«Natürlich ist das ein emotionales Thema», sagt der Zoodirektor Severin Dressen.
Zürich bekommt einen neuen Wald. 25 Meter hoch werden die dicken Bäume sein. Schwertransporter sollen sie den Zürichberg hochschleppen, zum Zoo. Dort sollen einst Gorillas in den Baumriesen herumklettern. Auf 29 000 Quadratmetern will der Zoo Zürich ab 2028 eine neue Anlage bauen. Einen Regenwald nach kongolesischem Vorbild.
Das Ziel: Der Zoo Zürich soll mit dem Projekt «Ndoki-Wald» zum führenden Zoo bei der Haltung und Erforschung von Menschenaffen werden. Die Pläne sind spektakulär, doch sie haben ihren Preis.
Medienstar mit Herzproblemen
Einer wird den Neubau nicht mehr erleben: der Chef der Zürcher Gorillas, der Silberrücken N’Gola, 47 Jahre alt. Spätestens seit seinem 40. Geburtstag ist der Affe eine Berühmtheit. Medien landauf, landab berichteten über ihn. 240 Artikel zu N’Gola finden sich in der Schweizer Mediendatenbank – mehr als über so manchen Lokalpolitiker.
«In wenigen Wochen werden wir den Silberrücken N’Gola euthanasieren», sagt der Zoodirektor Severin Dressen. Er steht im Menschenaffenhaus und blickt zum Gorilla-Männchen, das bäuchlings im Stroh liegt, den Kopf müde in die Hände gestützt.
N’Gola sei seit Jahren gesundheitlich angeschlagen. Er sei träge, habe Herzprobleme, bekomme Schmerzmittel. Auch genetisch sei er für die europäische Reservepopulation nicht mehr relevant. Und die drei Weibchen in seinem Harem verlören langsam den Respekt vor ihm – das reduziere sowohl die Lebensqualität der Weibchen wie auch die des Silberrückens.
Deshalb werde er eingeschläfert – und die Gorilla-Gruppe neu zusammengesetzt. So könne der Zoo Zürich auch künftig zum Erhalt der vom Aussterben bedrohten Art beitragen. Zwei Weibchen werden in deutsche Zoos gebracht, eines bleibt in Zürich.
Vor der Ankündigung, dass N’Gola eingeschläfert werde, habe er grossen Respekt, sagt Severin Dressen: «Aber wir kommunizieren offen, weil wir sicher sind, dass wir das Richtige tun.» Es ergebe bei einem alten, kranken Tier wie N’Gola keinen Sinn, ihn noch umzuplatzieren. Mit grosser Wahrscheinlichkeit würde er den Transport nicht überleben, und er könne auch nicht mehr in eine neue Gruppe integriert werden.
«Natürlich ist das ein emotionales Thema», sagt Dressen. Und auch der Abschied des Gorilla-Weibchens Mary dürfte einigen Zoobesuchern weh tun. Mary sei von Hand aufgezogen worden und zeige deshalb menschliches Verhalten – zur Freude der Zoobesucher. «Manchmal schickt sie den Menschen vor der Scheibe Küsse.» Als hätte sie die Worte des Zoodirektors gehört, spitzt Mary ihre Lippen und drückt sie an die Scheibe. Zurück bleibt ein feuchter Abdruck. Kinder kichern.
Den Silberrücken zu ersetzen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Gorillas leben in Harem-Strukturen: Das Männchen ist der Chef und hat mehrere Weibchen. Wenn ein Silberrücken stirbt, dann zerfällt die Gruppe.
Der Zoo Zürich stellt die Gruppe nun vollkommen neu zusammen, um zu vermeiden, dass die Weibchen sich gegen das neue Männchen verschwestern. Sobald N’Gola eingeschläfert ist, muss es im Zoo Zürich schnell gehen. Innert wenigen Tagen soll die neue Gruppe Schritt für Schritt zusammengeführt werden. «Es ist eine grosse Herausforderung» sagt Dressen, «es ist gefährlich, die Tierpfleger können nicht hinein und intervenieren, wenn es zu Konflikten kommt.» Deshalb lasse man Tiere einander zuerst durch Gitter beschnuppern und mit den Händen Kontakt aufnehmen. So oder so werde es aber eine intensive Zeit, und während dieser sei das Menschenaffen-Haus teilweise geschlossen für Besucher.
Ausgesucht habe man die neuen Tiere vor allem nach Genetik und Alter. Der neue Silberrücken ist 17 Jahre alt und kommt aus Warschau. Die Weibchen heissen Virunguita (9 Jahre) und Ivindo (8 Jahre) und stammen aus europäischen Zoos.
Derzeit leben die Gorillas in einer Anlage von etwa 100 Quadratmetern, später werden sie fast 30 000 zur Verfügung haben. «Man glaubt es kaum», sagt Dressen, «aber in den 1980er Jahren war diese Anlage fortschrittlich.» Der Zoo Zürich sei damals der erste westeuropäische Zoo gewesen, der Gorillas in eine Aussenanlage gelassen habe – bei klimatischen Bedingungen, die nicht denen in Zentralafrika entsprechen.
Im neuen Lebensraum können die Tiere zwischen verschiedenen Bereichen rotieren. In diesen leben alternierend auch andere bedrohte Tierarten wie Drille, Okapis und Zwergflusspferde. «Das bedeutet Stress für die Gorillas, es riecht nach anderen Tieren», sagt Dressen und fügt etwas Überraschendes an: «Dieser punktuelle Stress ist gut.» Zootiere hätten häufig zu wenig Stress, seien zu träge. Ohne Zwang würden Gorillas grundsätzlich nie in neue Gebiete gehen. In der Natur müssten sie weiterwandern, weil etwa Futter fehle oder sie von einer anderen Gruppe vertrieben würden. Im neuen Lebensraum Ndoki-Wald werden sie mit Futter in andere Bereiche gelockt.
Die Aufgabe sei für den neuen Silberrücken anspruchsvoller als für seinen Vorgänger: Er müsse nicht nur lernen, den Harem zu führen, sondern auch, neue Gebiete für die Familie abzusichern.
Streichelzoo wird aufgehoben
«Und wir wollen in der Gorilla-Haltung einen Schritt weitergehen», sagt Dressen. In Zürich sollen die Tiere künftig in einem echten Wald mit riesigen Bäumen leben, das sei etwas, dass es so in Zoos bisher noch nicht gegeben habe. «Heute werden Gorillas in Zoos häufig ausschliesslich am Boden gehalten, das entspricht nicht ihrem Naturell.»
Die Herausforderung für den Zoo ist dabei, dass die maximale Bauhöhe über dem derzeitigen Bodenniveau auf dem Gelände beschränkt ist auf 5 bis 12 Meter. «Das ist zu niedrig für einen Wald. Deshalb müssen wir in die Tiefe graben, das ist anspruchsvoll – und teuer.» Wie viel das Projekt kosten wird, weiss der Zoodirektor Stand jetzt noch nicht. Klar ist: Ohne Spendengelder lässt sich der Neubau nicht finanzieren.
Die Fläche, auf welcher der Ndoki-Wald entstehen soll, ist derzeit grösstenteils eine Wiese. Ein Spielplatz muss weichen – und der Streichelzoo. Es soll eine neue Möglichkeit der Interaktion mit Ziegen an anderer Stelle geschaffen werden. Schweine und Kaninchen wird es aber künftig nicht mehr geben. Sie müssen wie die Gorilla-Damen Mary und Mahiri den Zoo Zürich verlassen.