Von der katarischen Diktatur finanziert, verbreitet al-Jazeera weltweit islamistische Propaganda. Die Folgen sind auch in Zürich zu sehen.
Ende Juli 2024: In Teheran wird der Anführer der Hamas, Ismail Haniya, in einem Gästehaus des iranischen Militärs getötet. In der Türkei, neben Katar und Iran der wichtigste Verbündete der Hamas, wird Staatstrauer angeordnet. Im ganzen Land wehen Flaggen auf halbmast für den Kopf der Terrororganisation, den der türkische Staatsführer Recep Tayyip Erdogan seinen «Bruder» nennt.
Knapp einen Monat später finden sich Palästina-Aktivisten aus der ganzen Welt in den Konferenzräumen eines Istanbuler Studentenzentrums ein. Organisiert wird der Anlass von der Gruppe «Global Student Movement for Palestine». Viele Teilnehmer sympathisieren offen mit der Hamas.
Homophobes und religiöses Umfeld
Eine Gruppe, die aus Algerien angereist ist, nennt sich «Studenten für die Al-Aksa-Flut». So nennt die Hamas das Massaker an über 1200 israelischen Frauen, Kindern und Männern vom 7. Oktober: «Al-Aksa-Flut». Auch Schweizer Teilnehmer sind an der Konferenz dabei. Sie vertreten propalästinensische Gruppen an den Universitäten in Zürich, Bern und Lausanne.
Der Tagungsort, ein Studentenzentrum in der Nähe des Flughafens Bakirköy, gehört zur Türkischen Jugendstiftung (Tügva), die eng mit dem Erdogan-Clan verbunden ist. Sie wird von Erdogans Sohn Bilal geleitet und verfolgt die Islamisierung des ursprünglich säkularen türkischen Bildungssystems. Neben dem Kampf gegen Israel steht die Bekämpfung der Homosexualität ganz oben auf der Agenda des Jugendverbands. Dieses religiöse Umfeld prägt auch die Atmosphäre an der Konferenz: Viele Frauen tragen Kopftücher, die Männer Bärte, die Aktivistinnen aus dem Westen bedecken ihre Schultern mit Palästinensertüchern.
Die Veranstaltung sollte der Öffentlichkeit eigentlich nicht bekanntwerden. Eine erste Rednerin ermahnt die Teilnehmer, nicht zu fotografieren und zu filmen – offenbar eine Unmöglichkeit in der heutigen Zeit. Der NZZ liegen Fotos und Videos des Treffens vor.
«Meine Grossmutter war Palästinenserin»
Die Konferenz soll den Studenten helfen, sich zu vernetzen und Know-how für die Organisation von antiisraelischen Protesten zu erwerben. An einer Paneldiskussion erzählen Aktivisten aus Europa, den USA und Australien die Geschichte ihrer jeweiligen Bewegung. Anschliessend stellen sich die Teilnehmer vor. Unter ihnen ist ein junger Mann mit hellen Locken. Er ist sichtlich nervös: «Ich bin von der Universität Zürich. Meine Grossmutter war Palästinenserin.» Das Publikum applaudiert begeistert.
Gemäss Recherchen der NZZ ist er ein Jusstudent und engagiert sich in der Studentengruppe «Students for Palestine ZH». Regelmässig finden Veranstaltungen der Gruppe an der Universität Zürich, der ETH, der ZHdK sowie der ZHAW statt. Im Mai 2024 organisieren die Aktivisten einen Sitzstreik an der ETH und werden von der Polizei abgeführt. Die ETH verzeigt mehrere Personen wegen Hausfriedensbruchs. Doch jetzt sind Semesterferien. Vor der Konferenz reist der Jusstudent nach Jordanien und teilt in den sozialen Netzwerken Ferienfotos. Darunter ist ein mit einem Herzen eingekreistes rotes Dreieck – das Kennzeichen der Hamas.
Am zweiten Konferenztag stehen verschiedene praktische Workshops auf dem Programm. Ein Journalist, Ahmed Abu Hamad, bietet ein Training an. Die Studenten sollen lernen, wie man lokale und weltweite Medienkampagnen organisiert. Zum Abschluss skandieren die Teilnehmer, auch die Schweizer: «We believe that we will win», wir glauben, dass wir gewinnen.
Später gibt es Gruppenfotos. Neben dem Jusstudenten steht der Gründer einer britischen Studentenorganisation, die mit einer NGO von Majed al-Zeer zusammenarbeitet. Al-Zeer gilt als der führende Kopf der Hamas in Europa. Seit dem 7. Oktober steht er auf der US-Terrorliste.
Bewunderung für Adolf Hitler, live auf al-Jazeera
Der Journalist, der den Palästina-Aktivisten beibringt, wie man Kampagnen führt, arbeitet für das Al Jazeera Media Institute. Gegründet wurde das Institut 2004. Seither soll es nach eigenen Angaben 75 000 Leute ausgebildet haben. Es ist Teil des Al-Jazeera-Medienimperiums, das nach Schätzungen jährlich mit mehreren hundert Millionen Dollar vom katarischen Königshaus finanziert wird.
Al-Jazeera gehört zu den einflussreichsten Medienhäusern der Welt. Gesendet wird auch auf Englisch. Da in Beiträgen von al-Jazeera auch andere Meinungen zitiert werden, wird der Sender oft als um Objektivität bemühte BBC des Morgenlandes missverstanden.
