Mutterschaft verschlechtert häufig die Stellung der Frau auf dem Arbeitsmarkt. Der Geschäftsführer der Familienzeit-Initiative erklärt, welche Lösung er für die Schweiz sieht – und gerät bei der Frage nach dem Stillen ins Stocken.
Die Karten werden am Anfang verteilt. Das ist nicht nur beim Jassen so, sondern auch bei der Familiengründung. Werden zwei Menschen Eltern, ändert sich das Spiel. Ein Herz-Ass kommt dazu, manchmal auch zwei. Viele Paare rutschen dadurch mehr oder weniger bewusst in traditionelle Rollenmuster. Das kann für beide gut sein – oder auch nicht.
«Viele Mütter würden gern mehr bezahlt arbeiten, und viele Väter wären gern stärker in der Kinderbetreuung engagiert», sagt Dominik Elser, Geschäftsleiter der Familienzeit-Initiative. Am 2. April wird diese offiziell mit dem Start der Unterschriftensammlung lanciert.
Unterschriftensammlung startet im April
Elser will deshalb ganz am Anfang ansetzen, da, wo die Karten verteilt werden, direkt nach der Geburt eines Kindes. Je 18 Wochen für jeden Elternteil wollen die Initianten der Familienzeit, die Elser vertritt. Das ist für die Schweiz eine forsche Forderung und ein deutlicher Ausbau gegenüber dem Status quo. Dieser sieht 14 Wochen bezahlt für die Mutter vor und zwei Wochen für den Vater.
Diese Ungleichbehandlung ist den Initianten ein Dorn im Auge. «Stereotype Rollen werden verstetigt», sagt Elser. Die Initianten wollen die Elternzeit deshalb paritätisch ausgestalten. Das heisst: Beide bekommen gleich viel. Und keiner kann dem anderen seinen Anteil zuschanzen. Zwar würde niemand zum vollen Bezug der bezahlten Elternzeit gezwungen. Doch wer seine Zeit nicht einzieht, würde diese ungenutzt verpuffen lassen.
«Die Idee ist, Anreize für eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu schaffen», sagt Elser.
«In unserem Modell könnten die Mütter nach 18 Wochen wieder voll in die Erwerbstätigkeit einsteigen, da sie vom zweiten Elternteil abgelöst werden.» Die Idee ist, damit die Gleichstellung voranzutreiben und den Karriereknick der Mütter abzufangen. Auf diese Weise lasse sich auch das inländische Arbeitskräftepotenzial besser ausschöpfen und der Fachkräftemangel lindern.
Initianten sehen wirtschaftlichen Nutzen
Den Ausbau der Elternzeit sieht Elser insofern als eine Investition, die sich am Ende finanziell auszahlen soll. Damit hofft die parteiübergreifende Bündnis aus Alliance F, Grüne Schweiz, Grünliberale Partei Schweiz, Mitte-Frauen Schweiz und Travail Suisse auch Wirtschaftsvertreter abzuholen.
Durch den Ausbau der Elternzeit, argumentiert die Allianz, schieden weniger Mütter aus dem Arbeitsmarkt aus. Damit würde die Erwerbsquote der Frauen steigen. Es sei zudem zu erwarten, dass diese in etwas höheren Pensen arbeiten würden als bisher.
Das wiederum führe zu höheren Einkommen, höheren Steuereinnahmen und höheren Sozialversicherungsbeiträgen. Diese Mehreinnahmen kompensierten die höheren Kosten durch den Ausbau der Elternzeit, argumentieren die Vertreter der paritätischen Elternzeit. Die Initiative stützt ihre Argumente dabei auf eine Studie, die sie bei dem Beratungs- und Forschungsbüro Ecoplan in Auftrag gegeben hat.
Die Mehrkosten der bezahlten Elternzeit basieren auf vielen Annahmen und Unbekannten, wie das Forschungsinstitut Ecoplan schreibt. Dabei geht es davon aus, dass im wahrscheinlichsten Szenario die Mütter im Durchschnitt 17 Wochen Elternzeit einziehen würden und die Väter 13 Wochen. Damit würden jährliche Kosten von 1,89 Milliarden Franken entstehen gegenüber 867 Millionen beim Status quo.
Würden die Mütter sowohl ihr Einkommen wie auch ihr Erwerbspensum gegenüber dem Status quo um 5 Prozent steigern, wäre der Break-even nach der Berechnung von Ecoplan nach 15 Jahren erreicht. Würden Einkommen und Pensum um 2,5 Prozent steigen, wäre der Break-even immerhin nach 25 Jahren erreicht.
Die Menschen entscheiden häufig traditionell
Die Schweiz würde sich mit einem solchen Modell schlagartig in die Rolle eines Vorreiters in Sachen Gleichstellung katapultieren. Die Frauenorganisation Alliance F spricht von einem «Generationenwerk der Gleichstellung». Oft wird moniert, dass die Schweiz eine konservative Familienpolitik habe. In vielen europäischen Ländern können die Eltern innerhalb eines gewissen Rahmens selbst entscheiden, wie sie sich aufteilen wollen. Das klingt liberal und ist es auch. Allerdings entscheiden die Menschen weniger progressiv, als man denken könnte.
