Gläschen. Und überaus viele Gebete, sogar in der zunehmend konfessionslosen Stadt: bloss keinen Regen. Diese Bitte wird erhört, immerhin.
Und auch die Cliquen planen in diesen drei Tagen nicht nur Weltenschmerz. Die beliebtesten Sujets: der Eurovision Song Contest, der im Mai in Basel stattfinden wird. Gleich 25-mal ist er das Hauptthema einer Formation. Weitere 18 Einheiten lassen den bekannten Basler Künstler Jean Tinguely hochleben. «Jeannot», wie er nur genannt wird, hätte dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Und sonst: viel Xherdan Shaqiri, der im Sommer zum FCB zurückgekehrt ist – und den kriselnden Fussballklub wieder von Erfolgen träumen lässt. Das reicht vielen Menschen schon für eine kleine Euphorie. So gross ist das oft mit Monstranz vor sich hergetragene Selbstwertgefühl dann doch nicht.
Ausser jetzt, am «Morgenstraich». Die vielen Menschen, die zu Tausenden durch die Basler Gassen strömen (und viele von weit her gekommen sind): auffällig gut gelaunt. Ein bisschen Durchschnaufen. Ein bisschen Abschalten. Trotz allem.
Gender-Thematik im Motto
Vielleicht ist das auch für die Basler Seele ganz angenehm. Der Basler, der sich sonst gerne weltläufig gibt und über die Kleinheit des eigenen Kantons meckert, der – natürlich – für die eigenen Ansprüche viel zu provinziell ist: Er darf, guten Gewissens, drei Tage lang sich selbst sein (und nicht einen pseudo-mondänen Kosmopolit mimen). Ob es ihm gelingen wird?
Sich selbst sein ist auch das Motto der diesjährigen Fasnacht: «Syg wie de wottsch». Das verantwortliche Fasnachts-Comité setzt auf das «Selbstbestimmungsrecht des Menschen» und möchte die «damit verbundene Gender-Thematik» aufnehmen: «An der Fasnacht spielt es keine Rolle, ob ein Mann im Kostüm einer alten Tante oder eine Frau sich als Waggis verkleidet.»
Das wirkt als Motto, das über allem steht (und auch auf der Plakette verewigt wird), ziemlich angestrengt. Die Wokeness hat man letztes Jahr schon behandelt – und für ad acta gelegt betrachtet. Interessante Gesellschaftskritik ginge anders. Will man sich vor dem ESC vielleicht nicht zu viel verscherzen? Es deutet darauf hin, liest man den Vers, der die «Blagedde» beschreibt: «Wo duets das denne sunscht no gä – me darf ys gärn als Vorbild nä. Und jede so wien är grad will – farbig, lutt und als au schrill.»
Das wirkt selbstgerecht – und inhaltlich ist es eine Binsenwahrheit. Das ist nicht schrill, sondern fade. Aber es passt ganz gut zum Basler Habitus. Die Begeisterung für den ESC wirkt fast hysterisch. Die Politik ist begeistert, die Medien. Warum eigentlich? Das fragt sich auch die «Sans Gêne», die sich gar nicht so sehr auf den Grossanlass freut – und die «ESCape»-Taste drücken will. Was für ein Affentheater – «Kurz und knapp, ych hau ab!»
Ein Gläschen nehmen, trotz allem
Die «Seibi»-Clique macht zwar auch eine grosse Party, im wunderbaren Rosarot, aber ein bisschen woker Spass ist das nicht. Die Menschen, die angeblich ausgelassen tanzen: sind schon tot. Und umgeben von Terror und Waffen. Bomben-Stimmung.
Das hat auch etwas mit der Schweiz zu tun. Die «Olympia» sagen: «Uss de Auge uss em Sinn». Und haben die «Olympair» gegründet. Eine Ausschaffungs-Fluggesellschaft. Schwarze Menschen werden von einem Schuh in den Hintern gekickt. Auf der Sohle sind die Flaggen der Länder zu sehen, die Asylsuchende ausschaffen (wollen). Darunter auch die Schweiz.
Die Schweiz hat auch im Inland ihre Probleme, etwa mit unserer Stromversorgung, der der Stecker gezogen wird, und mit unserem Energieminister, finden die «Opti-Mischte»: «Sunne Wasser oder Wind – passt em Röschti nit in Grind.» Immerhin erhält der SVP-Bundesrat ein bisschen Untersützung seines Parteipräsidenten: «Dr Dettling maint, s bruucht umsverregge e-n-AKW an jeedem Egge.»
Noch lange hat man nicht alle Laternen gesehen, alle Zeedel mit den bissigsten Versen studiert. Das hat Zeit. Irgendwann am Morgen. Zuerst strömen die Zehntausenden in die vielen Beizen, die nun um fünf Uhr öffnen. Ein bisschen Durchschnaufen. Ein Gläschen nehmen, eine Basler Mehlsuppe geniessen. Trotz allem. Das kann helfen. Bei all dem Weltenschmerz.