Dabei ist er schon lange ein politisches Vehikel des islamistischen katarischen Königshauses. Die Berichterstattung steht «im Einklang mit der politischen Haltung des katarischen Staates», wie neuseeländische Forscher 2015 feststellten. Auch im Westen verbreitet der Sender modisch verpackte islamistische Propaganda, wonach Muslime überall diskriminiert werden, Zionisten die Medien beherrschen und es keine echte Demokratie gibt.
Der 2022 verstorbene Vordenker der Muslimbruderschaft, Jusuf al-Karadawi, rief in einer Sendung von al-Jazeera dazu auf, dem Beispiel Adolf Hitlers zu folgen und einen neuen Holocaust zu organisieren. Da Katar zu den wichtigsten Förderern der Muslimbruderschaft gehört, unterstützt der Petrostaat auch deren Ableger Hamas. Die Hamas-Führung lebt seit 2011 in Doha.
Journalisten als Medienpartner der Hamas
Seit dem Massaker des 7. Oktober 2023 werden die Verbindungen zwischen al-Jazeera und der Hamas immer deutlicher. So waren mehrere Al-Jazeera-Journalisten in Kampfhandlungen verwickelt. Ein Video zeigt einen Al-Jazeera-Journalisten, wie er kurz nach Beginn des Angriffs per Funk im Austausch mit Frontkämpfern steht und ihre Greueltaten preist.
Bei einem anderen Al-Jazeera-Journalisten, Mohammed Washah, fand die israelische Armee Aufnahmen, die zeigen, wie er Terroristen im Gebrauch von Panzerabwehrraketen instruiert. Hinzu kamen zahlreiche weitere Fälle.
Ende Januar hat al-Jazeera einen Investigativbericht zum 7. Oktober ausgestrahlt. Er wurde vom Starjournalisten Tamer al-Misshal produziert und moderiert. Al-Misshal lebt in Katar, ist aber im Gazastreifen geboren. Die Sendung enthält Exklusivmaterial und geheime Informationen aus dem Innern der Hamas. Unter anderem ist der damalige Hamas-Führer Yahya al-Sinwar zu sehen, wie er durch Trümmer schreitet und sich mit einem Kommandeur der Kassam-Brigaden über Karten beugt.
Al-Jazeera verfügt offenbar über einen exklusiven Zugang zur Hamas. Der Sender gebärdet sich wie ein Medienpartner für die Terrororganisation. Am Ende der Sendung preist der Journalist Tamer al-Misshal den Terrorangriff auf israelische Zivilisten – und rechtfertigt ihn mit der Lüge, es habe sich um einen Präventivschlag gehandelt. Tamer al-Misshal soll laut Recherchen des israelischen Fernsehsenders I24 auch die Propagandaanlässe inszeniert haben, mit denen die Hamas die Freilassung der ausgemergelten israelischen Geiseln feierte.
Tumult an Zürcher Universität
Wie die eingangs erwähnte Istanbuler Konferenz zeigt, begleitet das katarische Medienimperium von al-Jazeera nicht nur die Gewalt der Hamas im Gazastreifen. Es sorgt auch dafür, dass Hamas-Propaganda in Europa verbreitet wird und Gegner der Terrororganisation eingeschüchtert werden, indem Mitarbeiter des Senders westliche Aktivisten für Proteste schulen.
Die Folgen dieser Indoktrination sind auch in der Schweiz zu sehen. Die Schweizer Teilnehmer der Konferenz sind im Herbst 2024 an ihre Universitäten zurückgekehrt. Seither ist die Zürcher Studentengruppe mehrmals aktiv geworden. Sie organisiert Veranstaltungen, darunter regelmässige Treffen im Lichthof, und sie mobilisiert gegen Andersdenkende.
Ein Professor, dem die Aktivisten eine Palästina-kritische Haltung vorwerfen, wird mehrmals belästigt und eingeschüchtert. Zusätzlich sammelt man Geld für die ETH-Besetzer.
Mitte Dezember nimmt der Präsident des jüdischen Dachverbands SIG, Ralph Friedländer, an der ETH an einer Podiumsdiskussion mit dem Titel «Wann ist ‹Israelkritik› antisemitisch?» teil. Friedländer ist Psychologe und hat für die Deza lange in der Entwicklungshilfe gearbeitet.
Als er mit seinem Referat beginnt, steht ein junger Mann mit blonden Locken auf und schreit Parolen gegen Israel – es ist der Jusstudent, der an der Istanbuler Konferenz teilgenommen hat. Die Aufregung in Öffentlichkeit und Presse ist gross. Der SIG warnt davor, dass der demokratische Dialog an Schweizer Universitäten gefährdet sei. Dozenten und Studenten, «vor allem solche mit einem jüdischen Hintergrund», würden durch solche Aktionen eingeschüchtert. Die Universität wird aufgefordert einzuschreiten.
Doch die Aktionen gehen weiter. Ende Februar tritt ein Nahostexperte eines Washingtoner Think-Tanks an der ETH auf. Erneut protestieren die Palästina-Aktivisten.
Al-Jazeera sieht sich gemäss Leitlinien der Ehrlichkeit und der Fairness verpflichtet. Die NZZ wollte deshalb wissen, wie sich dieser journalistische Auftrag mit der Nähe zu Terroristen und der Ausbildung von Aktivisten vereinbaren lässt. Bis Sonntagabend wurden die Fragen nicht beantwortet.