«Wir haben die Erfahrungen und Daten aus anderen Ländern ausgewertet und wollen mit unserem Modell deren Nachteile vermeiden», sagt Elser.
In Deutschland beispielsweise lässt sich die Elternzeit von 14 Monaten sehr variabel aufteilen. In den meisten Familien führt das aber nicht zu einer Gleichverteilung, sondern zu einer Retraditionalisierung, da die Frauen im Schnitt deutlich mehr Elternzeit beziehen die Männer.
Nun mag diese Aufteilung genau den Präferenzen der Paare entsprechen. Vielleicht ist es so, dass sich die Mütter im Schnitt ein bisschen lieber um die Babys kümmern und dem anderen Elternteil die Karriere ein bisschen wichtiger ist. Elser argumentiert jedoch, dass es auch die Strukturen seien, die zu nicht idealen Resultaten führten. Mütter blieben zu Hause, weil sie keine bezahlbare Betreuung fänden. «Vätern wird Teilzeit und eine Elternzeit zudem weniger zugestanden als den Müttern», meint Elser. «Wenn wir einen gesetzlichen Rahmen dafür hätten, wäre es normaler und würde eher eingelöst.»
Das Stillen ist ein paritätischer Spielverderber
Ins Stocken gerät der Familienzeit-Geschäftsführer allerdings bei der Frage nach dem Stillen. Grundsätzlich wird dies von der Weltgesundheitsorganisation für die Zeit von sechs Monaten – also rund 26 Wochen – empfohlen. Väter können problemlos die Flasche geben. Stillen aber können sie nicht.
Was würde in dem Modell mit dem Baby passieren?
In der Schweiz kehrt derzeit lediglich eine kleine Minderheit der Mütter bereits nach 14 Wochen wieder an den Arbeitsplatz zurück. Rund die Hälfte der Mütter setzt ein halbes Jahr aus, nach einem Jahr sind fast 80 Prozent der Frauen, die nicht aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, wieder zurück. Ein Mutterschaftsurlaub in dieser Länge erlaubt eine entsprechende Stillzeit. Derzeit gewähren viele Unternehmen den Müttern auf freiwilliger Basis eine Auszeit von sechs Monaten. Häufig ist die zusätzliche Auszeit unbezahlt, aber nicht immer.
Würde die Mutter nach 18 Wochen wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren, müsste sie entweder abpumpen oder frühzeitig abstillen. Unglücklich wäre es, wenn durch den Vaterschaftsurlaub ein Druck in diese Richtung aufgebaut würde.
Möglich ist das durchaus. Nach dem Modell der Familienzeit-Initiative wäre die Elternzeit grundsätzlich nacheinander zu beziehen, lediglich ein Viertel der Zeit sollte gleichzeitig bezogen werden können. Würde die Mutter ihre Elternzeit von 18 Wochen auf ein halbes Jahr bzw. 26 Wochen ausdehnen, stände die Familie damit finanziell schlechter da.
«Mit Sicht auf die Stillzeit ist unsere Lösung nicht ideal», konzediert Elser auf Nachfrage, findet das 18-18-Modell aber deutlich besser als den Status quo. Es sei ein gewisser «trade-off», eine Güterabwägung. Er argumentiert, dass eine Stillzeit von einem halben Jahr bei einem paritätischen Modell zu einer Elternzeit von je 26 Wochen führen würde. Das politisch umzusetzen, ist unrealistisch. «Damit wären wir meilenweit von einer Mehrheitsfähigkeit entfernt.»
Ob es allerdings mehrheitsfähig ist, dass die Mutter eines Stillbabys nach 18 Wochen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt, in Arbeitspausen Milch abpumpt und womöglich noch zusätzlich beim Stillen die Nachtschicht übernimmt, derweil der Vater die bezahlte paritätische Elternzeit bezieht, sei dahingestellt.
Zudem kann die Sache auch an anderer Stelle kompliziert werden. Mehrheitlich arbeiten die Mütter kleiner Kinder Teilzeit. Müsste die Mutter Vollzeit arbeiten, solange der Vater Elternzeit bezieht? Oder dürften am Montag beide zu Hause sein, nicht aber auch noch am Freitag?
Das sind Fragen, die gemäss Elser noch geklärt werden müssen. Auffällig ist derzeit jedenfalls, wie stark die Meinungen je nach Alter, Geschlecht und Parteinähe auseinanderklaffen.
Gemäss dem Gleichstellungsbarometer 2024 des Meinungsforschungsinstitutes Sotomo von 2024 liegt die Zustimmung für die Einführung einer flexibel aufteilbaren Elternzeit bei Frauen der Generation Z und Y die Zustimmung bei 90 Prozent, bei Männern der Generation der Babyboomer ist sie mit 57 Prozent am tiefsten.
Die Positionen der Parteien liegen weit auseinander. 98 Prozent der Kandidierenden von Grünliberalen und Grünen befürworten laut einer Smartvote-Analyse von Herbst 2023 einen Ausbau der Elternzeit, während 94 Prozent der SVP-Kandidierenden dagegen sind.
Politisch dürfte die Initiative also noch einige Konfrontationen bringen.