Das Militär investiert viel Geld in neue Informatiksysteme – doch etliche Projekte verzögern sich oder laufen schief: Diese sechs Bereiche bereiten Probleme. Auch Unternehmen können daraus lernen.
Wenn IT-Projekte bei der Schweizer Armee scheitern, dann wird es teuer. Immer wieder geraten Beschaffungen in Verzug, die Kosten steigen, und am Ende bleibt die Armee ohne funktionierende Lösung.
So hat das Militär vor kurzem die Einführung einer neuen, krisensicheren Logistiksoftware gestoppt. Damit wollte die Armee Munitionsbestände verwalten, Soldaten aufbieten und andere logistische Prozesse effizient abwickeln. Doch das Software-Modul kam gar nie zum Einsatz.
Bis zur Einführung einer Nachfolgelösung dürfte es ein Jahrzehnt dauern. «Ich habe offen gestanden aufgehört, zu optimistisch zu sein», sagte der scheidende Armeechef Thomas Süssli Ende Januar im Interview mit der NZZ. Der Fehlgriff ist kein Einzelfall.
Rund sieben IT-Projekte der Armee im Umfang von 19 Milliarden Franken bereiten der Armee derzeit grosse Sorgen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich verzögern und Millionen an Mehrkosten verursachen.
Schon 2017 musste der Bund beim IT-Projekt «FIS Heer» 125 Millionen Franken abschreiben. 2021 gab das VBS bekannt, dass die Realisierung von drei neuen Rechenzentren für die Armee und die Bundesverwaltung rund 250 Millionen Franken teurer werde als geplant. Mittlerweile hat das Departement den Abschluss des Projekts auf 2030 verschoben. Das ist sieben Jahre später als ursprünglich geplant.
Aus Gesprächen mit mehreren Experten und Branchenkennern, die die Armeeinformatik von innen und aussen kennen und deshalb anonym bleiben möchten, kristallisieren sich sechs Problembereiche heraus, die sich durch fast alle Beschaffungen ziehen – und als Lehrstück für die Privatwirtschaft dienen können.
1. Schwache Projektführung
Die Betreuung von IT-Projekten und IT-Beschaffungen ist oft wenig attraktiv. Es handelt sich um Infrastruktur, die funktionieren muss, den Verantwortlichen aber wenig Prestige einbringt. Daher fehlt es auf der Stufe Bundesrat oft am Engagement, weshalb Fehler mit gravierenden Konsequenzen passieren. Dabei ist allen klar, dass die Digitalisierung der Armee entscheidend für ihre Zukunft ist.
Lehre für Unternehmen: IT-Projekte sind Chefsache. Ohne klare Verantwortlichkeiten und einen starken Unterstützer in der Führungsetage drohen Projekte zu scheitern.
2. Zu viel Komplexität, zu wenig Know-how
Die heutige Informatik des Militärs ist über die Jahre gewachsen und entsprechend heterogen. Es handelt sich um hochspezialisierte, komplexe Systeme, die deshalb schwer zu ersetzen sind. Oftmals gibt es gar keine moderneren Lösungen am Markt, weil die bestehenden Produkte von A bis Z massgeschneidert sind.
Umso schwieriger wird es, wenn solche Einzelanfertigungen innert weniger Jahre ersetzt werden müssen. Oftmals unterschätzen die Verantwortlichen bei der Armee die Komplexität bei Ausschreibungen. Sie kennen den Markt und die technischen Möglichkeiten zu wenig. Das führt dazu, dass oft utopische Anforderungen gestellt werden, die kaum umsetzbar sind.
Lehre für Unternehmen: Standardlösungen sind oft besser als massgeschneiderte Software. Wer dennoch auf Individualentwicklung setzt, sollte sich der langfristigen Folgen bewusst sein.
3. Gefährliche Abhängigkeiten
Viele Ausschreibungen der Armee sind so spezifisch, dass von vornherein klar ist, welcher Anbieter gewinnen wird. Gleichzeitig gelten die Ausschreibungsverfahren als intransparent.
IT-Dienstleister mit engen Kontakten zum VBS haben laut Branchenkennern einen Vorteil. Zudem gibt es bei der Armee Mitarbeiter mit Milizfunktionen – geschäftliche Beziehungen und militärische Kameradschaft vermischen sich. «Langjährige Zusammenarbeit schafft ein Vertrauen, das gefährlich ist», sagte einst auch Andreas Löwinger, Mitgründer des IT-Dienstleisters Xplain.
Lehre für Unternehmen: Eine gesunde Distanz zu Lieferanten ist wichtig. Je offener die Kommunikation gegenüber möglichen Lieferanten, desto besser. Wettbewerbsfähige Ausschreibungen und eine transparente Auswahl verhindern Abhängigkeiten.
4. Unpräzise Ausschreibungen, unhaltbare Versprechen
Viele Ausschreibungen – nicht nur bei der Armee – sind unpräzise und lückenhaft. Zentrale Anforderungen, zum Beispiel Cybersicherheit, werden manchmal erst nach der Vergabe definiert – wenn sich die Anbieter längst verpflichtet haben. Das hat Folgen: Dienstleister können zentrale Funktionen gar nicht erst einpreisen, und wenn sie später doch gefordert werden, müssen sie teuer nachgeliefert werden – wenn die Anbieter überhaupt dazu imstande sind.
Die Anbieter beziehungsweise die Verkaufsverantwortlichen ihrerseits fokussieren alles auf den Vertragsabschluss – und versprechen dem Auftraggeber das Blaue vom Himmel. Oftmals enthalten ihre Offerten Funktionen, die ihr Produkt noch gar nicht mitbringt, um den Zuschlag zu erhalten. Allfällige Probleme landen später in der Rechtsabteilung.
Lehre für Unternehmen: Lückenhafte Anforderungen gilt es zu vermeiden. Eine spätere Anpassung führt fast immer zu Mehrkosten und Verzögerungen.
5. Zu lange Beschaffungsprozesse
Ein IT-Projekt beim Bund durchläuft, vereinfacht gesagt, folgende Phasen: Bedarfserhebung, Planung, Ausschreibung, Evaluation, Vergabe, Entwicklung, Testbetrieb, Migration und Einführung. Je teurer ein Beschaffungsgegenstand und je komplexer ein Projekt ist, desto länger dauert es.
Lehre für Unternehmen: Wenn zwischen Bedarfserhebung und Einführung zu viel Zeit liegt, verändern sich nicht nur die technologischen Standards, sondern auch interne Prozesse, die Belegschaft und deren Arbeitsweisen oder der Anbietermarkt. Das kann dazu führen, dass Systeme beschafft werden, die nicht nur technologisch überholt sind, sondern auch nicht mehr zu den Abläufen und den Mitarbeitern passen, die sie am Ende nutzen und betreuen müssen. Daher gilt: Agilität statt Bürokratie.
6. Preis- statt Ideenwettbewerb
Der Preis wird in Ausschreibungen der Armee laut Beobachtern oft zu hoch gewichtet, weil er eines der wenigen relevanten, objektiv messbaren Kriterien ist. Ausschreibungen werden daher oft zu einem Preis- statt einem Ideenwettbewerb.
Lehre für Unternehmen: Rafael Perez Süess, Verwaltungsratspräsident beim Zürcher IT-Unternehmen Bitforge und Vorstandsmitglied beim Digitalisierungsverband Swico, schlägt daher vor, dass Beschaffungsstellen die für ein Projekt zur Verfügung stehenden Budgets frühzeitig und offen kommunizieren. So können Anbieter ihre Lösungen darauf abstimmen. «So muss die Behörde nicht den günstigsten Anbieter wählen, sondern kann sich auf die Qualität fokussieren.»
Perez empfiehlt auch, Projekte in kleinere Bausteine zu stückeln. Diese würden so an Flexibilität gewinnen, und die Projektkontrolle werde verbessert. Ausserdem liessen sich so auch mehrere Spezialisten einbinden, statt dass nur ein Anbieter für alles gewählt werde.
Armee will mehr Standardprodukte
Die Kritik an der IT-Beschaffung der Armee ist nicht neu – und doch sind die IT-Landschaft sowie die Vergabepraxis seit Jahren weitestgehend unverändert. In einer ausführlichen Stellungnahme nennt die Armee fünf Hauptgründe für die Verzögerungen: zu hohe Erwartungen, unterschätzte Komplexität, Lieferverzögerungen und Teuerung, organisatorische Hürden sowie Helvetisierungen – also die Anpassung internationaler Systeme an Schweizer Sonderwünsche.
Das VBS will diese Herausforderungen bewältigen, indem es verstärkt auf «bestehende Produkte und Lösungen statt auf Helvetisierungen» setzt.
Durch regelmässige interne Reportings solle mehr Transparenz geschaffen und sollten Systeme oder Prozesse «durchgängig automatisiert» werden. Nicht zuletzt würden «diverse Projekte nach agiler Methodik aufgebaut», damit rascher auf veränderte Bedingungen reagiert werden könne. Das heisst: Statt riesige monolithische Systeme zu entwickeln, setzt die Armee vermehrt auf modulare Strukturen und kürzere Entwicklungszyklen, um flexibel auf neue Anforderungen eingehen zu können.
Dazu gehört die neue Digitalisierungsplattform (NDP), bei der die «meisten Bausteine aus Standardprodukten bestehen». Eigenentwicklungen würden nur in seltenen, begründeten Fällen eingesetzt. Diese Modularisierung vereinfache «die kontinuierliche Weiterentwicklung der Plattform, da direkt von den kurzen Innovationszyklen der Privatwirtschaft profitiert werden kann». Zur besseren Steuerung von Investitionen soll laut der Armee ausserdem eine Methodik eingeführt werden, die auf «agilen Prinzipien beruht und eine dezentrale Entscheidungsfindung fördert».
Armasuisse: Der Preis ist nur eines von vielen Kriterien
Auch Armasuisse, die zentrale Beschaffungsstelle des VBS, wehrt sich gegen die Vorwürfe zur Intransparenz und zur übermässigen Gewichtung des Preises. Man lege Wert auf «Gleichbehandlung und Transparenz». So würden in Ausschreibungen den potenziellen Lieferanten «die Bewertungskriterien frühzeitig bekanntgegeben und Antworten zu Fragen einzelner Anbieter allen Mitbewerbern zur Verfügung gestellt». Sollte darüber hinaus der Eindruck entstanden sein, dass bei Beschaffungen fast ausschliesslich der Preis entscheidend ist, «so wäre dies falsch». Der Preis sei nur eines von vielen Kriterien.